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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Blätter und Blüthen.


Klara Salbach. (Mit Portrait S. 85.) Die erste Liebhaberin des Leipziger Stadttheaters, die nach einem erfolgreichen Gastspiele am Dresdener Hoftheater vom August dieses Jahres ab engagirt worden, gehört zu den talentvollsten Jüngerinnen der dramatischen Kunst der Gegenwart.

In Berlin geboren, wo ihr Vater ein großes Gartengrundstück besaß, brachte sie ihre Kindheit stets in der freien Natur zu unter Bäumen und Blumen und bewahrte an diese frische, freudige Jugendzeit stets die schönsten Erinnerungen. Schon frühzeitig erhielt sie musikalischen Unterricht, wie sie es denn im Klavierspiel zu einer beachtenswerten Fertigkeit gebracht hat. Ebenso empfand sie sehr früh Neigung für die dramatische Kunst, und es gehörte zu ihren Lieblingsvergnügungen, mit ihren Schulfreundinnen Komödie aus dem Stegreif zu spielen.

Als diese sich meistens für das Lehrfach entschieden, faßte auch Klara Salbach den Entschluß, einen Beruf zu ergreifen, der sie in den Stand setzte, sich selbständig durchs Leben zu schlagen. Sie erklärte ihrem Vater, daß sie zur Bühne gehen wolle, und er gab endlich den Bitten der Tochter nach, als er sich überzeugte, daß es sich nicht bloß um eine vorübergehende Laune handle. Die unvergeßliche Frau Frieb-Blumauer nahm sie nach vorausgegangener Prüfung als Schülerin an und diese lernte die hervorragende Künstlerin als eine zweite Mutter betrachten. Im Mai 1880 trat Fräulein Salbach zuerst auf der Hofbühne von Weimar als Lorle in „Dorf und Stadt“ auf; dieser erste theatralische Versuch fiel sehr glücklich aus. Dann nahm sie ein Engagement bei dem wackern Theaterdirektor Frey in Hanau an, ging darauf an das Stadttheater in Mainz, von wo sie Direktor Staegemann nach Leipzig engagirte.

Klara Salbach ist eine ebenso stattliche wie sympathische Bühnenerscheinung, sie deckt in Leipzig das Fach der ersten Liebhaberinnen nach den verschiedensten Seiten hin. Was in der breiten Mitte zwischen dem Naiven und Heroischen liegt: das ist die Domaine ihres Talentes, welche sie siegesgewiß beherrscht. Innigkeit und Wärme des Gefühls, auch wo sich dasselbe zu leidenschaftlichen Ausbrüchen steigert, stehen ihr stets zu Gebote und auch mit den Effektrollen der französischen Komödie, besonders als Claire im „Hüttenbesitzer“ hat sie Triumphe gefeiert. Ebenso bewährte sie sich[WS 1] in den modernen Stücken aus dem deutschen Gesellschaftsleben, als Hertha in „Ein Tropfen Gift“, als Gräfin Lambach und in ähnlichen Aufgaben, die eine ebenso feine wie markige Seelenmalerei verlangen, ihr schönes Talent. Von klassischen Rollen erwähnen wir ihre Luise in „Kabale und Liebe“, ihr Gretchen und Klärchen, ihre Königin in „Don Carlos“, ihre Beatrice in „Die Braut von Messina“. Auch auf dem Gebiete der neuen Dramatik, besonders in den Wildenbruch’schen und Gottschall’schen Trauerspielen, neuerdings als „Katharina Howard“ und „Amy Robsart“ zeigte sie ihre maßvolle und harmonische Begabung, welche den dichterischen Vers schwunghaft behandelt, ohne in falsches Pathos zu verfallen und die Gefühlsscenen mit ergreifender Herzenswärme spielt.

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Die Reformerin der englischen Gefängnisse. Elisabeth Fry gehört zu jenen Frauen, deren gemeinnütziges Wirken ihr mit Recht einen Ehrenplatz neben den hervorragenden Frauen auf dem Throne, in der Kunst und Litteratur anweist. Sie besaß die Energie der Barmherzigkeit; sie war die erste, die in jene alten Gefängnisse drang und den Unglücklichen den ersten Strahl leuchtender Menschenliebe brachte; sie war die erste, welche den Machthabern sagte: „Wer ist schwerer verantwortlich, der Sträfling, den die Verhältnisse oft zum Verbrecher stempelten, oder die Gewaltigen, die eine fortgesetzte Reihe von Verbrechen an Leib und Seele der Gefangenen begehen, statt sie wieder der menschlichen Gesellschaft zuzuführe?“

