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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

erzwang. „Du mußt mich entführen, und zwar übermorgen Mittag um zwölf Uhr dreißig Minuten. Dann reist nämlich der Großonkel nach seinem Gute zurück und Papa und Mama begleiten ihn bis auf die Bahn; sie machen immer so entsetzlich viel Umstände mit ihm. Inzwischen können wir mit aller Bequemlichkeit durchgehen; wir reisen nach Gretna Green, lassen uns schleunigst trauen – ich habe einmal gelesen, daß es dort kein Standesamt und sonstige Umständlichkeiten giebt – und kommen als Mann und Frau zurück. Dann mögen sich all meine todten Ahnen auf den Kopf stellen und der lebendige Großonkel dazu; ich frage gar nichts danach, wenn ich erst Deine Frau bin.“

Der ganze Entführungs- und Reiseplan wurde in höchst überzeugender Weise vorgetragen, fand aber leider nicht die erwartete Zustimmung; denn Gersdorf sagte mit ruhiger Entschiedenheit:

„Nein, Wally, das geht nicht.“

„Nicht? Warum nicht?“

„Weil es verschiedene Gesetze und Paragraphen giebt, die dergleichen romantische Exkursionen nachdrücklich verbieten. Dein kleines Sprudelköpfchen hat freilich noch keine Ahnung von dem Leben und seinen Pflichten; aber ich kenne sie, und es würde mir, der ich eigens berufen bin, das Recht zu schützen, schlecht anstehen, wollte ich dies Recht mit Füßen treten.“

„Was gehen mich denn Deine Gesetze und Paragraphen an!“ fragte Wally, höchlich beleidigt durch diese kühle Aufnahme ihres romantischen Planes. „Wie kannst Du überhaupt von so prosaischen Dingen sprechen, wenn es sich um unsere Liebe handelt! Was sollen wir denn anfangen, wenn Papa und Mama bei ihrem Nein bleiben?“

„Vor allen Dingen warten, bis Dein Großonkel wirklich abgereist ist. Mit diesem starren alten Aristokraten ist nicht zu rechten; ich bin als Bürgerlicher in seinen Augen gänzlich unfähig, eine Baroneß Ernsthausen heimzuführen. Sobald aber sein Einfluß nicht mehr so ausschließlich in Deinem Elternhause vorherrscht, werde ich mir Gehör bei Deinem Vater verschaffen und versuchen, seine Vorurtheile zu überwinden; so leicht und schnell wird das allerdings nicht gehen, wir müssen eben Geduld haben und warten.“

Die kleine Baroneß stand ganz starr vor Schreck bei dieser Auseinandersetzung; sie sah all ihre Luftschlösser zusammenstürzen. Statt des geträumten Romans mit Flucht und heimlich geschlossener Ehe empfahl man ihr geduldiges Warten und Ausharren bei den tyrannischen Eltern, und der Geliebte, von dem sie erwartete, er werde sie im Sturme auf seinen Armen davon tragen, benahm sich so nüchtern und verständig, als beabsichtige er einen regelrechten Prozeß um ihren Besitz zu führen; das war zu viel für ihre heißblütige Natur, sie fuhr zornig auf:

„So sage es doch lieber gleich heraus, daß Dir an meiner Hand nichts liegt, daß Du nicht den Muth hast, etwas dafür zu wagen! Damals, als Du mir Deine Liebe erklärtest, sprachst Du ganz anders. Aber ich gebe Dir Dein Wort zurück, ich trenne mich auf ewig von Dir, ich –“ hier begann sie laut zu schluchzen, „ich werde irgend einen Menschen mit unendlich viel Ahnen heirathen, den mir der Großonkel aussucht; aber ich werde sterben vor Gram darüber, und ehe ein Jahr vergeht, liege ich selbst in der Ahnengruft!“

„Wally!“ sagte die ernste milde Stimme des Doktors vorwurfsvoll.

„Laß mich!“ sie versuchte ihm ihre Hand zu entreißen, aber er hielt sie fest.

„Wally, sieh mich an! Glaubst Du wirklich nicht an meine Liebe?“

Das war wieder jener Ton der vollsten Zärtlichkeit, den Wally nur zu gut kannte von jenem Abende her, wo sie beide allein waren in dem duftigen, dämmernden Wintergarten, wo sie mit klopfendem Herzen und glühenden Wangen das Geständniß der Liebe empfing, während drüben aus dem Saale die Töne der Musik herüberklangen. Sie hörte auf zu schluchzen und blickte durch den Thränenschleier zu dem Geliebten empor, der sich tief herabbeugte.

