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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

wenn es sich nun vollends, wie in unserem Falle, um theilweise fremdes Land handelt, wenn es gilt, mit kirgisischen Gemeinden Berathungen zu pflegen, vermehrt sich der Troß ins Unendliche. Dann müssen nicht allein Wagen und Zelte mitgeführt werden, wie sonst bei Reisen in der Steppe, sondern gleich ganze Schafherden dem wandernden Heere vorausgehen, um die Hunderte ernähren zu können in der Wildniß. Seitdem wir den Saisansee verlassen hatten, befanden wir uns wiederum in China und eine Reihe von Tagen hatten wir zu reisen, bevor wir hoffen durften, in den jetzt nur in den tieferen Thälern besiedelten Theilen des Gebirges wiederum auf Menschen zu stoßen.

Mit uns aber reisten anfänglich mehr als zweihundert Menschen, meist Kirgisen, welche berufen worden waren, um einen kaiserlichen Befehl betreffs Aufhebung ihrer Weiderechte im kaiserlichen Krongute Altai entgegenzunehmen und sich über ihre infolge dessen zu ändernden Wanderungen zu einigen, aber auch nachdem die Berathungen vorüber waren, zählte unser Reisezug noch immer über hundert Pferde und sechzig Reiter. Am frühen Morgen wurden die Jurten uns Männern über dem Kopfe abgebrochen und dem Zuge vorausgesandt; dann folgten wir in kleineren oder größeren Gesellschaften, langsam reitend, bis uns auch die Damen, des Generals liebenswürdige Gemahlin und holde Tochter, wieder eingeholt hatten. Wir frühstückten an Stellen, die dafür geeignet waren, ließen die letzten Packpferde an uns vorüberziehen, folgten ihnen nach, überholten sie wieder, trafen meist schon mit den zu allererst aufgebrochenen, täglich sich verringernden Schafen am Halteplatze ein und hatten somit Gelegenheit, allabendlich das bunte Bild des Lagerlebens vor unseren Augen sich gestalten zu sehen. Herrliche, frischgrüne, frühlingsduftige Thäler nahmen uns auf, hohe, steil aufsteigende, weithin noch mit Schnee bedeckte Berge gewährten uns Fernblicke ins Hochgebirge hinein, auf die durchzogene Steppe hinab; bis zum Saur und Tarabagatai hinüber, bis wir endlich den Markakul, diese Perle unter den Gebirgsseen des Altai, vor uns liegen sahen und damit ins Hochgebirge selbst eingetreten waren. Drei Tage lang zogen wir, durch Weg und Wetter behindert, durch eine an den Gouverneur gelangte chinesische Gesandtschaft aufgehalten, längs des Sees dahin; dann aber eilten wir durch wirklich geschlossene Wälder, über schwer zu erklimmende Pässe bergauf, bergab der russischen Grenze entgegen und auf halsbrechenden Wegen in das blühende Thal der Buchtarma hernieder, um in der neugegründeten Kosakenansiedelung Altaiska Staniza wiederum einmal russische Gastlichkeit und Behaglichkeit zu genießen, zu rasten und zu ruhen.

Von den Offizieren der Staniza reichlich beschenkt mit allerlei Erzeugnissen der Umgegend, setzten wir am 13. Juni die Reise fort. Hell und freundlich lachte die Sonne vom reinen Himmel herab auf die großartige, heute zum ersten Male unverschleierte Landschaft. Unabsehbare parkartige Thäler, eingerahmt durch schroff sich auftürmende, schneebedeckte, heute mit zauberischen Farben übergossene Hochgebirge, herrliche Bäume auf den Wiesen, blühende Gebüsche an den Gehängen, unendlich mannigfaltiger, über alle Beschreibung köstlicher Schmuck der im langentbehrten Sonnenlichte gleichsam aufjauchzenden Blumen, frisch erblühte Heiderosen aller Farben dazwischen, Kuckucksruf und Vogelgesang aus allen Kehlen, kirgisische Auls in den breiteren Thälern am Fuße der Berge und russische, grün umbuschte Dörfer, weidende Herden, fruchtbare Felder, rauschende Bäche und zackige Felsmassen, milde Luft und würziger Frühlingsduft umschmeichelten die Sinne während der ganzen Fahrt.

