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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

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Die Alpenfee.

Roman von E. Werner.
(Fortsetzung.)

Seit jenem Besuche in Heilborn mochte etwa eine Woche vergangen sein, als Doktor Reinsfeld wieder den Weg nach dem Wolkensteiner Hofe einschlug; er war aber diesmal nicht allein, denn an seiner Seite ging Oberingenieur Elmhorst.

„Das hätte ich mir nicht träumen lassen, Wolfgang, daß das Schicksal uns hier zusammenführen würde,“ sagte der junge Arzt heiter. „Als wir uns vor zwei Jahren trennten, hast Du mich verspottet, weil ich in die ,Wildniß‘ ging, wie Du Dich auszudrücken beliebtest, und jetzt kommst Du selbst hierher.“

„Um dieser Wildniß die Kultur zu bringen,“ ergänzte Wolfgang. „Du scheinst Dich freilich darin ganz behaglich zu fühlen; Du hast Dich ja förmlich angesiedelt in dem elenden Alpendorfe, wo ich Dich aufspürte, Benno. Ich arbeite hier nur für meine Zukunft.“

„Nun ich dächte, Du könntest schon mit der Gegenwart zufrieden sein,“ meinte Benno. „Mit siebenundzwanzig Jahren Oberingenieur – das macht Dir so leicht keiner nach! Im Vertrauen gesagt, Deine Herren Kollegen sind wüthend über diese Ernennung. Nimm Dich in Acht, Wolf, Du geräthst in ein Wespennest!“

„Glaubst Du, daß ich Wespenstiche fürchte? Gespürt habe ich sie allerdings schon. Ich habe den Herren bereits klar gemacht, daß ich nicht gesonnen bin, mir unnöthige Schwierigkeiten bereiten zu lassen, und daß sie in mir den Vorgesetzten zu respektiren haben. Wenn sie den Krieg wollen – ich scheue ihn nicht!“

„Ja, Du warst immer eine kampflustige Natur, ich hielte es nicht aus, mit meiner Umgebung fortwährend auf dem Kriegsfuße zu leben.“

„Das glaube ich; Du bist der alte friedfertige Benno geblieben, der keinem ein böses Wort sagen konnte und deshalb auch ganz folgerichtig von seinen lieben Nebenmenschen malträtirt wurde bei jeder Gelegenheit. Wie oft habe ich es Dir schon gesagt: damit kommst Du nicht vorwärts im Leben, und vorwärts muß man doch nun einmal!“

„Bei Dir geht es freilich mit Siebenmeilenstiefeln vorwärts,“ sagte Reinsfeld trocken. „Du bist ja der erklärte Günstling des allmächtigen Präsidenten Nordheim, wie es heißt. Ich habe ihn kürzlich wiedergesehen, als er auf dem Wolkensteiner Hofe war.“

„Wiedergesehen? Kennst Du ihn denn überhaupt?“

„Gewiß, aus meinen Knabenjahren. Er und mein Vater waren Jugendfreunde und Studiengenossen; Nordheim kam damals fast täglich in unser Haus – wie oft habe ich auf seinen Knieen gesessen, wenn er den Abend bei uns zubrachte!“

„In der That? Nun, Du hast ihn doch hoffentlich daran erinnert bei dem Zusammentreffen?“

„Nein, Baron Thurgau nannte überhaupt meinen Namen nicht –“

„Und da hast Du es natürlich auch nicht gethan!“ rief Wolfgang lachend. „Das sieht Dir ähnlich! Der Zufall bringt Dich in Beziehung zu dem einflußreichen Manne, dem es nur ein Wort kostet, Dir irgend eine vortheilhafte Stellung zu eröffnen, und Du nennst Dich nicht einmal! Da werde ich das Versäumte wohl nachholen müssen, sobald ich den Präsidenten sehe, werde ich ihm sagen –“

„Ich bitte Dich, Wolf, laß das,“ fiel Benno hastig ein. „Es ist besser, Du redest nicht davon.“

„Aber warum denn nicht?“

„Weil – der Mann ist so hoch gestiegen im Leben; er liebt es vielleicht nicht, an die Zeit erinnert zu werden, wo er noch einfacher Ingenieur war.“

„Da thust Du ihm unrecht. Er ist stolz auf seine einfache Herkunft, wie alle tüchtigen Männer, und er wird die Erinnerung an einen Jugendfreund nicht zurückweisen.“

Reinsfeld schüttelte leise den Kopf.

