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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

„Sind Sie denn so fest gebunden?“ fragte Erna mit leisem Spott. „Ich sollte meinen, es könnte Ihnen nicht schwer werden, sich frei zu machen.“

„Frei zu machen – wovon?“

„Von einem Berufe, den Sie später doch jedenfalls aufgeben werden.“

„Nehmen Sie das als so selbstverständlich an, gnädiges Fräulein?“ sagte Wolfgang, gereizt durch ihren Ton. „Ich wüßte in der That nicht, was mich dazu veranlassen sollte.“

„Nun, einfach die Stellung, die Sie in Zukunft einnehmen – als Gemahl von Alice Nordheim.“

Die Stirn des Oberingenieurs färbte sich dunkelroth und ein drohender Blick traf die junge Dame, die es wagte, ihn daran zu erinnern, daß er eine Geldheirath machte. Sie lächelte zwar und ihre Bemerkung klang scherzhaft; aber ihre Augen redeten eine andere, verächtlichere Sprache, die er nur zu gut verstand. Doch Wolfgang Elmhorst war nicht ein Mann, den man so ohne weiteres mit der Verachtung des Glücksritterthums abfertigen konnte; er lächelte gleichfalls und erwiderte mit kühler Artigkeit:

„Ich bedaure sehr, mein Fräulein, aber da befinden Sie sich doch im Irrthum. Mir ist der Beruf, die Arbeit ein Lebensbedürfniß; zum thatenlosen trägen Genuß des Lebens bin ich nicht geschaffen. Das scheint Sie allerdings zu befremden –“

„Durchaus nicht,“ fiel Erna ein. „Ich begreife es vollkommen, daß ein echter Mann sich einzig und allein auf die eigene Kraft stellt.“

Wolfgang biß sich auf die Lippen, aber er parirte auch diesen Schlag.

„Ich darf das wohl als ein Kompliment nehmen. Ich habe mich allerdings ganz auf meine eigene Kraft gestellt, als ich den Plan zu der Wolkensteiner Brücke entwarf, und ich hoffe, mit meinem Werke Ehre einzulegen, selbst als ‚Gemahl von Alice Nordheim‘. Doch Verzeihung, das sind Dinge, die eine Dame nicht interessiren können.“

„Mich interessiren sie,“ sagte Erna herb. „Es war ja mein Vaterhaus, das dieser Brücke weichen mußte, und Ihr Werk hat noch ein anderes, schwereres Opfer von mir gefordert.“

„Das mir nie verziehen worden ist, ich weiß es,“ ergänzte Wolfgang. „Sie lassen mich noch immer einen unseligen Zufall büßen und Ihr Gerechtigkeitsgefühl mußte Ihnen doch sagen, daß ich den Vorwurf nicht verdiene.“

„Ich mache Ihnen keinen Vorwurf, Herr Elmhorst.“

„Sie haben ihn mir gemacht, in jener verhängnißvollen Stunde, und Sie thun es noch heute.“

Erna gab keine Antwort, aber ihr Schweigen war beredt genug. Elmhorst schien doch eine, wenn auch nur formelle Abwehr erwartet zu haben; denn in seiner Stimme verrieth sich eine aufquellende Bitterkeit, als er fortfuhr:

„Ich habe es selbst am meisten beklagt, daß grade ich dazu ausersehen wurde, die letzte Verhandlung mit Baron Thurgau zu führen. Geführt mußte sie unter allen Umständen werden, und ihr trauriger Schluß lag außerhalb jeder menschlichen Berechnung. Nicht ich, mein Fräulein, die eiserne Nothwendigkeit verlangte das Opfer Ihres Vaterhauses; die Wolkensteiner Brücke ist daran ebenso unschuldig wie ich selbst.“

„Ich weiß es,“ erklärte Erna kalt; „aber es giebt Fälle, in denen man nun einmal nicht gerecht sein kann; das sollten Sie einsehen, Herr Elmhorst. Sie sind jetzt ein Glied unserer Familie geworden und dürfen überzeugt sein, daß ich Ihnen keine einzige der Rücksichten verweigern werde, die der nunmehrige Verwandte fordern darf – über meine Gefühle habe ich niemand Rechenschaft zu geben.“

Wolfgang richtete den Blick voll und finster aus ihr Gesicht.

