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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

seinen Weg bis in die Hauptstadt fort und nahm daselbst Wohnung bei seinem Gastfreunde, dem Kaufmann, der ihn bis dahin geleitet hatte. Nach einigen Tagen schickte der Sultan eines Morgens um drei Uhr einen Sklaven mit dem Befehl, Nachtigal solle sofort mit seiner vortrefflichen Flinte, von welcher er gehört habe, zu ihm kommen, um auf seinem Hofe Proben von der Güte dieser Waffe abzulegen. Nachtigal ließ erwiedern, der Sultan habe ja selbst Schützen genug; er sei gekommen, um ihn und sein Land kennen zu lernen, nicht um ihm etwas vorzuschießen. Nach mehreren Tagen ließ ihn der Sultan direkt zur Audienz abholen. Der Gastfreund und der Diener nahmen traurig von ihm Abschied; denn alle hielten seine sofortige Hinrichtung für gewiß. Im Palast wurde Nachtigal in eine Art von Vorraum geführt, der von dem eigentlichen Audienzzimmer durch einen bis auf den Boden hängenden Teppich getrennt war. Unter demselben mußten diejenigen, an welche die Reihe kam, vor dem Sultan zu erscheinen, auf allen Vieren hindurchrutschen. In diesem Raume fand er eine Menge Bittsteller versammelt und setzte sich zu ihnen. Kaum hatte er sich aber niedergelassen, so erhoben sich diese sämmtlich und hockten auf der gegenüberliegenden Seite nieder: ein Zeichen, daß sie ihn als einen dem Tode Verfallenen ansahen, mit welchem in nähere Berührung zu kommen auch ihnen verhängnißvoll werden konnte. Nachtigal glaubte in der That ernstlich, seine letzte Stunde sei gekommen, und machte sich fertig, mit Anstand zu sterben; denn nichts gilt in diesen Ländern für verächtlicher, als sich im letzten Augenblicke feige zu benehmen. Mit diesen Gefühlen kroch er unter dem Vorhang durch und betrachtete dann verstohlen das Antlitz des Gefürchteten, in dem er weniger Grausamkeit als Strenge und einen hohen Grad von Intelligenz zu bemerken glaubte. Das gab ihm einen Funken von Hoffnung, und nachdem er, auf den Knieen liegend, den Kopf tief auf die Erde geneigt, unter Zusammenschlagen der Hände die vorschriftsmäßige Begrüßungsformel gemurmelt, wartete er die Anrede des Sultans Ali nicht ab, sondern nahm allen seinen Muth zusammen, sah ihm ins Gesicht und rief: „In meinem Lande kniet man nur vor Gott, nicht vor Menschen.“ Zu seinem Erstaunen brach Ali nicht in Zorn aus, sondern antwortete: „So stehe auf und setze Dich zu mir.“

Von diesem Augenblicke an hatte er gewonnenes Spiel. Nur einmal grollte der Donner noch. Der König fragte ihn, woher er komme. Nachtigal überbrachte ihm voller Freude die Grüße Scheich Omar’s und wollte sein Empfehlungsschreiben hervorziehen; der Sultan aber winkte ihm entschieden mit der Hand ab: „Laß den Brief nur stecken; was wird weiter darin stehen, als daß ich Dich nicht umbringen soll? Ich allein bin Herr in meinem Lande, und wenn ich Dich nicht tödte, so thue ich es, weil ich nicht will, nicht aber weil Scheich Omar darum bittet.“

Nach dieser Audienz stand Nachtigal unter des Sultans Schutz; ja, er gewann in solchem Maße das Vertrauen desselben, daß er es wagen durfte, nach Vogel’s nachgelassenen Papieren zu fragen; der Sultan wurde roth unter seiner schwarzen Haut; denn er fühlte, daß Nachtigal ihm nicht glaubte, als er versicherte, davon nichts zu wissen; Vogel sei zu Zeiten seines Vaters gestorben.

Unter dem Schutze Ali’s durfte der Reisende nicht bloß in Abeschr verweilen, sondern auch weite Reisen im Lande machen; er wurde von ihm mit Rath und That unterstützt und erhielt von ihm sogar ein werthvolles Empfehlungsschreiben an den Sultan von Dar For.

Es war eine muthige That von Nachtigal, daß er sich in die Höhle des Löwen wagte; so ist er der erste Erforscher des Landes Wadai gewesen. Die deutsche Reichsregierung hatte wahrlich keinen Fehlgriff gethan, als sie den entschlossenen Mann in ihre Dienste nahm. Leider wurde er durch einen allzu frühen Tod (1885) dem Vaterlande entrissen. Auf Kap Palmas stand bis vor kurzem sein palmenumrauschtes Grab. Am 17. Dezember vorigen Jahres sind die Ueberreste des großen Reisenden in einen Zinksarg gelegt und nach Kamerun übergeführt worden, wo sie in nächster Nähe des dort bereits errichteteten Denkmals ihre Stätte finden werden.

