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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Nachdruck verboten.     
Alle Rechte vorbehalten.
Das Eulenhaus.
Hinterlassener Roman von E. Marlitt. Vollendet von W. Heimburg.
(Fortsetzung.)

Neugieriges Volk.       Originalzeichnung von Friedrich Stahl.

Fräulein von Böhlen, die sich langsam zurückzog, wußte aus der müden Art ihrer sonst so rathbereiten liebenswürdigen Gebieterin, daß ihre Gedanken sich nur ungern von dem Krankenbette der Herzogin losrissen. Die junge Dame verneigte sich mit der bedauerlichen wehmütigen Miene, die sie schon seit längerer Zeit zur Schau trug, schon von dem Tage an, wo sie ihre Gebieterin einmal mit in Thränen schwimmenden Augen gesehen hatte. Und doch war sie innerlich sehr gehobener Stimmung; die geheime Angst, Claudine würde eines Tages in ihre alte Stellung zurückkehren und sie genötigt werden, wiederum in die mißmuthige Häuslichkeit daheim zu wandern, quälte sie nicht mehr; denn niemals würde die sittenstrenge Herzogin-Mutter wieder nach jener verlangen, die mit kecker Hand an den heiligsten Banden gerüttelt, den Frieden ihres Hauses getrübt. Sie lächelte, wie sie jetzt allein war, und ihre Gedanken flogen in die Zukunft, während sie, am Fenster stehend, über den sonnenbeglänzten Garten schaute. Was kümmerte sie der Schmerz und die Qual anderer? Sie empfand nur eins; sie würde nicht mehr um jeden Pfennig zu Hause keifen hören, sie würde nicht mehr mit stolz nachlässiger Miene an den Kaufläden vorüberzugehen brauchen, wo man ellenlange Rechnungen schuldig war und sich jede Woche mahnen lassen mußte; sie durfte nie mehr ihre Handschuhe mit Benzin waschen; sie hörte nicht mehr, wie das Dienstmädchen sich bei der gnädigen Mama beklagte, daß sie hungern müsse. Sie stand jetzt fest und sicher in der angenehmen Position einer Hofdame und Claudine von Gerold, die „reizende unvergeßliche Claudine“, deren Hand so sanft „wie die einer Tochter“ – war unmöglich geworden! Was wollte denn das hochmüthige Geschöpf noch mehr? Sie hatte einen mächtigen Beschützer gefunden! Fräulein von Böhlen wurde plötzlich roth – sie hätte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 325. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_325.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2016)