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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Blätter und Blüthen.

Zur Geschichte der öffentlichen Vorträge. Wir sind so daran gewöhnt, in den Blättern von volksthümlichen wissenschaftlichen Vorträgen zu lesen, die überall, sei es in Vereinen, sei es vor einem geladenen und zahlenden Publikum, gehalten werden, daß wir geneigt sind, diese Sitte für eine althergebrachte zu halten. Und doch besteht sie nicht seit allzu langer Zeit: Paul Moebius erwähnt in einem Vortrage „Ueber die Geschichte und Aufgabe der öffentlichen Vorträge“, daß sich allerdings schon im Anfange dieses Jahrhunderts Spuren derselben gefunden, wie Gotthelf Heinrich von Schubert erzählt; in Dresden sei zu jener Zeit das Bedürfniß gefühlt und auch befriedigt worden, den gewöhnlichen Unterhaltungen der gebildeten Welt in Theater und Koncerten auch noch eine andere, die der wissenschaftlichen Belehrung, beizugeben. Männer von Fach und von Einsehen, wie der berühmte Altertumskenner Böttcher, haben Vorträge gehalten, wodurch in allen für solche geistigen Anregungen empfänglichen Zuhörern der Sinn geweckt und geschärft werden konnte für jene augenfälligen Lichtpunkte im Gebiete der Kunst und Wissenschaft, welche der Beachtung am meisten werth und von eigenthümlichen Reize sind. An dem Genuß und der Belehrung, welche diese Vorträge gewährten, nahmen Männer und Frauen aus den verschiedensten gebildeten Ständen lebhaften Antheil.

Die Nachahmungen eines derartigen Beispiels blieben aber noch ziemlich vereinzelt, bis der berühmte Alexander von Humboldt seine öffentlichen Vorlesungen hielt und fortan in vielen deutschen Haupt- und Universitätsstädten eine sich von Jahr zu Jahr steigernde Zahl von Nachfolgern fand.

Als nämlich Humboldt nach seiner Reise in die Tropenländer Amerikas fast ohne Unterbrechung 20 Jahre in Paris zugebracht hatte, kehrte er endlich im Jahre 1827 nach Berlin zurück und eröffnete in einem Hörsaale der Universität seine Vorträge: „Ueber das Weltgebäude als planvolles und ästhetisches Ganze oder den Kosmos“. Dieselben erregten in der preußischen Hauptstadt, ja in ganz Deutschland so großes Aufsehen, daß oft aus weiter Ferne Gelehrte und Freunde der Naturwissenschaften die Reise nach Berlin nicht scheuten, um wenigstens einer dieser Vorlesungen beizuwohnen und Humboldt’s Persönlichkeit kennen zu lernen. Der König, das königliche Haus und Gebildete aus allen Ständen wohnten diesen Vorlesungen bei. Der Andrang war so groß, daß gleichzeitig mit dem ersten Cyklus eine Wiederholung veranstaltet werden mußte, die vor einer noch größeren Versammlung stattfand.

Diese Humboldt’schen Vorträge bilden in ihrer wissenschaftlichen Gemeinverständlichkeit den Ausgangspunkt für eine volksthümliche Behandlung der Naturwissenschaften, die jetzt zur Modesache geworden: der Kreis derartiger öffentlicher Vorträge umfaßt jetzt alle Fächer; ja es hat sich auch auf diesem Gebiete zum Theil ein reisendes Virtuosenthum ausgebildet. Von höchster Wichtigkeit aber sind die Vorträge geworden, welche sich an unsere arbeitende Bevölkerung wenden und in volksthümlicher Weise wissenschaftliche Fragen erläutern; dies geschieht jetzt in zahlreichen Vereinen und trägt bei geschickter Auswahl der Stoffe und bei einer knappen, schlaghaften Behandlung, welche verständlich ist, ohne ins Seichte zu verfallen, jedenfalls die schönsten Früchte.


