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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)


denen ich Scheu getragen in meiner Kindheit: das Alles hatte sich gemildert; und wie er mich scherzend seinen Herrn Nachbar genannt, hatte er trotz seines in den beiden Jahren völlig ergrauten Haares vortrefflich ausgesehen.

Aber war es, daß seine Frische mich doppelt schmerzlich an den Verlust meines Vaters gemahnt, der jünger gewesen war als der Graf, war es der galonnirte Diener in des Grafen Farben oder der Befehl, die Komtesse herbeizurufen – es fiel mir etwas schwer aufs Herz und ich fühlte mich unfrei, als im nächsten Augenblicke Komtesse Franziska vor mir stand und nicht näher an mich herantrat. – Ja! es war Komtesse Franziska! Sie durfte nicht mehr Franull sein, nicht mehr die Franull, die ich im Herzen getragen, überall mit mir hin, über Berg und Thal!

Ich erschrak vor der Deutlichkeit, mit der ich mir dessen bewußt ward, aber der Graf sollte mir seine Mahnung nicht vergeblich ans Herz gelegt haben! Es galt, Herr zu bleiben über sich in dem gegebenen Augenblick.

‚Kennen Sie mich nicht mehr, gnädige Komtesse?‘ fragte ich, ihr entgegengehend, mit einer, wie ich hoffte, gut gespielten Unbefangenheit.

‚Doch!‘ entgegnete sie, sich mir nähernd, um mir die Hand zu reichen, die ich an meine Lippen zog, ‚doch, Herr Courville, seien Sie willkommen!’ – Und nicht das leiseste Zucken ihrer Hand begegnete meiner Huldigung. Indeß die Thränen traten ihr in die Augen, und während sie mir die kleine Hand entzog, sagte sie: ‚Sie haben mir so leidgethan! Seinen Vater zu verlieren! – Ich kann’s nicht sagen!‘

Der Graf strich ihr leise über das goldige Haar; sie hob die thränenschweren schwarzen Augen zu ihm empor. Es war doch Franull … trotz des seidenen, modisch aufgeputzte Kleides, trotz des Chignons, in das man ihr schönes Haar zusammen gebunden, und trotz der Stelzenschuhe, welche die schnell emporgewachsene, sich füllende Gestalt noch ansehnlicher erscheinen ließen, als sie bereits geworden war.

‚Keine Thränen, Franziska, was sollen die!‘ tadelte der Graf. ‚Herr Courville findet leider der Trauer jetzt genug in seinem Hause. Er hat Freude nöthig. Heiße ihn heiter willkommen; Du weißt, ein Soldatenkind wie Du darf nicht thränenselig, muß tapfer sein! – Komm, laß uns vorangehen; Herr Courville wird uns folgen! Er hat ein groß Stück Welt gesehen, er wird uns vieles zu erzählen haben! Komm! Josias, Du kennst den Weg!‘

Ja, ich kannte ihn, den Weg, den ich hier fortan zu gehen hatte! Der Graf hatte ihn mir in ehrendem Vertrauen vorgezeichnet mit fester Hand.

Ich saß Franull gegenüber; der Graf, Madame Fleuron, der Kandidat erwiesen mir lebhaften Antheil. Ich sollte berichten von London und von Rom, von der Fingalshöhle und vom Vesuv; und ich erzählte und erzählte, und Franull hörte mir achtsam zu, hier und da meine Worte mit einer Frage unterbrechend; und wenn sie dabei ihr Auge auf mich richtete, fragte ich mich: wie soll ich ihn gehen, den Weg, der allein mir offen steht, unter dem Lichte dieser Augen? Wie soll ich schweigen, wenn die süßen Lippen und der holde Blick mich zu fragen scheinen: bin ich denn nicht mehr ich und Du nicht mehr Josias?

Ich durfte mich nicht versenken in ihr Anschauen, mich nicht anrufen! Wie ein Schlafwandler kam ich durch den Abend hin – hellsehend geworden langte ich in Schönfelde in meinem Hause an.

Mein Haus, mein Gut! Mitten in meiner Trauer um den Vater, mitten in der Liebesschwärmerei bemächtigte sich meiner eine Empfindung, die ich nie gekannt: die Freude an dem eigenen Grund und Boden, am Besitz. Ich schämte mich ihrer, denn sie erwuchs auf meines Vaters Grab, und ich konnte sie doch nicht unterdrücken, verdankte ich sie doch ihm und der Vergangenheit unseres Geschlechtes. Mein Vater hatte sie gefühlt wie ich, und sie erhob mich, diese Freude. Es lag so würdig vor mir, unser, mein schönes Haus, wie es vom Mondlicht übergossen aus dem dichten Land unserer Ulmen hervorschimmerte, als ich es spät genug erreichte. Das Licht aus meiner Mutter Fenstern winkte mir so freundlich; die weißen monddurchglänzten Wölkchen, denen mein Auge so gern gefolgt war in den Tagen meiner Kindheit, zogen jetzt wie damals lind und leise darüber hin – und wie von meines Vaters klarer Stimme gesprochen, hörte ich wie an jenem längst entschwundenen Tage die Worte in mir erklingen: Franull Wizkowich, das Fräulein von Dambow, die Komtesse Dubimin gehört nicht in das makellose Bürgerhaus der Courville von Schönfelde, – sie, die Zierde und Krone jedes Hauses!

