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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

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Das Eulenhaus.
Hinterlassener Roman von E. Marlitt. Vollendet von W. Heimburg.
(Fortsetzung.)

Claudine ließ den Wagen am Eingange der Neuhäuser Lindenallee halten; sie wollte unbemerkt ins Haus, in Beatens Stube treten. Die Halle vermeidend, gelangte sie ungesehen durch die Hinterthür, huschte leise durch den Korridor und pochte kaum hörbar an die Wohnstube. Ein Schritt kam durch das Zimmer und die Thür wurde geöffnet.

„Ich bin’s, Beate“ flüsterte sie, „störe ich Dich nicht? Nur einen Augenblick.“

„Also wirklich, Du!“ rief die Kousine und zog das Mädchen in das noch finstere Gemach und zu einem Sessel.

„Laß nur, laß,“ wehrte Claudine; „ich wollte Dir nur sagen, daß ich übermorgen dennoch komme, wenn Du erlaubst.“

Beate lachte herzlich und küßte sie.

„Nun,“ rief sie in die Dunkelheit hinein, „wer hat denn Recht, Lothar? Mein Gang ist gar nicht einmal nöthig.“

Claudine erschrak; am Fenster hatte sich eine Gestalt erhoben. Um ihre Stirn flatterte es heiß. „Die Herzogin befahl,“ sagte sie stotternd.

„Es ist außerordentlich liebenswürdig von Ihrer Hoheit,“ sprach er, und seine Stimme klang sonderbar heiser, „soeben erwies auch Se. Hoheit mir die Ehre, die bereits erfolgte Absage zurückzuziehen.“

Claudine griff in das Polster des Sessels; sie zitterte plötzlich, aber sagte kein Wort. Welch peinlicher Zufall!

„So setze Dich doch,“ drängte Beate, „man sieht und hört so jetzt nichts mehr von einander. Ich habe begreiflicherweise wenig Zeit; aber da Du einmal hier bist, hilf mir die Tischplätze ordnen; ich kenne ja alle diese Menschen nicht, die da eingeladen sind und zugesagt haben.“

„Verzeih, Beate; ich habe etwas Kopfweh und der Wagen wartet draußen,“ sagte Claudine ablehnend und wandte sich zum Gehen. „Laß doch losen,“ setzte sie dann hinzu, als empfinde sie die Unart, Beaten diese kleine Gefälligkeit zu versagen.

„Natürlich!“ pflichtete Lothar bei; „mitunter bringt der Zufall das große Los und erhört fromme Wünsche. Darf ich mir gestatten, Sie zu Ihrem Wagen zu geleiten? “

Beate schmollte wirklich ein wenig; sie blieb zurück. Lothar schritt neben dem erregten Mädchen durch die erleuchtete Halle in den Garten hinaus. Sie sprachen nicht miteinander.

Im Schlosse war die ganze Fensterreihe des ersten Stockes erleuchtet; Prinzeß Helene liebte Licht, viel Licht. Sie hatte sich früh von der Tafel zurückgezogen, „um Kostüme anzuprobiren“. Der Schein, der von dort hernieder fiel, verbreitete sich noch bis unter das Dunkel der Bäume. Die Lindenblüthe duftete betäubend , es war ein warmer feuchter Sommerabend, der Mond verbarg sich hinter dunklen Wolken.

Sie kamen raschen Schrittes neben einander daher; vor ihnen huschte ein Schatten hinter einen der riesenhaften Bäume, ein zweiter folgte nach. Er hatte es wohl nicht bemerkt, Claudine aber war unwillkürlich stehengeblieben. „Sehen Sie nichts?“ fragte sie ängstlich.

„Nein!“ erwiderte er.

„So war es wohl eine Sinnestäuschung?“ entschuldigte sie sich.

Und nun ging sie rascher vorwärts bis zu dem Wagen, neigte den kleinen Kopf mit einem kühlen „Gute Nacht“ und schlüpfte hinein.

Das Rollen verklang in dem schweigenden Garten; der Mann dort, der dem Wagen nachgeschaut hatte, schritt nun langsam auf dem Fußwege außerhalb der Parkmauer dahin, dem Walde zu, als wollte er sich auf einsamen Pfaden Ruhe erwandern.

„Alice,“ flüsterte leidenschaftlich Prinzeß Helene und kam hinter dem Baumstamm hervor, „Alice, er ist mit ihr gefahren!“

„Durchlaucht, nur eine Kavalierpflicht.“

„O, ich kann das aber nicht ertragen, Alice, was thut sie hier? Was wollte sie? Alice, so sagen Sie doch ein Wort!“

Das erregte Flüstern der Prinzeß war in heftiges Sprechen übergegangen.

