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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)


einer ganzen Reihe ihresgleichen gehörte, welche man durch kleine Kreuze angedeutet hatte – da war auf dieser Klippe ein Leuchtthurm angezeichnet, dessen Licht man auf zwölf Seemeilen weit übers Wasser hin sehen solle. Das war mir nun im Grunde gleichgültig; hauptsächlich kam’s mir nur darauf an, möglichst viel von dem Salzwasser und möglichst wenig von dem Lande der brotessenden Menschen vor mir zu sehen. Am Strande lag ein kleines Fischerdorf, von dem ich nie gehört – da konnte die Menge der Badegäste unmöglich eine besonders große sein. „Wie wär’s,“ sagte ich mir, „wenn du an den Leuchtthurmwärter unmittelbar schriebest und ihm ein anständiges Stück Geld für ein Zimmerchen oben bei der Laterne bötest? Die Leute können auch zuweilen Geld gebrauchen, und dir und ihm wäre vielleicht zugleich geholfen!“

(Fortsetzung folgt.)


Eine Gewissensfrage.

„Geben ist seliger denn Nehmen,“ heißt es in der Schrift, und tausend gute Herzen im weiten Vaterland bestreben sich täglich, das Wort zur Wahrheit zu machen. Aber das Wiedergeben muß offenbar eine viel geringere Seligkeit gewähren, sonst würden nicht so viele sonst ganz rechtliche Menschen, besonders Frauen –

„Nun höre einmal jemand diese Unverschämtheit! Geben wir nicht redlich alles wieder, was man uns geliehen hat? Portoauslagen, Bestecke zur Gesellschaft, wenn die eigenen nicht reichen, Schmuckstücke, Bowlengläser, Lampen und Teller –“

„Auch Bücher und Zeitschriften?! … Warum schweigen Sie denn setzt so plötzlich, meine Damen? (denn ich sehe nur Zuhörerinnen um mich; die Männer gehen den ,Gewissensfragen’ grundsätzlich aus dem Wege, wir brauchen uns keinen Zwang anzuthun.) Also Hand aufs Herz: auch Bücher, geliehene Bücher?“

Pause. – Dann eine Stimme: „Ja wohl, auch Bücher.“

„Wann? Nach wie viel Erinnerungen ? In welchem Zustande?“

O meine lieben, verehrten und reizenden Damen, gestatten Sie mir, hier in der „Gartenlaube“, wo Sie es am wenigsten erwarten, eine kleine Strafpredigt in der Hundstagshitze. – Wo liegt doch momentan der Band Heyse, Dahn, Ebers, Spielhagen, Heimburg, Keyser, Werner, Lewald (von unsern „leichtfertigen Nachbarn im Westen“ zu schweigen), den Ihnen eine gefällige Freundin, sagen wir drei Wochen vor Weihnachten, geliehen? Trotz der dringenden Arbeiten hatten Sie damals Zeit, ihn zu lesen, natürlich, so etwas läßt man nicht ungelesen liegen. In drei, in acht Tagen waren Sie mit der Lektüre fertig und die Begeisterung oder der Aerger (über die „unglaublichen“ Franzosen) sprühten in lebhaften Reden von Ihren schönen Lippen und gaben Gelegenheit zu den animirtesten Unterhaltungen im geselligen Kreise.

Aber das Buch selbst! Man Gott, das dumme Buch – allemal wenn man im pelzbesetzten Kostüm aus zierlichen Knopfstiefelchen „einmal“ ausging, war es richtig droben liegen geblieben; wollte man es morgens dem Dienstmädchen mitgeben, so war gewiß sonst so viel zu laufen, daß man Babette nicht auch damit noch belasten konnte, und die meisten Male, ja – hatte man eben überhaupt nicht daran gedacht.

Und es reihten sich die Tage zu Wochen, die Wochen zu Monaten, es kamen so viel pressante Dinge, auch neue Bücher – mein Gott, wer kann auch alles im Kopfe haben? Ein Hausball folgte mit großer Räumerei; die Zimmer wurden auf den Kopf gestellt, in den Hintergrund des Bücherschrankes flog alles, was von Gedrucktem unnütz herum lag, ohne Unterschied des Formates. Und dann, ja dann kam Ostern ins Land, eine Frühjahrsreise wurde gemacht, und um Pfingsten herum erfolgte eine etwas gereizte Mahnung der Freundin, ihr „endlich“ das Buch zurückzustellen.

Das Buch – ja, ist denn das nicht schon lange zurückgebracht? Erst besinnt man sich, dann sucht und endlich – da man etwas zum Lesen in die Sommerfrische mitnehmen will – findet man es. Aber in welchem Zustand! Die Ecken zerdrückt, das broschirte Rückgrat der Auflösung nahe, und hier aus dem ehemals neuen zartgelben Umschlag lächelt in riesigem Glanze an großer, in Wellenlinien verlaufender Fettfleck unbegreiflicher Herkunft. Ganz unbegreiflich, empörend sogar; denn man ist sonst ein Muster von Ordnung und Reinlichkeit und hat seine Sachen sämmtlich am Schnürchen!