Ich zuckte davor zusammen. Es konnte eben nicht sein, und es gab doch noch ein anderes als Liebesglück! Es gab die Arbeit, die Erfüllung der Pflichten, welche der Besitz mir auferlegte. Ich hatte meiner Mutter ihre Liebe zu vergelten, sie so glücklich zu machen, als sie es ohne meinen Vater sein konnte. Auch die Pläne des Grafen durfte ich nicht durchkreuzen. Er war meines Vaters Freund gewesen, hatte sich großsinnig mir zum Freunde angeboten. Ich hatte den schwer errungenen Frieden seines Herzens, das schwer erkämpfte Glück seines Lebensabends, und vor allem hatte ich die Herzensruhe seiner Tochter zu ehren, auf welcher all seine Hoffnungen beruhten. Meine Liebesträume mußten weichen, der Tag für die Arbeit war gekommen. Ich hatte mich zu verleugnen aus Liebe zu Franull.

Festen Willens trat ich in der Mutter Zimmer. Ich mußte es sie vergessen machen, daß wir nicht mehr zu dreien einander gegenüber saßen. Ich ging leicht über den Besuch in Dambow hinweg; ich hielt mich an das dort geschäftlich Verhandelte. Ich erlangte es, daß wir am nächsten Tage zur Eröffnung des Testamentes uns nach Berlin begaben. Ich wollte zur Vollendung der Ernte in Schönfelde sein. Den Leuten sollte, trotz des Todes ihres bisherigen Herrn, ihr Erntefest nicht fehlen; ich mußte ja zeigen, daß ich seines Sinnes sei. Auf meine Veranlassung hatte er einen neu erfundenen Pflug aus England kommen lassen; ich wollte die ersten Furchen mit ihm ziehen mit eigener Hand. Wie die ersten Courvilles die Maulbeeren nach Schönfelde gebracht, so wollte ich’s versuchen mit dem Mais und manchem Anderen noch. Ich redete mich an dem Abende immer zuversichtlicher in meine Seelenruhe und Charakterfestigkeit hinein; die Zufriedenheit meiner Mutter machte mich immer heiterer. Mein neuer guter Wille wirkte auf mich wie neuer Wein. Er stieg mir zu Kopfe. Ich berauschte mich an mir selbst, und sehr mit mir zufrieden schlief ich an dem Abend ein, um wieder einmal zu träumen von Franull, der schönen Komtesse von Dubimin.“

Josias lächelte bei diesem Schluß.

„Weiter! weiter!“ riefen meine Mutter und ich, denn er machte uns mit erleben, was er uns erzählt. Er aber wehrte uns ab mit sachter Handbewegung.

„Gemach, gemach, Madame!“ sprach er. „Verleiten Sie einen alten Mann, der sich schon genugsam selbst bespiegelt, nicht dazu, sich auch im Alter noch an sich selber zu berauschen. Es war genug an jenem einen Male.“

„Aber, Josias!“ stieß ich hervor, „es ist ja Poesie, ein Roman, den Du uns hier erzählst – und Du bist ein Dichter.“

„Mein Kind!“ bedeutete er nach, „die Jugend und die Liebe sind an sich die wahre Poesie; nur daß wir’s oft erst innewerden, wenn sie entschwunden sind, wenn wir sinnend an der sanften Herrlichkeit des Alpenglühens erkennen, wie hell die Sonne auch uns dereinst geleuchtet. Wer wahrhaft geliebt hat, hat sein Theil dahin! – Doch nun zum Schluß!

(Schluß folgt.)




Die Amateurphotographie.

Er photographirt! Wie oft habe ich die Worte mit einer verächtlichen Betonung sprechen hören, wenn in einer Gesellschaft ein Amateurphotograph sich sehen ließ. Die neue Art der Touristen, die nicht mit Ränzel und Stab, sondern mit Kamera-Tornister und Stativ Berge erklimmen und Thäler durchwandern, wurde dabei lächerlich gemacht. Kein Wunder, denn jede Neuerung wird verspottet, bis sie sich eingebürgert hat, und so wird auch die Amateurphotographie von vielen zu den müßigen unnützen Beschäftigungen, den brotlosen Künsten gezählt.

In letzterer Beziehung muß man der großen Menge Recht geben, denn der Amateurphotograph kann und will sich auch nicht mit der „Lichtkunst“ Geld verdienen. Sehr irrthümlich ist aber die Meinung, daß die Kenntniß der Photographie für den Laien ziemlich werthlos, ihr Nutzen nur darin zu suchen sei, daß man einige Landschaften oder Porträts von Bekannten aufnehme und in sein Album einreihe.

Eine nähere Betrachtung überzeugt uns vielmehr, daß das Photographiren ebenso wichtig und in vielen Fällen noch wichtiger ist als das

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 237. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_237.jpg&oldid=- (Version vom 6.6.2018)