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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

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Das Eulenhaus.
Hinterlassener Roman von E. Marlitt. Vollendet von W. Heimburg.
(Fortsetzung.)

Die Herzogin lag in ihrem mächtigen französischen Himmelbette, dessen schwere seidene Purpurvorhänge zurückgenommen waren. Das ganze Gemach zeigte dieses tiefe satte Roth, die Lieblingsfarbe seiner Bewohnerin; unter der Decke hing eine Ampel aus Rubinglas. Neben dem Bette stand ein niedriges mit rother Seide bezogenes Tischchen, darauf eine Lampe mit ebenfalls rothem Lichtschirm; in einem zusammenlegbaren Juchtenrahmen die Photographie des Herzogs und der Prinzen. An der gegenüberliegenden Wand hing in schwerem Goldrahmen eine wundervolle Kopie der Madonna della sedia; der erste Blick der Erwachenden mußte dieses schöne Bild treffen.

Die fürstliche Frau schien sich ganz erholt zu haben; sie lag mit einer gewissen Behaglichkeit unter ihrer Purpurdecke und lächelte der Eintretenden entgegen. „Setzen Sie sich auf das Tabouret hier und lesen Sie mir die Thüringer Lieder, liebe Claudine. War der Herzog noch bei Ihnen?“ fragte sie dann, „ist er sehr geängstigt über den Hustenanfall? Es thut mir so leid, wenn ich in seiner Gegenwart husten muß; ich weiß, er ist dann verstimmt. War er sehr traurig?“

Die Kranke sah forschend in die bewegten Züge des schönen Mädchens, welches nicht wußte, was sie antworten sollte. Sie nahm Platz und bückte sich nach ihrem Taschentuch zur Erde, um Zeit zu gewinnen. Wie furchtbar war doch ihre Lage!

„Claudine,“ sagte die Herzogin, „ich glaube, Ihr haltet mich alle für sehr krank, für kränker als ich bin. Lesen Sie nur, ich will keine Antwort. Dort, wo das Zeichen liegt.“

Und Claudine las mit bebender Stimme:

„Denn das ist deutschen Waldes Kraft,
Daß er kein Siechthum leidet
Und alles, was gebrestenhaft,
Aus Leib und Seele scheidet –“

„Hören Sie?“ unterbrach die Herzogin, „hören Sie? Auch ich werde hier genesen! Und morgen wird die Sonne scheinen, und wir wandern hinaus in die Tannen und athmen Gesundheit – o, meine geliebte Heimath!“

* *
*

Als Claudine Abends die Treppe hinabstieg, um heimzufahren, trat ihr Herr von Palmer entgegen und begleitete sie vollends hinunter. Er gab hinter Claudinens Rücken der Kammerfrau einen Wink, die sogleich verschwand.

„Mein gnädiges Fräulein,“ begann er mit einer geflissentlich zur Schau getragenen Ehrfurcht – er hätte nicht devoter sein können, wäre sie die Herzogin selbst gewesen – „Se. Hoheit hat mich mit dem schmeichelhaften Auftrage betraut, ein Billet in Ihre Hände zu legen, was ich hiermit thun möchte.“

Er hielt ihr ein Briefchen hin, mit dem herzoglichen Wappen gesiegelt. „Es betrifft Ihre Hoheit, die Frau Herzogin, und Antwort sei nicht nöthig, sagten Hoheit. Darf ich bitten?“

Sie mußte es nehmen, obgleich sie die Hand des Menschen am liebsten zurückgestoßen hätte. Wie konnte der Herzog so unvorsichtig sein, ihr durch diese Kreatur einen Brief, einen verschlossenen Brief zu senden! Sie riß das Kouvert in seiner Gegenwart auf und las; es waren nur wenige Zeilen:

„Claudine! 

Sie sind ein ungewöhnlicher Charakter und werden dementsprechend auch das Ungewöhnliche richtig beurtheilen. Nach Ihrem letzten Wort – habe ich nur noch eine Bitte: bleiben Sie der Herzogin auch trotzdem eine Freundin, geben Sie meinem Bekenntniß nicht die Folge, Altenstein zu meiden! Sie haben es nicht nöthig, Claudine! Bei meinem Wort, Sie dürfen mir vertrauen!

Adalbert.“     

Sie ging rasch, Billet und Kouvert in der herabhängenden Rechten tragend, weiter. Herr von Palmer folgte ihr und half ihr devot in den Wagen; er ließ sich sogar nicht nehmen, behutsam die Schleppe ihres Kleides in das Koupé zu legen, so zart und vorsichtig wie eine Mutter, die um den Ballstaat einer Tochter besorgt ist, und trat erst mit tiefer Verbeugung zurück, als der Diener die Wagenthür schloß.

