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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

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Amicitia.

Eine Schuljungengeschichte von Hans Arnold.

Die Doktorin Strecker saß mit ihrer erwachsenen Tochter im Wohnzimmer auf dem erhöhten Fensterplatz. Beide Damen waren mit Handarbeit beschäftigt und schwiegen schon eine geraume Zeit, um ihren Gedanken nachzuhängen. Die Söhne des Hauses waren noch in der Schule, was eine nervenberuhigende Stille zur Folge hatte, die im Bewußtsein ihrer kurzen Dauer mit Hochgenuß ausgekostet wurde.

Da klopfte es an die Thür, und Mine, das Dienstmädchen, trat mit einem schönen Blumenstrauß ein. „Eine Empfehlung von Herrn Grauberg an das Fräulein!“ sagte sie mit dem bescheiden schlauen Ausdruck, durch den unsere dienstbaren Geister uns nahe zu legen wünschen, daß sie alles, was bei der Herrschaft vorgeht, mindestens eben so gut wissen wie diese selbst.

Da „das Fräulein“ durchaus keine Miene machte, sich den Strauß anzueignen, vielmehr mit einem etwas schnippischen Gesichtchen noch einmal so schnell stichelte als vorhin, nahm die Mutter das Bouquett entgegen.

„Wir ließen herzlich danken!“ sagte sie sehr nachdrücklich, und Mine verschwand.

„Nun, Käthe – was sagst Du?“ fragte die Mutter nach einer Pause.

Käthe hob ihre feine Nase höher und sagte – nichts.

„Es ist doch sehr liebenswürdig von Herrn Grauberg,“ fuhr die Mutter gereizt fort.

Käthe zuckte die Achseln.

„Wozu hat er sein vieles Geld?“ meinte sie ungerührt.

„Nun, doch wohl nicht, um Dir Blumen zu schenken,“ bemerkte die Doktorin in scharfem Ton.

Käthe lachte: „Er scheint doch anderer Ansicht darüber zu sein!“ meinte sie übermüthig.

Die Mutter schüttelte den Kopf.

„Ich weiß gar nicht, was Du willst,“ sagte sie; „Herr Grauberg ist solch ein geachteter Mann, sage mir bloß, was für Einwände Du gegen ihn haben kannst!“

„Er ist fünfzig Jahr!“ bemerkte Käthe niederschmetternd.

„Fünfundvierzig!“ verbesserte die Mutter unwillig.

„Das kommt auf Eins heraus! – Er ist kleiner wie ich – er ist abscheulich häßlich, trägt buntkarrirte Shlipse – er ist sehr geizig – und er ist in jeder Beziehung ein kleines Gräuel,“ schloß Käthe ihre Verdammungsrede.

Die Mutter zuckte die Achseln. „Wenn Du Dein Urtheil über Menschen danach bestimmst, ob sie lang und groß sind, einen blonden Schnurrbart haben, schlechte Witze machen und Walzer tanzen können, dann bist Du eben noch viel kindischer, als ich gedacht habe,“ sagte sie ärgerlich.

„Bin ich auch,“ erwiederte Käthe kühn, in welcher die entschieden persönlich gefärbte Antwort der Mutter eine neue Erbitterung gegen Herrn Grauberg hervorgerufen hatte.

Herr Grauberg hielt sich einige Monate in der Stadt auf, um die Einrichtung einiger Fabriken zu studiren, die seiner heimischen Anstalt entsprachen. Er hatte Käthe’s Bekanntschaft auf einem Tanzfest gemacht und trotz der entschieden schlechten Behandlung, die ihm das Mädchen zu Theil werden ließ, sein von allen Müttern und einigen Töchtern der Stadt begehrtes Herz blindlings zu den Füßen dieser hochfahrenden jungen Dame niedergelegt.

Vielleicht war es der dem Menschen innewohnende Widerspruchsgeist, der den guten Mann trieb, nun gerade diejenige zu seiner Flamme zu erwählen, die fast als Einzige gegen seine Huldigungen und seinen wohl gefüllten Geldbeutel sich unempfindlich verhielt.

Wie viel zu Käthe’s ablehnendem Gefühl und Betragen die Anwesenheit des Forstreferendars Erloff beitrug, der auf einige Zeit beim Forstamt arbeitete und in der schmucken Uniform und mit seinem hübschen, fröhlichen Gesicht ein überall gern gesehner Gast war – dies zu verrathen, sind wir viel zu diskret!