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Altes und neues. Zu den geringfügigsten und in Haus und Familie doch unentbehrlichsten Gegenständen gehört zweifellos die Stecknadel, jenes winzige Geräth, das im Einzelnen fast werthlos, in der großen Menge aber, in welcher es verbraucht wird, immerhin einen nicht zu unterschätzenden Konsumartikel bildet. Wo Metallnadeln zuerst in Gebrauch waren, ist nicht festzustellen, obwohl man nadelähnliche Gegenstände nicht selten bei Ausgrabungen aus der Bronzezeit findet. Aber sie besitzen nicht die Kleinheit und Zierlichkeit unserer heutigen Nadeln, was bei den mangelhaften Hilfsmitteln der vorgeschichtlichen Völker nicht zu verwundern ist. Um so mehr mußte es überraschen, als man bei Durchforschung der unterirdischen Tempelgänge, Grotten und Begräbnißkammern des alten, jetzt seit länger als zweitausend Jahren in Trümmern liegenden, einst so mächtigen Theben Stecknadeln fand, die eine erstaunliche Aehnlichkeit mit unseren heutigen Nadeln dieser Art haben. Sie besitzen dieselbe Länge, denselben Kopf und sind aus ähnlichem Metall wie unser Messing gefertigt: ein Beweis, wie weit die Kultur der alten Aegypter schon vorgeschritten war. Im Alterthumsmuseum des Louvre zu Paris sind 25 Stück solcher Nadeln aufbewahrt; sie sind so sauber gearbeitet, daß man über die Geduld und Geschicklichkeit ihrer Verfertiger staunen muß, wenn man berücksichtigt, daß diese Nadeln ein Alter von mehr als dreitausend Jahren besitzen.

Die Perlenfischerei im Vogtlande. Waldesrauschen, Quellengemurmel, Vogelsang, Liederklang, Biederkeit, Zähigkeit, Genügsamkeit, Betriebsamkeit: mit dieser Aufzählung ist die Summe der natürlichen Vorzüge des Vogtlandes und seiner Bewohner nicht erschöpft; denn mit den Reizen seiner landschaftlichen Schönheit hat – in der Vergangenheit allerdings mit entschiedenerem Erfolg als in der Gegenwart – der Erzreichthum seiner Berge gewetteifert. Aber auch die zahlreichen Wasserläufe dieses waldgesegneten Hochlands bergen mehr als nur den flüssigen Segen der Flur und der industriellen Betriebsamkeit, mehr als die köstliche Forelle und deren zahlreiche Sippe. Wie nach den Mittheilungen Sebastian Verso’s und den Berichten anderer vor Jahrhunderten dem Goldreichthum im Gebiete der weißen Elster und der Göltzsch mittels vielfacher Wäschereien erfolgreich nachgespürt wurde, so ist noch heutigen Tages die Perlenfischerei im Oberlaufe der weißen Elster und einer Anzahl in diese mündender Bäche unter der Oberleitung des Staates im Gange. Es handelt sich hierbei um die Flußperlmuschel Margaritana margaritifera, die Bewohnerin kalkarmer Süßgewässer mit Kieselgrund, die auch in Nordeuropa, im nördlichen Nordamerika, im bayerischen Wald und im Fichtelgebirge zu Hause ist. Noch bis in unser Jahrhundert herein waren die Perlenbänke der weißen Elster und ihrer Nebenflüßchen von ihrem Ursprung an bis herab in die Gegend von Greiz reich an Perlen und deshalb berühmt. Gegenwärtig deckt die vogtländische Perlenfischerei kaum mehr die auf sie verwendeten Kosten. Keine Gegend Deutschlands konnte sich früher eines gleichen Reichthums an Perlen in ihren Wasserläufen rühmen, wie die Gegend bei Oelsnitz im Vogtlande.

Gegenwärtig finden sich noch Perlen, abgesehen von der Elster selbst, im Mühlhausener, Schönlinder-, Tettenweiner-, Neumeier-, Tantler-, Elers-, Görnitz- und Triebelbache. Zu Anfang des vorigen Jahrhunderts ergab der Triebelbach ein Erträgniß von 300 000 Mark. Unter Kurfürst Johann Georg von Sachsen wurde Moritz Schmirler in Oelsnitz als kurfürstlicher Perlenfischer mit einem jährlichen Gehalte von 30 Gulden in Pflicht genommen. Der Perlenfang wurde damit ein Recht der Krone. Noch heute besitzt die Familie Schmirler (Schmerler) in Oelsnitz das Vorrecht des Perlenfanges und übt es für Rechnung des Staates aus. Die Schmirler genossen früher eines bedeutenden Rufes als Perlenfischer auch im Auslande. So wurde nach Mittheilungen „Heliander’s“ im Jahre 1734 ein Schmirler nach Dänemark, um über die dortige Perlenfischerei ein Gutachten abzugeben, berufen. Im Jahre 1694 wurden 294 große und kleine Perlen gefunden. Die größten und besten Perlen dieser Ausbeute hatten – damals! – einen Werth von 60 Thalern. Die Ausbeute sank aber, vermuthlich im Zusammenhange mit der Zunahme der Industrie und der durch diese bedingten größeren Unruhe und der Verunreinigung der Gewässer, ununterbrochen. Je versteckter und ungestörter die Muschel liegt, desto besser gedeiht sie ja und mit ihr die Perle. Als man in dem erwähnten Triebelbache einst ein Wehr aufriß, fand man auf dem Grunde desselben eine große Zahl der schönsten Perlen, deren größte den Umfang einer Muskatnuß hatte. Im Jahre 1886 wurden noch 50 helle, 28 halbhelle, 18 verdorbene und 4 Sandperlen gefunden, gegen 154 Stück im Jahre 1885. Neuerdings scheint man ernsthaft auf eine neue Belebung und eine Hebung der Perlmuschelkultur Bedacht nehmen zu wollen.