Die Lotusblume in Aegypten. Wenn man von der Lotosblume hört, denkt man zunächst an das ferne Indien, wo dieser indische Lotos ja die Wiege der Götter war; doch auch Aegypten hat seinen Lotos, über den uns Franz Wönig in seiner Schrift „Die Pflanzen im alten Aegypten“, die auf eingehenden Studien beruht, die genaueste Auskunft ertheilt. „Der Lotos“, sagt er, „dieses echte Kind der ägyptischen Flora, das aus den stillen spiegelnden Fluthen des breiten majestätischen Stromes seine Blätterteller und Blüthen entfaltet, harmonirt so ganz mit dem Charakter der imponirenden feierlichen Ruhe des alten Wunderlandes. Nil und Lotos sind in der Mythe zu einem unzertrennlichen idealen Gedanken verschmolzen und sind in Wahrheit auch unzertrennlich; denn wenn der Nil zu schwellen beginnt, erwacht der Lotos im tiefen Grunde zum Leben; wenn der Strom seinen Segen spendet, steht die Pflanze in voller Blüthe, und wenn der Strom allmählich zu sinken beginnt, stirbt sie langsam ab. In welcher Ausdehnung und Ueppigkeit einst der Nymphäenflor im Nil aufgetreten, künden unzählige Abbildungen in den Werken der ägyptischen Kunst. Lotos und wieder Lotos tritt uns bei der Durchmusterung der interessanten eigenartigen Bildwerke entgegen. Ob wir mit den alten Aegyptern auf den Vogel- und Fischfang gehen, uns mit ihnen auf dem Strom belustigen, ob wir den Spiegel des Sumpfes oder Teiches betrachten, aus welchem der Frohnknecht Wasser zum Erweichen der Ziegelerde schöpft, ob wir uns ans Nilufer zu den Papyrusarbeitern begeben, einen Blick auf die reichbesetzten Opfertische werfen oder Herren- und Damengesellschaften, Sänger und Sängerinnen bei Tanz und Spiel belauschen oder hinabsteigen in die Grabkammern, immer finden wir das Symbol der höchsten Gottheiten in reicher Fülle vor.“

Die Königin der Blumen fand die mannigfachste Verwendung. Man verkaufte sie auf den Straßen, auf den Märkten, pflegte sie in Kübeln und Thongefäßen, stellte sie als Zimmerschmnck in zierlichen Alabaster- und Thonvasen auf und erfreute sich an ihren lichten Farben und am zarten zimmetartigen Geruch der Blüthe. Lotosblumen waren das bevorzugte Geschenk der Liebenden; man trug sie als Amulet aus Holz oder gebranntem Thon auf der Brust. Es galt als Zeichen feiner Sitte, nicht nur bei großen öffentlichen Festen, sondern auch in Privatkreisen und Gesellschaften, mit einer Lotosblume in den Händen zu erscheinen. Den Gästen wurde oft ein Blumenkragen um den Hals gelegt, ihr Haupt gesalbt und mit Blumengewinden geziert, aus denen dann eine Lotosknospe oder Lotosblume über die Stirn herabhing. Auf allen Bildern von Festmahlen tragen die Gäste Lotosblumen in der Hand, die von den Dienern und Dienerinnen durch frischere, duftvollere ersetzt werden. Aus den Zeilen der zunehmenden Schwelgerei, wo sich auch die Damenwelt dem Genuß des Weines im Uebermaße hingab, sind noch Bilder vorhanden, welche diese trunkenen, auf ihre Sklavinnen gestützten Schönen darstellen, und der Künstler giebt ihnen sinnvoll eine „geknickte“ Lotosblume in die Hand.

Die Kunst glücklich zu sein. Es ist nicht das erste Mal, daß ein Werk des berühmten italienischen Gelehrten Paul Mantegazza in deutscher Uebersetzung erscheint; sein treffliches Reisewerk „Indien“ und andere seiner Schriften sind längst in den weitesten Kreisen bekannt. Nun ist auch seine Schrift „Die Kunst glücklich zu sein“ von Gad Ennelin ins Deutsche übertragen worden (Verlag von Hermann Costenoble in Jena) und wird dem Autor zu den alten Lorbeeren neue erwerben. Das Buch ist nicht umfangreich, aber voll treffender Gedanken, von welchen wir eine kleine Auslese hier wiedergeben. Das zwölfte Kapitel führt den Titel „Gesetzbuch des Glückes“ und enthält u. a. folgende „Paragraphen“:

Daß das Glück so selten, ist mehr Schuld der Menschen als der Verhältnisse.

Es giebt eben so wenig zwei gleiche Ansichten über Glück, als es zwei egale Menschen, zwei gleiche Blätter oder Sandkörner giebt.

Jeder soll auf seine Art glücklich sein, nicht nach der Schablone eines Andern.

Willst Du einen gutsitzenden Schuh haben, laß an Deinem eigenen Fuß Maß nehmen. Dasselbe gilt für das Glück.

Du wirst schnell und sicher glücklich, wenn Du zur Hauptbedingnug für das eigene Glück das der Andern machst.

Der Glückliche fordert nichts von Andern, quält und stört sie nicht, sondern verbreitet Fröhlichkeit und Wohlbehagen um sich.

Wenn die Menschen glücklich zu sein verstünden, wären viele jetzt nöthige Einrichtungen entbehrlich, von der barmherzigen Schwester bis zum Schutzmann, von den Arzneien bis zum Bettelbrief.

Die Kinder sind glücklich, weil sie nicht über ihr Glück nachdenken; die Erwachsenen sind es nicht, weil sie zu viel darüber grübeln.