„Auf Wiedersehen!“ sagte er, als jetzt der Lakai zum Kutscher auf den Bock sprang und die Pferde anzogen. Dann nahm er mit lächelnder Miene aus seinem rechten Aermel ein Papier. „Man muß derartiges fester halten, schöne Claudine,“ murmelte er und überflog die Zeilen beim Scheine der Thürlaterne.

Er nickte befriedigt und ging, eine Operettenmelodie vor sich hinsingend, in das Schloß zurück, um sein Zimmer im Erdgeschoß aufzusuchen. Dort zündete er sich eine Havanna an, warf sich auf die Chaiselongue und überlas das Billet noch einmal. Was es enthielt, wußte er bereits seit Stunden; er las, sozusagen, alles, was der Herzog schrieb, heimlich, aus der Ferne, aus der Bewegung der Feder; schlimmsten Falles öffnete man so ein Kouvert. Heute war es sogar ohne diese Mühe geschehen; denn der Herzog war, bevor er das Kärtchen in die Enveloppe schob, erregt aufgesprungen und im Zimmer umher gegangen, und somit hatte der Inhalt des Billets für solche Falkenaugen offen dagelegen. Aber trotzdem, es war doch angenehm, das Original zu besitzen!

„Se. Hoheit scheinen einen etwas stürmischen Anlauf genommen zu haben,“ murmelte er, „und sie – hat ihn in tugendhafter Entrüstung abgewiesen, gedroht, nicht wieder zu kommen. Und nun bittet er, der Herzogin wegen, diesen grausamen Vorsatz aufzugeben, und verspricht Besserung. Zeit gewonnen – alles gewonnen! denkt er. Es entwickelt sich sehr logisch, es ist gar nichts dagegen zu sagen – hm! Sie ist klug, sie wird sich nie begnügen, Sr. Hoheit die Stirn mit Rosen zu bekränzen; sie wird regieren helfen wollen; diese Damen glauben ja alle, ihre schiefe Stellung durch sogenannte gute Thaten zu sühnen; sie wollen den Unglücklichen, den sie in ihrer Macht haben, veredeln, wollen dem Volke zeigen, daß sein geliebter Herrscher keiner Unwürdigen in die Hände fiel; es soll anbetend vor ihnen auf den Knieen liegen und sie ‚des Landes guten Engel‘ nennen. Und mit ihrem auf Kleinliches gerichteten Interesse sehen auch die Klügsten nur das, was ihnen zunächst vor Augen steht, und dieses Nächste könnte möglicher Weise im vorliegenden Falle – ich sein!“

Er blies den Rauch seiner Cigarre zur Decke empor und betrachtete die Stuckarabesken dort oben.

„Sie kann mich nicht leiden,“ sprach er weiter; „es geht ihr mit mir, wie es weiland dem unschuldigen Gretchen mit Mephisto erging; und es ist klar, daß sie eines Tages zu ihrem fürstlichen Faust sagen wird: ‚Der Mensch, den Du da bei Dir hast, ist mir in tiefer innerer Seele verhaßt‘ – und so weiter. Das möchten wir am Ende doch verhindern! Ich will es nicht darauf ankommen lassen, ob der Herzog ihr glaubt oder nicht – daß ich ein Schelm. Einstweilen freilich – Attention! Die Berg wird helfen, sie hat eine hervorragende Begabung für Intriguen; mir selbst graut zuweilen vor diesem Weibe.“

„Das Souper ist servirt,“ meldete ein Lakai. Herr von Palmer erhob sich ohne allzu große Eile, schloß sorgsam das Billet in einen riesigen alten Schreibtisch, dessen Täfelung das Gerold’sche Wappen zeigte, ordnete vor einem großen Stehspiegel sein spärliches Haar, wusch sich mit einer wahren Fluth Eau de Cologne die mageren feinen Hände, gähnte herzhaft, nahm den zusammenlegbaren Hut und die Handschuhe von dem ehrerbietig harrenden Diener, und nachdem er noch einen Blick auf die Uhr geworfen, welche die zehnte Stunde anzeigte, ging er nach dem kleinen Speisezimmer, wo die wenigen Kavaliere, die der Herzog für seinen hiesigen Aufenthalt gewählt, bereits versammelt waren: der alte Kammerherr von Schlotbach, der Adjutant von Rinkleben, der die Charge eines Rittmeisters besaß, und der Jagdjunker von Meerfeldt, ein Kerl wie ein junger Hund – wie Herr von Palmer ihn bezeichnete. Der letztere schien sich im allgemeinen der Freundschaft dieser drei Herren auch nicht besonders zu erfreuen. „Verzeihung,“ sagte er zu den in einer Gruppe Versammelten; „ich ließ warten, war im Allerhöchsten Dienste beschäftigt; und ein reizender Dienst, meine Verehrtesten! Ich hatte auf Befehl Sr. Hoheit die schöne Claudine von Gerold in den Wagen zu heben.“

„Donnerwetter, sie war schon wieder hier?“ rief der Jagdjunker mit ungeheucheltem Erstaunen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 170. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_170.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)