Elisabeth Fry war am 21. Mai 1780 geboren als eine Tochter des Gutsbesitzers John Gurney in der Grafschaft Norwich. Der Vater befolgte eine fromme Richtung und gehörte der Quäkergemeinde an, hier empfing Elisabeth ihre ersten Eindrücke. Ein amerikanischer Prediger gewann sie durch die Macht seiner Beredtsamkeit ganz für den Dienst der Gemeinde; sie erschien alsbald, nachdem sie die bunten Kleider abgelegt, im einfachen Gewande der Quäkerin. Im Jahre 1800 heirathete sie einen englischen Citykaufmann John Fry. Zum Prediger (Minister) wurde sie 1811 gewählt; zwei Jahre darauf begann ihr Verkehr mit den Verbrechern und Verbrecherinnen. Ein Besuch in der Besserungsanstalt für weibliche Verbrecher in Cold Bath Field gab ihr den Hauptanlaß, jene segensreiche Thätigkeit zu ergreifen, der sie bis zu ihrem Tode treu blieb. Die Gefängnisse befanden sich damals in einem beklagenswerthen Zustande: Frauen, der verschiedensten Vergehen angeklagt, waren mit ihren Kindern unter Aufsicht eines Wächters ohne jede Beschäftigung in engen Räumen zusammen gedrängt, in denen sie schliefen, kochten und den Tag verbrachten. Durch unermüdliche Vorstellungen und Eingaben bei den betreffenden Behörden vermochte Frau Fry die Ernennung von Aufseherinnen, anständigere Kleidung für die Gefangenen und Einrichtung von Schulen für deren Kinder sowie Austheilung von Arbeitsmaterial durchzusetzen. Bald erlangte sie einen solchen Ruf, daß sie auch von anderen Städten Englands, von Petersburg, von Amsterdam um ihren Rath gefragt wurde. Unter dem Namen „Britischer Frauenverein“ wurde von ihr und mehreren gleichgesinnten Damen ein Verein gebildet, der es sich zur Aufgabe gestellt hatte, die Besserung weiblicher Gefangener zu fördern. Er richtete seine Aufmerksamkeit auch auf die Transportschiffe, welche die Verbrecherinnen in die Südseekolonien brachten; auch hier gelang es ihnen, eine menschlichere Behandlung der Verurtheilten und Ordnung unter denselben zu erzielen. Im Jahre 1818 war sie nach Schottland gereist, wo sie die Gefängnisse in einem fast noch schrecklicheren Zustand als in England fand. Schuldner, Verbrecher und Wahnsinnige hausten in dumpfer enger Zelle beisammen: auch hier brachte sie eine Aenderung zum Besseren hervor. Ueberhaupt unterstützten die hohen und höchsten Persönlichkeiten des Landes ihre Reformen. Ihren Anregungen folgten andere Damen, gründeten Asyle für entlassene Gefangene und Aufnahmeanstalten für verwahrloste Kinder. Später dehnte Mrs. Fry ihren Wirkungskreis in andern Ländern aus, besuchte mehrfach Frankreich, auch Spanien und Deutschland und fand in König Friedrich Wilhelm IV. einen Beschützer und Förderer ihrer Unternehmungen. Im eigenen Hause waltete sie als einfache Hausfrau und Mutter, ein reicher Familiensegen war ihr zu Theil geworden; denn sie war umgeben von Töchtern und Schwiegertöchtern, 7 Söhnen und 25 Enkeln. Am 12. Oktober 1845 starb sie.

Elisabeth Fry war ein Vorbild echter werktätiger Menschenliebe. Wir entnehmen die Mittheilungen über sie einem neuen, von Lina Morgenstern herausgegebenen Sammelwerk: „Die Frauen des 19. Jahrhunderts. Biographische und kulturhistorische Zeit- und Charaktergemälde“, mit Illustrationen (Berlin, Deutsche Hausfrauenzeitung). Es liegen bisher zwei Lieferungen dieses Werkes vor, welchem die durch ihre eigene gemeinnützige Thätigkeit rühmlich bekannt gewordene Verfasserin hohe Ziele gesteckt hat: „Bei der Wichtigkeit der Frauenbewegung unserer Zeit für die gesammte Menschheit, bei den unleugbaren Fortschritten, die in ihr gemacht worden, und bei ihrem Antheil im Zusammenhang mit der socialen und wirthschaftlichen Frage, welche alle civilisirten Nationen beschäftigt, faßte ich den Entschluß, die verschiedenen Richtungen dieser wichtigen und erfolgreichen Bewegung in Biographien derjenigen Frauen niederzulegen, welche von je eine hervorragende Stellung unter den weiblichen Pionieren unseres Jahrhunderts einnehmen.“ Die Portraits, welche die ersten Hefte enthalten sind mit liebevoller Sorgfalt ausgeführt und erwecken ein günstiges Vorurtheil für die künftig zu erwartenden Charakterköpfe dieser Frauengalerie.