„Hat meine süße kleine Wally denn gar kein Vertrauen zu mir? Du hast Dich mir zu eigen gegeben, und nun bist und bleibst Du mein, mag sich auch alles dagegen setzen. Ich werde mir mein Glück sicher nicht entreißen lassen, wenn es auch noch eine Weile dauert, bis ich mein Weib in die Arme schließen kann.“

Das klang so warm, so innig, daß die Thränen der jungen Baroneß völlig versiegten, leise sank ihr Köpfchen an seine Brust, und es zuckte schon wieder ein Lächeln um ihre Lippen, als sie halb schelmisch und halb ängstlich fragte:

„Aber, Albert, so lange wird es doch nicht dauern, bis Du so alt wie der Großonkel geworden bist?“

„Nein, so lange nicht!“ tröstete Albert, indem er die letzte Thräne fortküßte, die noch an der Wimper hing. „Dann würde dies böse trotzige Kind, das sich so ohne weiteres von mir lossagt, wenn ich ihm nicht gleich auf der Stelle den Willen thue, mich schwerlich noch wollen.“

„O, Dich will ich immer!“ rief Wally mit stürmisch ausbrechender Zärtlichkeit. „Ich habe Dich ja so lieb, Albert, so grenzenlos lieb!“

Er zog sie in die Arme; aber seine Stimme sank jetzt zum Flüstern herab; Wally antwortete ebenso, und der Schluß der Unterredung blieb unverständlich. Nach etwa fünf Minuten traten beide wieder in den Salon, gerade zur rechten Zeit; denn soeben erschien Oberingenieur Elmhorst, der als Hausgenosse keiner Anmeldung bedurfte und von diesem Rechte Gebrauch machte.

(Fortsetzung folgt.)





Der Hypnotismus, sein Nutzen und seine Gefahren.
1. Die wissenschaftliche Forschung.

Professor J. N. von Nußbaum erzählt in seinem jüngst erschienenen Vortrage „Neue Heilmittel für die Nerven“[1], daß er vor 30 Jahren in Paris Sitzungen beiwohnte, in welchen Experimente mit dem sogenannten thierischen Magnetismus angestellt wurden. „Wir deutschen Mediziner,“ sagt der Verfasser, „hätten natürlich das höchste Interesse daran gehabt, eingeschläfert zu werden, um alles dabei Vorkommende möglichst selbst durchzumachen; allein es ist bei keinem einzigen von uns gelungen, ihn einzuschläfern, so daß die französischen Aerzte, die sich damit beschäftigten, immer ungehalten wurden, wenn wieder einer von uns hypnotisirt werden wollte. ‚Les Allemands passen nicht hierfür,‘ meinten sie. Von den anwesenden Parisern ist es dagegen stets gelungen, mindestens die Hälfte einzuschläfern.“ Professor von Nußbaum hat auch später auf seiner Klinik in München ähnliche Erfahrungen gemacht. Die Deutschen paßten nicht für hypnotische Experimente, sie waren dazu weniger veranlagt als die Franzosen.

Dies mag wohl mit der Grund gewesen sein, warum der Hypnotismus in Deutschland so geringe Fortschritte gemacht hat und bis vor wenigen Jahren von den wissenschaftlichen Autoritäten die sonderbaren Erscheinungen desselben in das Gebiet der Fabel oder des Schwindels verwiesen wurden. Dazu kam ja noch, daß die gelehrigen Schüler Anton Mesmers, der am Ende des vorigen Jahrhunderts als der größte Apostel des „thierischen Magnetismus“ aufgetreten war, durch ihre Schwindeleien die ganze Lehre in den ärgsten Mißkredit gebracht hatten, so daß schon eine einfache Beschäftigung mit derartigen Experimenten als etwas Ungeheuerliches und Unreelles betrachtet wurde. Das Vorurtheil in den fachwissenschaftlichen Kreisen war so festgewurzelt, daß selbst die schlagendsten Forschungen eines ernst die Wahrheit suchenden Arztes, wie die von James Braid in den vierziger Jahren dieses Jahrhunderts, unberücksichtigt geblieben sind und bis auf die neueste Zeit fast gänzlich vergessen wurden.

Heute ist es aber anders geworden. Es fanden sich Meister, welche auch die Deutschen in der Kunst des Hypnotisirens unterrichteten, und wenn wir an die Schaustellungen Hansens und

  1. Eduard Trewendt, Breslau 1888.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 458. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_458.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)