In neuerer Zeit hatte Herr Grauberg angefangen, die Belagerung in beunruhigender Weise zu verschärfen – seine Shlipse wurden täglich bunter, und die heutige Uebersendung des Bouquetts konnte als officielle Eröffnung der Feindseligkeiten betrachtet werden

Die arme kleine Festung, der dies scharfe Geschütz galt, wurde nun noch dazu von der Mutter gänzlich isolirt – jede Andeutung, daß man es Herrn Erloff „doch schuldig sei“, ihn wieder einmal einzuladen, überhörte die Doktorin geflissentlich – und nur dem Umstand, daß ihre Freier sich beide fast überall einfanden, wo man gesellig zusammenkam, hatte Käthe es zu verdanken, daß sie den jungen Forstmann überhaupt hin und wieder sah.

Derartige gewitterschwüle Zustände in der Familie sind nie behaglich, und so kam es auch heute, daß der Doktor Strecker, als die Tischglocke die Seinigen zusammmenrief, eine merkliche Verstimmung vorfand.

Die beiden Jungen, Karl und Eduard, welche die Tertia und Quinta des Gymnasiums durch ihre Anwesenheit verschönten, merkten von dieser Verdüsterung des Horizonts natürlich nichts. Als Eduard mit besonders glücklicher Wahl des Gesprächsthemas die interessante Mittheilung machte. „Wie ich aus der Schule kam, ging Herr Erloff hier vor dem Hause auf und ab“, da nahm er die kurze Erwiederung der Mutter: „Sei still!“ nur für ein allgemeines Verbot und ahnte nicht, auf was für dünnem Eise er sich befand.

Karl, der schon vorgeschrittener in der Erkenntniß derartiger Verhältnisse war, versetzte ihm einen Puff unter dem Tisch und erhob dann seinerseits die Stimme, um das Gespräch zu beleben: „Vater, wir haben einen Verein gegründet!“

„So?“ erwiederte der Vater mit unheilverkündender Gleichgültigkeit, ohne sich im Zerlegen des Bratens zu unterbrechen.

„Jeder muß fünfzig Pfennig Eintrittsgeld zahlen,“ fuhr Karl fort.

Der Vater schien diesen zarten Wink nicht zu verstehen.

„Ich auch!“ bemerkte Karl mit erhobener Stimme.

„Bitte!“ erwiederte der Doktor kühl, „thue Deinen Gefühlen keinen Zwang an!“

Karl, der zu den glücklichen Naturen gehörte, denen der Besitz von Geld ein körperliches Unbehagen verursacht, und die nicht eher ruhen, als bis sie es für etwas absolut Ueberflüssiges wieder ausgegeben haben, wand sich in Qualen. Er sollte heut Nachmittag die geforderte Summe in die Schule mitbringen oder vom „Verein“ ausgeschlossen und somit zur social unmöglichen Persönlichkeit werden. Schielende Flehblicke nach der Mutter thaten heut auch keine Wirkung; sie war übler Laune wegen Herrn Grauberg und sah und hörte nichts.

„Was ist denn das für ein Verein?“ fragte der Doktor nach einer Pause.

„Er heißt Amicitia,“ bemerkte Karl ausweichend.

„Und was kann er außerdem?“ examinirte der Vater.

Karl war etwas verlegen, da die höheren Zwecke der Verbindung den Mitgliedern selbst erst zum geringsten Theil klar waren.

„Das wird alles erst,“ sagte er; „wir haben es uns heut Morgen ausgedacht! German, Roth und ich sind Vorsitzende – das heißt, wenn ich fünfzig Pfennig mitbringe!“

„Wer ist denn noch dabei?“ fragte die Mutter.

Karl lächelte schuldbewußt.

„Niemand!“ sagte er mit einigem Erröthen, welches sich bei der allgemeinen Heiterkeit, die dieser Verein von lauter Vorsitzenden erregte, fast bis zu Thränen steigerte.

„Na, da will ich heut noch einmal Gnade für Recht ergehn lassen und Dir das Eintrittsgeld schenken,“ sagte der Doktor, „obwohl es mir unfaßlich ist, wo Dein Taschengeld geblieben sein kann – wir haben ja erst den Zwölften.“

Karl enthielt sich wohlweislich jeder Entgegnung und bat unmittelbar nach Empfang des Geldes um Erlaubnis, sich den Freuden der Tafel heut zeitiger entziehen zu dürfen. „Der Verein trifft sich schon um dreiviertel vor der Schule – die Statuten sollen festgestellt werden,“ meinte er.

Von diesem Tage an nahm der Verein Amicitia Karl’s Seele ganz in Besitz, und die Familie wurde mehr oder weniger in Mitleidenschaft gezogen. Die Verbindung schien zunächst nach dem Princip der Bettelorden begründet und erforderte beständige Zwangsanleihen zu geheimnisvollen Anschaffungen, die in Gestalt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 78. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_078.jpg&oldid=- (Version vom 6.6.2018)