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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Er sah bedauerlich lächelnd auf die Scherben hinab. „Und der arme, verlästerte Lindenast, der es wirklich nicht gethan hat!“ setzte er schalkhaft hinzu. „Aber sage doch, Claudine – war dieser Lothar nicht der ausgesprochene Liebling des Herzogs?“ fragte er seine Schwester, die still und ein wenig vorgebeugt am Geländer stand, als horche sie noch auf die längst verhallten Huftritte des „Fuchses“.

„Er ist es wohl noch,“ erwiederte sie mit weggewandtem Gesicht. „Du hörtest ja, daß man ihn an die Residenz zu fesseln sucht.“ Ihr Ton klang unsicher und um die nervös zuckenden Lippen irrte ein erzwungenes Lächeln, als sie an dem Bruder vorüber nach der Küche ging, um das Mittagsbrot fertig zu machen. Da, inmitten des Wohnzimmers, stand der bereits gedeckte Tisch mit seinen drei Kouverts. Nun ja, das waren altmodische verbogene Zinnteller, von welchen man aß. Die Großmama hatte bei der Uebersiedlung nach ihrem Wittwensitz alles Silbergeräth zurückgelassen – der große herrliche Silberschatz sollte nicht zersplittert werden – und nur ihr ererbtes altes englisches Zinn mitgenommen, „gerade recht und passend für eine einsam lebende Wittwe und ihre letzten paar Erdentage“, hatte sie gemeint. Und bei ihrem ziemlich schmalen Einkommen, auf welches sie sich angesichts der schwierigen pekuniären Verhältnisse ihres Enkels später selbst beschränkt, war es erst recht praktisch gewesen, unzerbrechliches Geschirr im Gebrauch zu haben. – Die Bestecke neben den Zinntellern hatten schwarze, abgenutzte Holzstiele, und zur Schonung des Tischtuches lag eine Wachstuchdecke inmitten des Tisches – alles schlicht bürgerlich und ängstlich sparsam, wenn auch von blinkender Sauberkeit.

Das hatte er im Vorübergehen gesehen, und es war gut so. Da konnte von keiner Komödie die Rede sein; der ganze Zuschnitt des Hauswesens bewies ein zielbewußtes „Sicheinleben“ in die gegebenen Verhältnisse – er mußte nun wissen, daß sie es ernst gemeint mit – ihrer Flucht.

(Fortsetzung folgt.)     


Karneval in Wien.
Von Ferdinand Groß.       Mit Illustrationen von W. Gause.


Gschnas- und Kostümball der Künstler.

Von allen Seiten singt es und klingt es; von rechts und links drängen die Tonfluthen auf uns ein, mit Sirenenstimmen lockend, daß wir untertauchen mögen in ihnen, untertauchen mit Leib und Seele, vergessen alles Weh und alles Schicksal, mit Sorglosigkeit entschlossen, die klingenden, hochgehenden Wellen über unseren im Takte sich bewegenden Häuptern zusammenschlagen zu lassen. Die Wiener Musik hat ihre großen leuchtenden Augen auf uns gerichtet, sie verlangt, daß wir tanzen; sie schlängelt sich in unsere Ohren und fährt uns dann in die Beine, und wenn wir ihr gebieten wollen, innezuhalten und uns nicht über den Ernst des Daseins hinwegzutäuschen, kichert sie und klappert mit ihren Schellen und stellt sich auf den Kopf und stimmt verführerische Weisen an, so süß, so selig, so gebieterisch, daß wir die Kniee beugen vor ihr und vor der Großmacht, deren Herold sie ist: vor unserem Fasching. Und die Walzer von Johann Strauß berücken uns mit ihrem berühmten Kunststückchen: aus wehmüthigen, von Herzeleid durchzitterten Anfängen die hinreißendsten Melodien emporzuzaubern, als hätten sie die Melancholie nur heraufbeschworen, um sie weidlich zu verspotten, um zu bekunden, daß die Wagschale, in welcher die Traurigkeit liegt, federleicht in die Höhe schnellt, wenn in die andere Wagschale ein paar Körnlein Faschingsfreude gestreut werden. Was die Zeit an Wien auch geändert hat, die Kaiserstadt an der Donau verliert ihre gute Laune nicht. Vorübergehend lernte sie das Hangen und Bangen in schwebender Pein wohl kennen, aber ihrer natürlichen Anlage entspricht es, schließlich immer wieder himmelhoch aufzujauchzen. Ein Lied, das unsere sogenannten „Volkssänger“ mit unfehlbarer Wirkung vorzutragen pflegen, endigt mit dem Schlußreim: „Alleweil munter! Der Wiener geht nit unter!“ Nein, der Wiener geht wirklich nicht unter, das heißt: in so fern man seinen Untergang darin erblickte, daß er sich durch Kriegsgefahr und Pestilenz, durch politische Enttäuschungen und geschäftliche Krisen etwa beirren ließe in der Neigung, die heiteren Seiten des Lebens mit Ueberzeugung zu genießen.

Im Laufe der Zeiten hat der Wiener Fasching manche Umgestaltung erlitten. Er müßte keine Schöpfung der Sterblichen sein, wenn er sich immer gleich bliebe. Im Vormärz, im alten Wien, spielte der Hausball, die Unterhaltung in der Familie, eine wichtige Rolle. Bescheidene Ansprüche und einfache Leistungen hielten einander das Gleichgewicht. Die Toiletten waren billig, die tanzenden jungen Leute zahlreich, und aus den Hausbällen heraus wurde viel geheirathet. Heute besitzt diese Art von Tanzfesten lange nicht mehr die Wichtigkeit wie früher; wir haben uns in weit höherem Grade an die Oeffentlichkeit gewöhnt, aber nur an eine beschränkte; denn wir gehen mit unserer Lustigkeit

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 75. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_075.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)