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Die gepfändete Kuh. (Mit Illustration S. 97.) Die amtlichen Erkenntnisse und Verfügungen nehmen sich oft genug hinter dem grünen Tische sehr viel anders aus, als in der Ausführung. O! ein „Von Rechts wegen“ ist eine eigene Sache. Es kann geschehen, daß wir, vernünftig betrachtet, nichts gegen dasselbe einzuwenden haben – die Gerechtigkeit hat ihrer würdig gesprochen; während, wenn es zur Exekution kommt und wir dabei zusehen, uns die Galle der Empörung aufsteigt. Da ist ein Beispiel, eines für tausend: die arme Wittwe mit der herangewachsenen Tochter und dem kurzzöpfigen Spätling, sie sind vielleicht im Stande, sich redlich mit ihrer Hände Arbeit zu nähren, redlich, aber kärglich; sie haben ihre Hühner und ziehen junge Brut zum Verkauf, und sie haben aus der bessern Zeit noch ihre Kuh, die Blässe, an der ihre Herzen hängen – die Vertraute der Kinderjugend, die Haupternährerin. Aber der Vater hat eine Schuld auf dem Häuschen hinterlassen, und der reiche Bauer, der Gläubiger, will sein Geld haben. Warum? gleichviel, er will sein Geld haben. Sie flehen um Geduld, in ein paar Jahren kann es abverdient sein – nein, er will sein Geld haben. Er klagt, und es kommt ein Mann des Gesetzes mit dem Unerbittlichen und pfändet die Kuh ab. Das Haus wird öde sein ohne die Blässe, öde, wie wenn Jemand gestorben. Der Mutter will das Herz brechen, die große Tochter weint, die kleine ist zornig und erbittert – nutzt nichts; er kann sein Geld fordern und er nimmt ihnen die Kuh. Man wird sie vielleicht versteigern, es kommt wenig dabei heraus; er darf noch einmal fordern und noch einmal pfänden. Vielleicht versteigert man das ganze Haus und Jemand kauft es für den zehnten Theil des Wertes: „von Rechts wegen“. Die Humanität protestirt dagegen. Die ausführenden Diener der Gerechtigkeit sind eben darum übel dran, weil ihre Aufträge zuweilen wider die Humanität streiten, weil sie unter Umständen etwas thun müssen, was dem öffentlichen Gefühl, vielleicht ihrem eigenen zuwider läuft. Viktor Hugo hat seinen besten Roman, die „Misérables“, auf diesem Gebiet der Gerechtigkeit aufgebaut, wo sie für die Empfindung zum Unrecht wird. Ob die menschliche Gesellschaft eines Tages die Wage finden wird, um in jedem Falle die Forderungen der Gerechtigkeit mit denjenigen der Menschlichkeit auszugleichen? Wer weiß es?


„Die drei Pinto’s.“ Neuerdings hat eine interessante Aufführung stattgefunden, eine Art von Ausgrabung, durch welche nachgelassene Kompositionen eines großen Meisters ans Licht gezogen worden sind. Es handelt sich um keinen Geringeren als den Komponisten des „Freischütz“, den Liebling des deutschen Volkes, Karl Maria von Weber. Aus seiner Lebensbeschreibung erfahren wir, daß er, bald nachdem er den „Freischütz“ eingereicht, bei der Direktion des Dresdener Hoftheaters anfragte, ob dieselbe auch geneigt sei, eine neue Oper von ihm zu geben, mit deren Ausarbeitung er gerade beschäftigt sei; er erhielt die Antwort, daß man jetzt von den Vorbereitungen zum „Freischütz“ hinlänglich in Anspruch genommen und daß es überhaupt nicht üblich sei, zwei Werke eines und desselben Komponisten in einer Saison zu geben. So vollendete Weber „Die drei Pinto’s“ nicht, zu denen Theodor Hell den Text geschrieben hatte, und auch später kam er nicht dazu, sich mit dem Werke zu beschäftigen. Er hatte, wie man erfährt, 7 Nummern vollendet und für 17 Nummern Tonart und Tempo angegeben. Nach seinem Tode wandte man sich an Meyerbeer mit dem Anliegen, daß er die Oper vollenden solle. Doch dieser lehnte dasselbe ab. Auch spätere Versuche, einen Komponisten zu finden, der das Werk auf Grundlage des vorhandenen Textes, der ausgeführten Nummern und der Aufzeichnungen Weber’s zu Ende führe, blieben erfolglos.

Da nahm sich neuerdings der Enkel Weber’s, der in Leipzig lebende Hauptmann von Weber, des vergrabenen Schatzes an, dichtete den Text von Theodor Hell um und fand in dem Leipziger Kapellmeister Mahler einen jugendlichen, unternehmungslustigen Musiker, der vor der schwierigen Aufgabe nicht zurückschreckte, den Weber’schen Torso zu restituiren, mit Benutzung der hinterlassenen Musikstücke und Bemerkungen des Meisters und im Anschluß an dessen Eigenart. Daß ihm das Werk gelungen,

Anmerkungen (Wikisource)

  1. „sich“ fehlt in der Vorlage.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 99. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_099.jpg&oldid=- (Version vom 2.10.2019)