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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

auf dem Kamin sich im Zuge seitwärts legten und dunkler brannten. Und abermals trat er vor sie. „Sie wissen, daß mein Bruder, der Erbprinz, plötzlich starb, kurz vor meines Vaters Tode, vor nunmehr zwölf Jahren?“ fragte er.

Sie neigte bejahend den Kopf.

„Nun, Sie wissen aber nicht, daß damals seitens unseres Hofes mit dem Kabinett zu X. Unterhandlungen stattgefunden hatten über das Projekt einer Heirath der Prinzessin Elise mit dem Erbprinzen, meinem Bruder. Man war fast zum Abschlusse gelangt, das heißt, mein Bruder sollte wie von ungefähr nach X. zur Brautschau kommen – da starb er und mit den Rechten, die ich übernahm, übernahm ich auch die Pflichten. Nach beendeter Trauerzeit reiste ich nach X. und freite die Braut.“

„Es ist freier Wille gewesen, Hoheit!“

„Mit nichten! Mir war diese Heirath eine schwere Bürde mehr zu der, die mir ohnehin die Krone brachte. Prinzeß Elise, die mich ahnungslos empfing und mich mit ihren großen Kinderaugen anstarrte, war von der Bewerbung meines Bruders so wenig unterrichtet, wie von der Absicht, mit der ich ihr entgegentrat. Sie läßt sich leicht begeistern, und mit wenig Mühe gewann ich ihr Herz; mir waren die Frauen höchst gleichgültig zu jener Zeit, ich kannte die Besten nicht, die Andern schienen mir langweilig. Prinzeß Elisabeth war mir unbequem im Anfang; ich vertrage es nicht, wenn Frauen beständig in höheren Regionen schweben. Ich hasse alles Exaltirte, dieses himmelhoch Jauchzende, zum Tode Betrübte; ich konnte anfänglich rasend werden bei ihren Thränenergüssen. Später wurde mir das, was mich anfangs abstieß, im höchsten Grade gleichgültig. Ich bin ihr stets ein aufmerksamer Gatte gewesen und von einer gewissen nachsichtigen Schwäche gegen ihre Kapricen, seitdem sie krank; ich ehre und achte sie als die Mutter meiner Kinder; aber mein Herz blieb ewig ruhig und ward immer ruhiger, je inniger ihre Neigung zu mir wurde. Ich kann nicht dafür; es wird auch nicht anders durch Reflexionen darüber. Da sah ich Sie. Ich weiß, ja ja ich weiß, Sie beurtheilen das vom herkömmlichen Standpunkte und flüchteten vor dieser Neigung in Ihr Waldidyll; aber mich trieb es nach mit dem alten heißen Sehnen und ich finde Sie unnahbarer als je, finde Sie als die Freundin der Herzogin.“

Es zuckte unsicher in seinem Gesicht. „Gut, Claudine, ich werde für jetzt mich bescheiden,“ fuhr er fort; „nur die eine Bitte noch, sagen Sie mir, lieben Sie einen Andern?“

Sie schwieg. Eine Purpurgluth floß über ihr Antlitz; die vollste schämige Mädchenhaftigkeit kam über sie. Stumm senkte sie das blonde Haupt.

„Sagen Sie ‚Nein‘!“ flüsterte der Herzog leidenschaftlich.

„Hoheit wünscht, Fräulein von Gerold möge mit den Aventiureliedern von Scheffel in das Schlafzimmer kommen, um Hoheit vorzulesen,“ sagte Frau von Katzenstein eintretend.

Claudine war erschreckt zusammengefahren und sah ihn an, wie um Erbarmen flehend.

„Ja – oder Nein, Claudine, ist Ihr Herz schon gebunden?“ flüsterte er befehlend.

Sie trat zurück und verbeugte sich tief. „Ja!“ sagte sie fest und schritt hochaufgerichtet an ihm vorüber, in der Hand das Buch, das sie mechanisch vom Tisch genommen. Vorlesen – jetzt? Sie war halb betäubt.

(Fortsetzung folgt.)




Nachdruck verboten.     
Alle Rechte vorbehalten.
Vom Nordpol bis zum Aequator.
Populäre Vorträge aus dem Nachlaß von Alfred Edmund Brehm.
Wanderungen der Säugethiere.
(Fortsetzung.)