„Ich fürchte, die Erinnerung würde eine peinliche sein. Es ist später irgend etwas vorgefallen – was? das habe ich nie erfahren; ich war ja noch ein Knabe, aber ich weiß, daß der Bruch ein vollständiger war. Nordheim betrat unser Haus nicht wieder und mein Vater vermied es sogar, seinen Namen zu nennen; sie hatten sich völlig entzweit.“

„Dann kannst Du allerdings nicht auf sein Wohlwollen rechnen,“ sagte Elmhorst enttäuscht. „Wie ich den Präsidenten kenne, vergiebt er nie eine vermeinte Beleidigung.“

„Ja, er soll unglaublich hochmüthig und herrschsüchtig geworden sein. Mich wundert es nur, daß Du mit ihm auskommst. Du liebst es doch grade nicht, Dich zu bücken.“

„Und eben deshalb begünstigt er mich! Das Bücken und Kriechen überlasse ich den Bedientenseelen, die sich vielleicht irgend eine untergeordnete Stellung damit erschleichen. Wer wirklich empor will, der muß den Kopf hoch tragen und den Blick aufwärts gerichtet nach seinem Ziele; sonst bleibt er ewig am Boden kleben“

„Nun, Du wirst Dir wohl auch einige Millionen zum Ziele genommen haben,“ spottete Benno. „Du warst nie bescheiden in Deinen Zukunftsplänen. Was willst Du denn eigentlich werden? Etwa auch Präsident des Verwaltungsrathes?“

„Vielleicht in Zukunft – vorläufig nur sein Schwiegersohn!“

„Dachte ich es mir doch, daß so etwas zum Vorschein kommen würde!“ rief Benno, laut auflachend. „Eigentlich hast Du ganz recht, Wolf: warum willst Du Dir nicht lieber gleich die Sonne da oben herunterholen? – Das ist ebenso leicht.“

„Glaubst Du, daß ich scherze?“ fragte Wolfgang kühl.

„Ja, ich bin so frei, das zu glauben, denn im Ernste denkst Du doch wohl nicht an die Tochter des Mannes, dessen Reichthum und Erfolge beinahe sprichwörtlich geworden sind. Nordheims Erbin wird wohl unter so und so viel Freiherren und Grafen zu wählen haben, wenn sie nicht gleichfalls einen Millionär vorzieht.“

„Dann kommt es eben darauf an, diesen Freiherren und Grafen den Rang abzulaufen“ sagte der junge Oberingenieur mit vollkommener Ruhe, „und das denke ich zu thun.“

Doktor Reinsfeld blieb plötzlich stehen und sah seinen Freund mit einer gewissen Besorgniß an, er machte sogar eine Bewegung, als wolle er nach dessen Puls greifen.

„Dann bist Du entweder übergeschnappt oder verliebt,“ entgegnete er kurz und bündig. „Ein Verliebter freilich hält alles für möglich, und Dir scheint der Besuch in Heilborn verhängnißvoll geworden zu sein. Armer Junge, das ist allerdings eine traurige Geschichte!“

„Verliebt?“ wiederholte Wolfgang, während ein unendlich spöttisches Lächeln um seine Lippen zuckte. „Nein, Benno, Du weißt, ich habe nie Zeit und Lust gehabt, mich mit Liebesgedanken abzugeben und jetzt weniger als je. – So sieh mich doch nicht so entsetzt an, als ob das ein Hochverrath wäre! Ich gebe Dir mein Wort darauf, Alice Nordheim würde es nicht bereuen, wenn sie mir die Hand reichte; sie würde an mir den aufmerksamsten und rücksichtsvollsten Gatten haben.“

„Nun, dann nimm es mir nicht übel, wenn ich diese ganze Berechnung erbärmlich finde,“ brach der junge Arzt heftig aus. „Du bist jung und talentvoll; Du hast eine Stellung errungen, um die Dich Hunderte beneiden, die Dich aller Sorgen enthebt; die ganze Zukunft steht Dir offen und Du hast nichts im Kopfe, als die Jagd nach einer reichen Frau – Du solltest Dich schämen, Wolf!“

„Lieber Benno, das verstehst Du nicht,“ erklärte Wolfgang, der den Vorwurf sehr gelassen hinnahm. „Ihr Idealisten begreift es ja überhaupt nicht, daß man mit dem Leben und den Menschen rechnen muß. Du wirst natürlich aus Liebe heirathen, wirst in irgend einem kleinen Landstädtchen mühselig das Brot für Frau und Kinder erwerben, vielleicht mit Sorge und Noth ringen und endlich klanglos in die Grube fahren, mit dem erhebenden Bewußtsein, daß Du Deinem ,Ideal‘ treu geblieben bist. Ich bin nun einmal anders geartet; ich will alles vom Leben oder nichts.“

„Nun, dann in des Kuckucks Namen erobere es Dir durch eigene Kraft!“ rief Benno, der immer hitziger wurde. „Dein großes Vorbild, Präsident Nordheim, hat es auch gethan.“

„Gewiß, aber er hat mehr als zwanzig Jahre dazu gebraucht. Wir steigen auch hier auf der Bergstraße langsam und mühselig zur Höhe, im Schweiße unseres Angesichts. Sieh Dir den geflügelten Burschen da an!“ er wies auf einen mächtigen Raubvogel, der über der Schlucht seine Kreise zog. „Den tragen seine Schwingen in wenigen Minuten bis zum Gipfel des Wolkenstein. Ja es muß schön sein, dort oben zu stehen, die ganze Welt zu seinen Füßen zu sehen und der Sonne nahe zu sein! Ich will nicht damit warten, bis ich alt und grau geworden bin; jetzt will ich empor und, verlaß Dich darauf: ich wage den Flug, früher oder später.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 434. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_434.jpg&oldid=- (Version vom 6.4.2020)