Razzia im Kaukasus. (Mit Illustration S. 136 und 137.) Während im Westen und im Centrum des Kaukasus die Civilisation seit der russischen Besitznahme Riesenschritte gemacht hat, findet man noch heute in den nordöstlichen und östlichen Provinzen Zustände, die an die schlimmsten Zeiten des Mittelalters erinnern. Besonders waren und sind es gegenwärtig noch die Daghestaner und unter diesen wieder die Avaren und Lesghier, welche sich durch Rohheit und Grausamkeit hervorthun.

„Mohammed ist der erste Prophet Allah’s, und Schamyl der zweite!“ so lautete der Schlachtruf dieser fanatischen Scharen, welche das religiöse Prinzip zum Deckmantel genommen hatten, um, von ihrem kaukasischen Ziska geführt, Tod und Verderben über die „Ungläubigen“ zu bringen.

Der letzte russisch-türkische Krieg gab den Banditen wieder einmal die erwünschte Gelegenheit, die Glieder etwas freier zu rühren, und besonders als die russischen Waffen eine Zeit lang im Nachtheil waren und als es hieß, Schamyl’s Sohn befehlige einen Haufen türkischer Freischärler, war in den daghestanschen Provinzen niemand mehr seines Lebens sicher. Gleich als fühlten sich die Barbaren gedrängt, all der durch einige Jahre niedergehaltenen Grausamkeit die Zügel schießen zu lassen, brachen sie in Abtheilungen über die tiefer gelegenen Gehöfte herein, um ihrer lang zurückgehaltenen Raublust in vollster Unbeschränktheit fröhnen zu können. – In unserem Bilde, in welchem die Gestalten und Typen meisterhaft wiedergegeben sind, sehen wir ein solches Häuflein, das wieder einmal einen guten Fang gemacht hat. Waffen, Hausgeräthe, Teppiche, Pferde, Kamele – alles ist ihnen willkommen; das kostbarste aber sind sicherlich die Weiber, die, wenn jung und schön, jede andere Beute aufwiegen. Die Gruppen der grausamen Räuber und ihrer Opfer, die Bergpferde und Kamele, die großartige Alpenscenerie des Kaukasus ringsum: alles dies ist von dem Maler zu einem stimmungs- und ausdrucksvollen Gemälde verwerthet worden.

Dichterhonorar. Der französische Komponist Lully im 17. Jahrhundert, der alle seine Texte sich von Quirault schreiben ließ, zahlte für jeden Text 4000 Franken. Doch wußte Lully, der zugleich Generalintendant des Theaters war, sein Kapital vortrefflich zu nützen; denn während der 14 Jahre seiner musikalischen Alleinherrschaft ließ er in der Großen Oper in Paris kein einziges Werk eines anderen Komponisten aufführen … Das thäte vielleicht auch noch heute gar mancher Kapellmeister – wenn’s nur ginge!

Eine neue russische Eisenbahn. Rußland macht gewaltige Anstrengungen, seine Besitzungen in Asien und Europa enger zu verbinden. Ein direkter Eisenbahnweg soll durch ganz Sibirien hindurch zur Flottenstation Wladiwostok am Stillen Ocean führen. Gegen die Länge einer solchen Riesenbahn tritt selbst diejenige der amerikanischen Pacificbahn zurück; sie wird 6400 Kilometer betragen und einen Kostenaufwand von 380 Millionen Rubel zu ihrer Herstellung verlangen. Damit dieselbe in fünf Jahren beendet werde, sollen die Arbeiten gleichzeitig an fünf verschiedenen Punkten in Angriff genommen werden. Die Bahn führt durch die fruchtbarsten Landstrecken Sibiriens und wird für Handel und Verkehr von großer Wichtigkeit sein; auch können nach ihrer Vollendung, wenn der chinesische Nachbar den Krieg erklären sollte, große Truppenmassen rasch an seine Grenze gebracht werden. Doch die Petersburger Blätter überschätzen die Bedeutung der Bahn, wenn sie meinen, dieselbe werde für die Millionen Chinas, Koreas und Japans dasselbe sein, was die Eröffnung des Suezkanals für die ganze Welt geworden ist. Dazu ist Wladiwostok nicht bequem genug gelegen, und ein Personenzug von dort nach Petersburg wird mindestens 16½ Tage brauchen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 147. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_147.jpg&oldid=- (Version vom 6.6.2018)