In kleinem Maßstabe beobachten wir Wanderungen bei allen Gebirgsthieren. Die Gemse, der Steinbock, der Alpenhase, das Murmelthier wandern mit Beginn der Schneeschmelze, oder doch wenig später, über Halden und Gletscher hinwegziehend, zu den Höhen empor, deren jetzt frei gelegte Weidegründe reichliche und gedeihliche Nahrung versprechen, und kehren nach tieferen Lagen des Gebirges zurück, bevor noch der Winter herannaht. Der Bär, von Hause aus Allesfresser, durch Gewohnheit Räuber, tritt, wenigstens in den Gebirgen Sibiriens, zu derselben Zeit eine ähnliche Wanderung an und beendet sie eben so vor Eintritt des Winters; die verschiedenen Wildkatzen und Wildhunde, welche im Gebirge leben, verfahren nicht anders. Ortsveränderungen solcher Art finden auch in den Gebirgen südlicher Länder, selbst in solchen des heißen Gürtels statt. In Indien wie in Afrika steigen gewisse Affenarten zu bestimmten Zeiten und regelmäßig auf und nieder, suchen die Elefanten mit Eintritt des Sommers die Höhen, mit Eintritt des Winters die Tiefen auf; in den Andes Südamerikas flüchten die Guanakos vor dem Schnee in die Thäler, vor der sommerlichen Gluth auf die Rücken der Berge. Das Gebirge setzt allen diesen Wanderungen ziemlich eng bemessene Grenzen. Es handelt sich um Höhenunterschiede von ein- bis dreitausend Meter, um Entfernungen, welche im Verlaufe weniger Stunden, höchstens weniger Tage zurückgelegt werden können. Bezeichnend für die Wanderungen ist jedoch immer ihre Regelmäßigkeit, insbesondere das genaue Einhalten der Zeit, in welcher sie erfolgen, nicht minder bezeichnend die übereinstimmende Wahl der Straßen, auf denen sie geschehen.

Hügelland und Ebene, Meer und Luft gewähren weiteren Spielraum als das Gebirge, und deshalb lassen sich die dort lebenden oder zeitweilig sich bewegenden Thiere leichter als die im Gebirge hausenden auf ihren Wanderungen verfolgen, beziehentlich als Wanderthiere erkennen.

In den Tundren Rußlands und Sibiriens tritt das Ren, welches in Skandinavien das Gebirge nicht verläßt, allherbstlich weite Wanderungen an und kehrt erst im folgenden Frühjahre nach seinen sommerlichen Wohnsitzen zurück; annähernd um dieselbe Zeit verläßt es Grönland und zieht, das Eis als Brücke über das Meer benutzend, nach dem Festlande von Amerika hinüber, verweilt hier während des ganzen Winters und sucht erst im April die Fjelds seiner heimathlichen Halbinsel wieder auf. Hier wie dort scheint die Sorge des kommenden Winters nicht die einzige Ursache der Wanderung zu sein, vielmehr gleichzeitig eine im hohen Norden sehr fühlbar werdende Plage einen weiteren Beweggrund zu bilden; denn der kurze Sommer erweckt in jenen Breiten eine zwar an Arten arme, an Einzelwesen aber unendlich reiche Kerbthierwelt, vor allen anderen eine unbeschreibliche Menge von Stechmücken und Dasselfliegen, welche nicht allein dem Menschen, sondern auch einem Ren das Leben verbittern. Ihnen zu entgehen, verläßt das Thier die morastige Tundra, über welcher während des kurzen Sommers ununterbrochen Wolken von Mücken schweben, und flüchtet auf die von der Plage minder hart heimgesuchten Alpenhöhen der Gebirge seiner Heimath, welche dann in aller ihnen möglichen Fülle würzige Weide bieten. Vererbte Gewohnheit bewirkt, daß es nicht allein zu derselben Zeit, sondern auch auf denselben Wegen wandert, ja förmliche Pfade oder Straßen austritt, welche deutlich erkennbar meilenweit durch die Tundra verlaufen und an bestimmten Stellen Flüsse und Ströme übersetzen. Mit Beginn der Wanderung scharen sich die Renkühe mit ihren Kälbern in Rudel von zehn bis hundert Stück und ziehen den Spießhirschen und Schmalthieren voraus, denen wiederum die alten Hirsche sich anschließen. Ein Trupp folgt unmittelbar hinter dem andern, so daß der Beobachter Tausende zählen kann, welche an ihm vorübergehen. Alle eilen unaufhaltsam vorwärts, schrecken weder vor Quergebirgen noch vor breiten Strömen zurück und gelangen erst, nachdem sie die Winterherberge erreicht, allmählich zur Ruhe. Meuten von Wölfen, Bären und Vielfraßen heften sich an ihre Sohlen und legen so ebenfalls einen nicht geringen Theil des Weges zurück. Im Frühjahre auf dem Rückzug wandern die Thiere zwar ungefähr in derselben Ordnung, aber in viel kleineren Trupps, auch weit gemächlicher und langsamer und eben so nicht genau auf denselben Pfaden, auf denen sie gekommen waren.

Noch weitere Strecken, als die Renthiere, legen die amerikanischen Wisente oder Bisons, die „Büffel“ der Prairien, zurück. Wie weit diese Thiere wandern, konnte allerdings noch nicht festgestellt werden, aber man ist ihren auf der Wanderschaft

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 152. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_152.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)