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verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

ihre Brust hob und senkte sich, als müsse jeder Athemzug ihr heilsam sein.

„Jawohl, eine Sterbende!“ sagte sich Lothar. „Und dann – dann?“

Der Herzog, der neben seiner Gemahlin in den Kissen lehnte, schien für weiter nichts Sinn zu haben, als für das Wildgatter, das sich längs des Waldes hinzog.

Und dann? Baron Gerold kannte es nur zu gut, dieses Geheimniß, das alle Welt bereits wußte; es hatte Flügel gehabt und war ihm bis zu der stillen Villa am Mittelmeer gefolgt. Er hatte sich nicht gewundert, als er erfuhr von der Leidenschaft des Herzogs; er hatte es kommen sehen und die Faust geballt, als er zum ersten Male den Namen des regierenden Herrn mit dem ihren zusammen gehört.

Ihre Hoheit begann zu plaudern; sie sprach unaufhörlich von Claudine, und er mußte antworten, obwohl er ihr die Hand auf den Mund hätte pressen mögen.

Hinter ihnen rollte der Wagen, der die älteste Hofdame der Herzogin trug, die Freiin von Katzenstein. Neben dieser freundlichen alten Dame saß Palmer und lächelte süßsäuerlich; daß der Herzog heute bereits den Weg zu dem Eulenhause fand, dünkte ihm allzu eilig.

Plötzlich hielt das Gefährt. Er beugte sich seitwärts über den Schlag und das säuerliche Lächeln verschärfte sich noch. Dort, in einiger Entfernung vor ihnen, stand die fürstliche Equipage, zur Seite der Chaussee eine andere; es war der Neuhäuser Wagen; Palmer erkannte ihn an den feurigen Rappen und der schwarzgelben Kokarde des Kutschers. Und jetzt stieg Baron Gerold aus und reichte der Herzogin ein weißes, mit blauen Bändern verziertes Etwas hinüber – sein Kind.

„Ah, Frau von Berg mit der Kleinen der Prinzeß Katharina,“ sagte die Freiin und nahm die Lorgnette; „es soll ein jammervolles Würmchen sein. Die arme Berg thut mir leid!“

Herr von Palmer setzte sich wieder in den Fond; er antwortete nicht auf die letzte Bemerkung, er lächelte noch immer. „Wie ländlich, gemüthlich das Alles war!“ – Endlich zogen die Pferde wieder an und die Neuhäuser Equipage rollte an ihnen vorüber. Mit einer Verbindlichkeit ohnegleichen grüßte der kleine brünette Mann die schöne Frau unter dem buntfarbigen Sonnenschirm. Sie hielt das Kind auf dem Schoß und ihre blaugrauen Augen flimmerten seltsam zu ihm herüber.

„Sie ist noch immer schön,“ murmelte die Freiin, etwas reservirt ihren Gruß erwiedernd, „und, mein Gott, sie kann die Jüngste auch nicht mehr sein! Warten Sie doch, Palmer; ich meine, vor dreizehn Jahren wäre sie uns zum ersten Male in Baden-Baden begegnet, als ich mit der Herzogin-Mutter und dem Herzog dort – es war bei der Gräfin Schomberg. Und dann kam sie mit ihrem alternden Mann nach der Residenz; die Luftveränderung sollte ihr gut thun, erzählte sie.“ Ueber das gutmüthige Gesicht der alten Dame flog ein leiser Schalk. „Ich will ihr nichts Böses nachsagen, es war ja eine so kurze Glanzzeit, Palmer; ein Jahr darnach verheirathete sich der Herzog bereits und von dem Tage an war er ein Juwel von einem Ehemann.“

„O meine Gnädigste, Seine Hoheit bewegten sich stets auf dem Pfade der Tugend, wie auch heute, wie in diesem Augenblick noch; wer würde daran zweifeln!“

Die alte Dame fixirte das lächelnde Gesicht ihres Nachbarn und die Röthe des Aergers lief ihr über die Wangen. „Lassen Sie mich aus mit Ihren Sarkasmen, Palmer!“ rief sie; „was Sie meinen, weiß ich, aber nun und nimmermehr ist ein Fünkchen Wahrheit daran. Claudine Gerold –“

„Ah! Wer sagt etwas gegen Claudine von Gerold, die reinste unserer reinen Frauen?“ entgegnete er und hob den Hut über den kahlen Scheitel.

Frau von Katzenstein wurde noch röther, biß sich auf die Lippen und schwieg. Dieser Palmer war ein Aal, nie zu greifen; ein Mephisto, ein Tartuffe –. O, sie fand in ihrem Zorn nicht genug Ehrentitel, die sie dem allgemein verhaßten Günstling in ihrem Herzen gab.

„Da sind wir,“ sagte er und wies mit der fein behandschuhten Rechten nach dem Giebelfelde der Klosterruinen, deren Sandsteinarabesken wie Spitzen auf dunklem Sammet erschienen. Ueber dem Thurm des Wohngebäudes, der aus mächtigen Wipfeln emporstieg, flatterten Heinemann’s Tauben zum Himmel empor wie Silberfunken, und unter den niederhängenden Buchenzweigen leuchteten die Blumen des Hausgärtchens auf.