Wer sein Glück auf eine einzige Sache koncentrirt, vereinfacht die Kunst, glücklich zu sein, kann aber leicht bankerott werden. Er ist wie der Bauer, der nur Einerlei auf seinem Boden baut. Wenn dies mißräth, kann er Hungers sterben.

Der Glückliche ist wie der gesegnete Boden Toscana’s, der zu gleicher Zeit Korn, Oel und Wein trägt.

Wie in der Natur alles Lebendige klein in seinen Uranfängen ist, aber zum Wachsen und Fortkommen befähigt und voller Lebenswärme – so sollte es auch mit dem Glücke sein.

Statt über Dich zu blicken, schau um Dich und hinter Dich.

Die Hoffnung ist ein Wechsel auf Glück und so lange er nicht fällig erklärt worden, hat er an alten Orten der Welt Gültigkeit.

Hast Du kein Haus, so sammele Bausteine für eins; hast Du keine Bausteine, so zeichne auf dem Papier einen Plan. Jeder sollte in Gedanken einen Plan, ein Ziel haben.

Nicht alle Blüthen werden zu Früchten; aber sie sind trotzdem schön und voller Duft.

Das Glück erfreut sich der Gegenwart und hofft auf die Zukunft.

Wenn das Glück ein Wappen hätte, würde ich mit ehernen Zeichen die drei Worte, die für mich die Kunst und die Philosophie des Glückes in sich schließen, darauf schreiben. Bei wenigem viel.

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Nachbarskinder. (Mit Illustration S. 49.) Gelegenheit macht Diebe – Gelegenheit macht Liebe: das ist die Devise für Nachbarskinder. Die einen stehlen über den Zaun dies und das, und manchmal sind es Herzen, die gestohlen werden. Es bedarf kaum eines Kommentars für die Blicke der beiden jungen blühenden Menschenkinder auf unserem Bilde: wir kennen uns – wir verstehen uns von Kindesbeinen auf – wir gehören zu einander und es ist eigentlich ganz unnütz, einander ausdrücklich darnach zu fragen, ob wir eines Tages die Möglichkeit einer Trennung für immer ausschließen wollen. Das ist eine reizende Sache, so von den Kinderspielen an sich in einander hineingelebt zu haben und am Ende die Liebe als reife Frucht zu pflücken. Man hat da kein Menschenräthsel mehr vor sich, welches unter Umständen mit Enttäuschungen überrascht. Es giebt keine innerlichen Schranken mehr, welche trennen – nur eine Gartenmauer. Vorausgesetzt bei alledem, daß es sich um gute Nachbarn handelt. Sonst ist diese Gartenmauer eine schreckliche Sache: unsere Novellisten wissen traurige Geschichten zu erzählen, wie es gehen kann, wenn feindlicher Nachbarn Kinder einander lieben; die Nähe schärft nicht nur die Liebe – auch den Haß. Traurige Geschichten! „Die verbotenen Früchte sind süß und die erstohlenen Brote sind lieblich,“ sagt die Bibel.


Ein Volksnahrungsmittel. Wenn im Frühjahre auf Wiesen und Rasenplätzen sich das erste Grün zeigt, dann erscheint auch jene allbekannte, lebhaft gelb gefärbte Blume, die wir unter den Namen Löwenzahn, Butterblume, Hundsblume, Pfaffenröhrlein, im sächsischen Mittelgebirge auch Maiblume genannt, kennen, während die botanische Bezeichnung Leontodon taraxacum lautet. Die Pflanze galt früher als ein ausgezeichnetes Heilmittel gegen Leberentzündung und Gelbsucht; auch jetzt ist sie noch officinell und wird mit Erfolg gegen Stopfungen im Unterleib als mild lösendes Mittel angewendet. Ihr Hauptwerth aber liegt darin, daß sie ein sehr wohlschmeckendes und gesundes Nahrungsmittel bildet, das als solches in Deutschland noch viel zu wenig gekannt ist, während die Pflanze in Frankreich und in Italien längst als eine höchst werthvolle Gabe der Natur geschätzt wird. Der dem Stiele entquellende Milchsaft hat einen bittersüßen Geschmack, wirkt blutreinigend und für den Magen mild anregend. Die jungen Sprossen geben einen vortrefflichen Salat, während ältere Pflanzen, nach Art des Spinats zubereitet, ein ausgezeichnetes, gesundes Gemüse liefern. Selbst die Wurzel ist ähnlich wie die beliebte Schwarzwurz (Scorzonera L.), wie jene ebenfalls zur Familie der Kompositen gehörig, genießbar; nur muß man

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 51. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_051.jpg&oldid=- (Version vom 28.5.2023)