„Aber mein Gott, Durchlaucht,“ begann die schöne Frau, als könne sie vor schmerzlichem Staunen nicht Worte finden, „was soll ich sagen? Ich bin selbst konsternirt und fassungslos!“

Die Prinzeß eilte vorwärts bis zum Parkthore; dort stand eine alte Sandsteinbank und sie knieete hinter derselben im Dunkeln zur Erde und wartete, wartete mit fiebernden Pulsen – auf seine Wiederkehr. Frau von Bergs Stimme erschallte vergeblich durch den dunklen schwülen Garten. Sie ging endlich hinauf und lächelte in ihren großen Stellspiegel, indem sie das kokette Tuch um ihr volles Haar schlang, das sie übermorgen tragen wollte als Italienerin. Die Prinzessin kam erst nach Stunden zurück, mit bleichem Gesicht und verweinten Augen. Sie schlief nicht einen Augenblick in dieser Nacht.




Das Fest in Neuhaus war auf seinem Höhepunkt angelangt. Der warme Sommerabend, ohne jede Zugluft, machte es selbst der leidenden Herzogin möglich, im Freien zu bleiben. Die Purpurvorhänge des Zeltes, das unter den Linden unfern des Tanzplatzes stand, waren weit zurückgenommen; sie lehnte dort im bequemen Sessel, umgeben von einem dichten Kreis von Damen und Herren. Das wunderbare Licht, welches Dämmerung, Mondschein und Hunderte von farbigen Laternen schufen, ließ ihr schmales Gesicht unter der schwarzen mit Brillantnadeln befestigten Spitzenmantille noch blasser erscheinen als sonst, und die Augen größer noch und gluthvoller. Sie trug ein granatrothes kurzes Atlaskleid mit dem Spitzenvolant und das schwarze goldgestickte Jäckchen der Andalusierin. Man hatte ihr ein weißes flockiges Bärenfell zu Füßen gebreitet; auf den schmalen schwarzen Atlasschuhen blitzten Brillantschnallen. Sie sah schön aus heute Abend, sie wußte es, die Augen des Herzogs hatten es ihr verrathen, und das machte sie glückstrahlend.

Prinzeß Thekla in grauer Moirérobe saß neben ihr.

Vor ihnen breitete sich das reizvollste Bild aus unter den Zweigen der hundertjährigen Linden, deren Blätter smaragden schimmerten in dem Lichte zahlloser Flammen. Eine Fülle von Jugend und Schönheit wogte dort: blitzende Steine, leuchtende Schultern, brillante Farben und seltsame Beleuchtungseffekte. Die Gruppen dieser phantastischen, wie aus dem Feenreiche entstammenden Gestalten waren umschmeichelt von dem betäubenden Duft der Lindenblüthe, umrauscht von den elektrisirenden Klängen eines Straußschen Walzers.

„Ein Fest, wie zu Goethes Zeit in Tiefurt,“ sagte die Herzogin.

„Besonders, wenn man die schöne Gerold sieht; bitte, Hoheit, betrachten Sie diese Gestalt – wahrhaft klassisch! Wunderbar!“

Der Sprechende, ein kleiner aristokratischer Herr, dessen schmales Gesicht eitel Entzücken verrieth, stand hinter dem Stuhl Ihrer Hoheit und seine Blicke deuteten auf Claudine.

„O ja, mein lieber Graf,“ erwiderte die Herzogin und betrachtete ihren Liebling mit leuchtenden Augen, „sie ist, wie immer, der Stern des Abends.“

„Hoheit sind allzu bescheiden,“ sagte Prinzeß Thekla und ihre kalten Augen blickten wahrhaft vernichtend nach der bezeichneten Richtung.

Claudine stand außerhalb des guirlandenumschlungenen Tanzplatzes auf dem Rasen. Der alte Herr hatte nicht zuviel behauptet; nie war wohl ihre eigenartige Schönheit mehr zur Geltung gekommen, als an diesem Abend in der Tracht der Urgroßmutter. Sie trug das prachtvolle Blondhaar zu einem antiken Knoten am Hinterkopf zusammengebunden; einige kleine Löckchen krausten sich im Nacken und über der Stirn; ein schmales Diadem, in dessen Mitte ein Brillantstern funkelte, krönte den schönen Kopf. Die kurze Taille zeigte wundervoll geformte Arme und Schultern, nur leicht von einem seidenglänzenden Flor umhüllt. Ein kurzes enges Unterkleid aus weißem durchsichtigen Seidengewebe, am Saum mit breiter Silberstickerei verziert, ließ kleine rosa Schuhe mit kreuzweis gebundenen Bändern sehen. Und dieses duftige Kleid ward vervollständigt durch eine mattrosa Schleppe aus schwerer Seide, von breiter Silberstickerei umrandet. Ein rosa silberdurchwirktes Band, das in flatternder Schleife zur Seite endigte, war um die Taille befestigt; ein Strauß frischer Centifolien, der gefeierten Rose jener Zeit, schmückte die Brust. Die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 262. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_262.jpg&oldid=- (Version vom 24.7.2016)