„Fürwahr, meine Gnädige,“ sprach Herr von Palmer, „es ist ein Idyll, dieses Eulenhaus; ein Winkelchen wie geschaffen, um ungestört von künftigem Glück zu träumen.“




Auf der Plattform des Zwischenbaues erscholl ein Lachen; es war just nicht melodisch, wie es von schönen Frauenlippen klingt; es war ein wenig zu laut, aber so herzhaft, so hell, daß selbst der eifrig schreibende Mann in der Glockenstube aufhorchte und ein leises Lächeln über sein anfänglich unwilliges Gesicht glitt.

Wie das klang! So keck, so ehrlich, so kerngesund! Es muthete ihn seltsam an; er mußte an eine kühle Waldquelle denken, die über Gestein und Felsen sprudelt. Merkwürdig, dieses Lachen – und es war Beate, das „barbarische“ Frauenzimmer, das so lachte. Er schüttelte den Kopf und griff zur Feder, aber das Lachen klang immer wieder hinein in seine Gedanken. Dort unten aber, in dem Schatten der Steineiche, trocknete Beate sich eben die Thränen, welche die Heiterkeit ihr in die hellen Augen getrieben.

Sie saß neben Claudine auf der Bank, die der alte Heinemann zierlich aus Birkenstämmen zusammengefügt hatte, und ertheilte Unterricht im Gebrauch der Nähmaschine. Das kleine blitzende Räderwerk stand vor ihnen auf dem grün gestrichenen Gartentische und die schönen schlanken Hände der einstigen Hofdame bemühten sich, mit dem komplicirten Mechanismus zu Stande zu kommen.

„Es sieht so drollig aus bei Dir, Claudine,“ lachte Beate. „Aber, Herzenskind, Du hast ja längst keinen Faden mehr in der Nadel und nähst mit wahrem Fanatismus! Siehst Du, da ist er – so, das war recht.“

Das schöne Mädchen im leichten einfachen Kleide hatte dunkelrothe Wangen vor Eifer.

„Nur Geduld, Beate, ich lerne es bald,“ sprach sie und beschaute die Naht. „Ich werde Dir nächstens noch bei Deiner Näherei helfen können.“

„Na, das fehlte!“ wehrte Beate ab. „Das Haus voller Frauensleute, die sich im Wege stehen, und Du mir helfen, bei Deiner vielen Arbeit? Die wenigen Stunden, die Du erübrigst, solltest Du Deinem Klavier schenken und Deiner Staffelei. Aber auf jemand Anderen habe ich ein Attentat vor, und zwar auf die Berg. Glaubst Du wohl, daß diese Person auch nur ein Strümpfchen strickt für das Kind? Und als ich ihr neulich von unserer feinsten selbstgesponnenen Wolle etwas ins Zimmer trug und sagte: ‚Hier, meine Beste, für das Kindchen kann schon immerhin zum Winter vorgesorgt werden, es ist kalt hier in den Bergen,‘ bekommt sie eine kreideweiße Nase und sagt: ‚Ihre Durchlaucht, die Prinzessin Thekla, würde es sich nicht nehmen lassen, die Garderobe ihres Enkelkindes bis aufs Ipünktchen zu besorgen, und wollene Strümpfe seien überhaupt ungesund.‘ – ‚So?‘ fragte ich, ‚sehe ich ungesund aus? Oder der Vater des Kindes? Und wir, meine Beste, haben in der Kindheit nichts weiter auf dem Leibe gehabt, als selbstgesponnene Wolle von unserer Schäferei und selbstgewebtes Leinen, und damit sind wir groß geworden.‘ Sie wagte nicht zu antworten, aber – das Gesicht! Sie suchte ihren Aerger zu verbergen und bemerkte dann sehr kühl, sie habe strenge Vorschriften von der Prinzeß. Heiliger Gott! Na, warum ist Lothar so dumm gewesen! Er ist doch der Vater! Aber als ich ihm nachher die ganze Sache erzählte, zuckte er die Schultern und schwieg. Ich sollte nur das verfütterte Würmchen vier Wochen haben, Du würdest Wunder erleben, Claudine; es würde eben so frisch wie die kleine Dicke da.“ Und sie zeigte auf das Kind, das an seinem kleinen Tische eifrig mit Täßchen und Tellerchen spielte, welche Tante Claudine heute früh aus ihrem eigenen Puppenschrank hervorgesucht hatte. „Uebrigens,“ fuhr Beate fort, „auch Dir bekommt die frische naturgemäße Lebensweise; Du solltest Dich nur einmal sehen jetzt. Deine Augen so glänzend – und dazu der leise rosige Schimmer auf den Wangen, den Du am Hofe ganz verloren hattest. Ein Glück, Schatz, daß hier Keiner ist, dem Du den Kopf verdrehen kannst, Du –.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1888, Seite 102. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_102.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)