Bald überschritten wir die Grenzen des kaiserlichen Gutes Altai – eines Gutes, welches an Größe nur wenig hinter Frankreich zurücksteht; nach einer Tagesfahrt erreichten wir das Bergstädtchen Serianoffsk mit seinen Silbergruben. Nachdem wir hier, freundlich empfangen wie immer und überall, alle Werke besichtigt, wandten wir uns wiederum dem Irtisch zu, ließen uns von seinen zwischen hohen und malerischen Felsenbergen rasch dahinfluthenden Wogen an Buchtarminsk vorüber und nach Ustkamenegorsk treiben und zogen von hier aus wiederum zu Wagen durch das zukunfttreiche Kaisergut. An die anmuthigen Gelände der Vorberge schließen sich steppenartige Ebenen an; mit dem besiedelten Lande wechseln ausgedehnte, bunte Wälder ab. Große, reiche Dörfer, wertvolle, fruchtbare, in kohlschwarzer Ackererde angelegte Felder, schön gebaute, ihres Wohlstandes bewußte Männer, schöne, in malerische Tracht gekleidete Frauen, kindisch neugierige und kindlich gutmüthige Menschen, treffliche, leistungsfähige, unermüdliche Pferde, kräftige, wohlgestaltete Rinder, in großen Herden weidesatt die Dörfer umlagernd, unendliche Wagenkarawanen, auf guten Wegen Erz und Kohlen verführend, Murmeltiere an den Berggehängen, Ziesel in den Ebenen, Kaiseradler auf den Markpfählen am Wege, reizende Zwergmöven an den Gewässern um die Ortschaften beleben die Gegend, welche die Straße durchschneidet. Wie im Fluge eilten wir durch das Land; wie im Fluge besuchten wir das mit Fug und Recht Schlangenberg benannte Hüttenstädtchen; kurze Rast nur gönnten wir uns in dem Hauptorte des Gutes, der Kreisstadt Barnaul, dann ging es weiter nach dem Bergstädtchen Salair, nach der großen Gouvernementsstadt Tomsk.

(Schluß folgt.)




Nachdruck verboten.     
Alle Rechte vorbehalten.
Das Eulenhaus.
Hinterlassener Roman von E. Marlitt. Vollendet von W. Heimburg.
(Schluß.)

Claudine ging wie im Traume nach dem sogenannten Arbeitszimmer der Herzogin, es war ein kleines, zu halber Höhe mit kostbarer Holztäfelung versehenes Gemach; antike, goldbedruckte Ledertapeten bekleideten die Wände, Bücherschränke und ein Schreibtisch aus dunklem Eichenholz, schwere Vorhänge und Teppiche, und die Büsten von Goethe, Shakespeare und Byron bildeten die Einrichtung. Es war fast dunkel hier an diesem grauen Tage. Durch eine der Thüren, deren Vorhang halb zurückgenommen war, sah man in den Wintergarten, und dort stand in dem vollen Tageslichte, das durch die Glaswände hereinströmte, Lothar, er hatte den Rücken hierher gewendet und betrachtete scheinbar mit Interesse einen Strauch blühender gelber Rosen.

Unwillkürlich trat Claudine zurück in den Schatten der hohen Bücherschränke. Sie sah ihn nicht mehr; sie wollte und konnte ihm jetzt nicht begegnen. Mit furchtbarem Herzklopfen lehnte sie in dem schützenden Winkel; sie wollte den Ring nicht, der ihr als eine Gabe des Mitleids erschien; wußte sie doch, daß er ihn zurückgab, weil er sein Wort nicht brechen wollte, und sie – durfte, konnte ihn nicht behalten. Und plötzlich blickte sie sich um, ob sie nicht entfliehen könne, denn sie vernahm die harte Stimme der Prinzeß Thekla.

„Nun, Baron,“ fragte diese, „also endlich sieht man Sie? Wissen Sie, daß ich Ihnen ganz böse bin? Sie sind seit gestern hier und haben sich im rothen Schlößchen noch nicht blicken lassen!“

„Es ist unrecht, Durchlaucht, allerdings! Ich fand aber hier so vielerlei zu thun, und außerdem – man macht doch nicht gerade Besuche an seinem Hochzeitstage.“

„Hochzeitstag?“ schrillte lachend die alte Dame. „Ich finde, Sie wählen die Zeit zu Ihren Scherzen recht eigentümlich – die Herzogin todtkrank! Wirklich, Lothar, Sie sind jetzt zuweilen sehr sonderbar; wissen Sie, daß Ihre Hoheit noch heute sterben kann?“

„Ach, Durchlaucht nehmen an, ich erlaubte mir einen unpassenden Scherz? Nichts würde mir ferner liegen. Ich selbst bin überrascht worden durch die Nachricht; indeß, die Herzogin wünscht, daß unser Bund noch heute geschlossen wird – wenn meine Braut einwilligt, natürlich.“

„Meinen Glückwunsch, Baron! – Weshalb sollte Ihre Braut nicht einwilligen?“ klang es spöttisch; „sie willigte doch so rasch in die Verlobung, und naturgemäß pflegt dieser doch die Hochzeit zu folgen. Sonderbare Laune übrigens von Ihrer Hoheit!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 420. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_420.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2016)