„Das heißt mit andern Worten: Sie hassen mein Werk und – mich?“

Erna schwieg; sie hatte längst den Kindertrotz abgelegt, mit dem sie einst dem fremden Manne ins Gesicht sagte, daß sie ihn nicht leiden mochte, mit dem sie voll Empörung seinen Spott über ihre Bergsagen zurückwies. Die junge Dame wußte jetzt sehr genau, daß sich das nicht schicke, und sie stand auch in vollkommen ruhiger Haltung vor ihm, mit unbewegten Zügen. Aber ihre Augen hatten es noch nicht verlernt, aufzuflammen, und was in diesem Moment daraus hervorbrach, verrieth, daß die stürmische Natur des Mädchens nur äußerlich gebändigt war, daß sie noch unberührt in der Tiefe schlummerte. Sie flammten wie Blitze, diese Augen, und sprachen ein glühendes, energisches Ja zu der letzten Frage, wenn auch die Lippen stumm blieben.

Wolfgang konnte das unmöglich mißverstehen, und doch hing sein Blick an diesen feindseligen, dunkelblauen Tiefen, als hätten sie die Macht, ihn festzuhalten, freilich nur einige Sekunden; dann wandte sich Erna ab und sagte in leichtem Tone.

„Wir sind wahrhaftig in ein seltsames Gespräch gerathen! Wir reden von Opfern, von Haß und Vorwürfen, und das alles an Ihrem Verlobungstage!“

Wolfgang trat mit einer raschen, beinahe heftigen Bewegung zurück.

„Sie haben recht, gnädiges Fräulein – reden wir von anderen Dingen!“

Sie redeten gleichwohl nicht; es trat vielmehr ein Schweigen ein, das drückend war für beide. Die junge Dame hatte sich niedergelassen und studirte angelegentlich die Zeichnung ihres Fächers, während ihr Gefährte auf die Schwelle des nächsten Gemaches trat und noch einmal die Prachträume zu mustern schien; aber seine Züge verriethen jetzt nichts mehr von der stolzen Genugthuung, die er eine Viertelstunde vorher bei dieser Musterung empfunden hatte; es lag ein tief gereizter Ausdruck auf denselben.

Da öffnete sich die Thür des Empfangssaales von neuem; Alice und Frau von Lasberg traten ein.

(Fortsetzung folgt.)




Der Hypnotismus, sein Nutzen und seine Gefahren.
2. Schädigung der Gesundheit durch Mißbrauch der Hypnose.

Als im Beginn der achtziger Jahre der Magnetiseur Hansen die europäischen Großstädte durchzog und die Demonstrationen hypnotischer Erscheinungen die Gemüther der gelehrten und ungelehrten Welt erhitzten, waren es nur einige wenige, welche in den Schaustellungen des abenteuernden Dänen nicht den mit bezahlten Subjekten getriebenen unheimlichen Unfug, sondern höchst reale Vorgänge sahen, deren Wesen und Tragweite der englische Chirurg James Braid bereits vor vier Decennien in einer Reihe trefflicher Schilderungen beschrieben hatte. Es konnte dann auch bei der Unkenntniß der Braidschen Werke geschehen, daß Physiker und Physiologen ausgedehnte hypnotische Versuche anstellten, deren Resultate als Neuentdeckungen gepriesen wurden; es konnte geschehen, daß die deutschen Polizeibehörden dem gefährlichen Treiben Hansens und seiner Nachahmer geduldig zusahen.

Je mehr sich aber dann die Berufenen mit dem Studium der hypnotischen Phänomene beschäftigten, je eifriger die Publikationen der älteren ärztlichen Hypnotiseure aus dem Dunkel der Bibliotheken herausgesucht wurden; um so mehr stellte sich die Gefährlichkeit der hypnotischen Laienexperimente heraus, erwiesen sich die öffentlichen Vorstellungen als nicht nur die Gesundheit gefährdend, sondern in gleicher Weise das Rechtsbewußtsein, die Moral und die Sittlichkeit aufs allerempfindlichste verletzend.

Der Unfug blühte trotzdem weiter; aller Orten thaten sich Hypnotiseure und Heilmagnetiseure auf, die bei dem Hange der Menschen zum Mysteriösen stets gläubige Seelen und offene Geldbeutel finden; ja das Unglaubliche geschah: der todtgesagte Hansen, den die Lorbeeren und die pekuniären Erfolge seines ehemaligen Unternehmers, des früheren Theaterdirektors „Theo“ Böckert nicht ruhen ließen, tauchte wieder auf, und Beide, welche sich ehedem in heftiger Fehde getrennt, weil sie sich von einander übervortheilt wähnten, hypnotisirten in kollegialer Eintracht die wundersüchtigen Einwohner der deutschen Metropole.

Die Behörde schritt auch im Jahre 1887 nicht ein, wie sie im Jahre 1880 geduldig abwartend bei Seite gestanden hatte; sie ließ es zu, daß Hansen öffentlich bekannt machte, er unterrichte jeden seine Vorstellungen Besuchenden, so daß der solcher Art Eingeweihte fortan als Hypnotiseur thätig sein könne, und erst erneute Skandale während der Hansen-Böllertschen Schaustellungen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 472. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_472.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)