Um die sauerblickende Freundin einigermaßen zu besänftigen, verspricht man ihr nun seinerseits ein neues, sehr interessantes Buch und greift in den Bücherschrank, dritte Reihe rechts, zwischen Fritz Reuter und Ebers hinein, wo es stehen muß. Muß, aber nicht steht. Eine Lücke klafft zwischen den grünen und den rothen Bänden.

Wo ist das Buch?! Nirgends. Wer hat es genommen?? Der bekannte freundliche Anstifter von angenehmen Ueberraschungen, der Herr Niemand. Er läßt bestens grüßen!

Und nun, schönste Frau, bricht Ihr Unwille mit der unwiderstehlichen Beredsamkeit los, die ich schon oft staunend verehrte:

„Wie, soll man sich da nicht todtärgern! Das ganze Jahr leihe ich meine Bücher aus, niemand ist darin gefälliger, als ich. Und ganz ausnahmsweise, daß ich einmal vergesse, eines zurückzugeben; aber mir giebt sie niemand zurück; ich habe schon die schönsten Werke auf diese Weise eingebüßt. Es kann sie ja immer nur ein Bekannter haben, aber alles Fragen ist umsonst. Es giebt offenbar Leute, die es rein vergessen, von wem sie ein Buch geliehen haben!“

„Ach, gnädige Frau, es giebt sogar solche, die vergessen, wem sie es weiter leihen, ohne den Eigenthümer zu fragen. Das ist noch viel ärger. Hören Sie eine schreckliche Geschichte:

Einer meiner Freunde, ein alter, würdiger Rechtsgelehrter, hatte nicht ohne Mühe und Belastung seines Gewissens sich ein verbotenes sozialdemokratisches Buch verschafft und dasselbe nach genommener mißbilligender Einsicht einer sehr jungen, höchst liebenswürdigen Freundin geliehen, welche vorgab, sich für die soziale Frage zu interessiren. Natürlich behielt sie es ein halbes Jahr; endlich mahnte er; sie ging auch an ihren Bücherschrank, um den bewußten Griff zu thun, und siehe da! griff in die Luft. Bebels Buch war verschwuuden; kein Rachsinnen half, sie zerbrach sich den Kopf drei Tage und drei Rächte umsonst, wem sie es geliehen haben könne, es fiel ihr nicht mehr ein. Und nun denken Sie sich die Lage der Aermsten, die dem gestrengen Juristen nicht zu gestehen wagt, daß das kostbare, verbotene, nicht wieder herbeizuschaffende Buch dahin ist! Sie zittert im Gedanken an das, was folgen wird, wenn er endlich doch dahinter kommt; denn wessen kann ein ergrimmter Justizrath nicht alles fähig sein! Aber verklagen kann er sie glücklicherweise darum nicht, und das ist noch ein kleiner Trost.“

Und nun, meine verehrten und holden Zuhörerinnen, nehmen Sie sich sämmtlich ein Exempel daran! Jede von Ihnen möge sich ein Buch anlegen, worin Namen und Datum des Leihgeschäftes pünktlich einregistrirt werden, und Jede möge es einmal probiren, ein gelesenes Buch sofort zurückzustellen! Ersparniß an Aerger ist auch Ersparniß, und zwar eine der besten, die man machen kann!

R. A.


Blätter und Blüthen.


Eine deutsche Musterbühne. Unsere Leser werden gewiß gespannt sein zu erfahren, wo eine solche zu finden ist, und unter den großen und kleinen deutschen Hoftheatern und Stadttheatern danach suchen. Jedenfalls ohne Erfolg – denn auch die eifrigsten Freunde dieses oder jenes Theaters hüten sich doch, demselben die glänzende Etikette einer „Musterbühne“ anzuheften. Nur die fanatischen Anhänger Laubes trugen eine Zeit lang keine Scheu, den von diesem geleiteten Bühnen das rühmende Prädikat zu ertheilen, doch es fehlte nicht an Widerspruch, da auch bei diesen viel mit Wasser gekocht wurde.

Die Musterbühne, an welche wir durch den Titel eines neuen, sehr umfangreichen Werkes erinnert werden, ist diejenige Karl Immermanns in Düsseldorf, und es ist bereits mehr als ein halbes Jahrhundert verflossen, seitdem die deutsche Kunst auf dieser rheinländischen Station eine kurze Blüthenzeit erlebte. Das Werk aber, das wir erwähnten, ist Richard Fellners „Geschichte einer deutschen Musterbühne“ (Stuttgart, J. G. Cottas Verlag). Es ist über das Immermannsche Theater sehr viel geschrieben worden; doch ist das große Publikum trotzdem über die eigentliche Einrichtung desselben im Dunkeln geblieben. Die aktenmäßige Darstellung


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 466. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_466.jpg&oldid=- (Version vom 23.4.2018)