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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

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Am Leuchtthurm.
Novelle von Gerhard Walter.
(Fortsetzung.)


Acht Tage nach Absendung meiner Anfrage hielt ich einen etwas unbehilflich geschriebenen Brief in Händen, laut dessen ich für die Dauer von vier Wochen im Juli und der ersten Augustwoche unbeschränkter Herr eines Zimmers war, wie ich mir’s gewünscht. Und nun packte mich plötzlich eine wahre Ungeduld. Ich konnte den Zeitpunkt des beginnenden Urlaubes kaum abwarten. Endlich war der Tag gekommen; und vierundzwanzig Stunden später saß ich vor dem schmalen Fensterchen meiner Thurm- und Burgkammer, hundert und einige Stufen über dem Spiegel des Meeres, das sich prächtig blaufunkelnd im Sonnenlicht vor mir dehnte, grünlich und weiß am Fuße des Felsens in ewiger Brandung schäumte, die murmelnd oder brausend zu mir in meiner luftigen Höhe hinauftönte. Ich streckte die Arme vor Behagen: hier war’s gut sein! Nach dem Herings- und Flunderdorf dort an der Landseite in den Dünen warf ich keinen Blick. Wohl aber mußte ich ihn unwillkürlich auf dem bildhübschen Mädchen ruhen lassen in seiner kleidsamen Volkstracht – mit den Kettlein und silbernen Spangen und Rosetten, das jetzt gerade eintrat und mir den ersten Kaffee meines hiesigen Aufenthaltes brachte. Blond, schlank, voll, von zarten Farben und mit einem reizend schelmischen Licht in den Augen stand sie vor mir und hielt mir das Kaffeebrett dar.

„Sind Sie die Tochter vom Hause, oder vielmehr vom Thurm?“ fragte ich sie, während ich mir den Rahm zugoß.

Sie bejahte mit einer Stimme, deren weicher Wohllaut angenehm berührte.

„Ist es denn nicht sehr einsam hier für ein so junges“ – fast hätte ich gesagt „und so hübsches – Mädchen?“

Im Winter wäre es arg gewesen, meinte sie; im Sommer käme doch ab und zu mal ein Mensch in Sicht; aber daß sie einen Logiergast gehabt hätten, das wäre ihnen noch gar nicht vorgekommen, und sie hätten sich auch nicht wenig gefreut, setzte sie hinzu. Und dabei spielten die etwas arbeitsharten, aber zierlich kleinen Hände mit dem Schürzenband, und nur ein halber Blick unter den langen Wimpern stieg bis zu meinem Gesicht.

„Sind denn da drüben im Fischerdorf gar keine Badegäste?“ fragte ich weiter.

Sie schüttelte lächelnd den Kopf und sah an mir vorbei durch das Fenster.

„Eine einzige Familie wohnte diesen Sommer bis jetzt da; Leute, die kein Geld haben. Sehen Sie – da das Haus mit dem rothen Dach, halb hinter der Düne!“

Ich mußte dicht neben sie treten, um aus Höflichkeit der Richtung ihres Fingers mit dem Blick zu folgen. Im Grunde war mir’s einerlei. Aber sie war gar zu niedlich.

„Ja, wie kommt denn das?“ fragte ich, eigentlich nur, um sie noch ein bißchen zurückzuhalten; „Stagersand, das große Modebad, ist doch nur reichlich eine Meile entfernt.“

„Das ist’s ja eben!“ lachte sie, daß man ihre tadellosen Zähne bewundern mußte, „das drüben ist kein Modebad! Der Strand ist gerade so gut und das Wasser genau so frisch und salzig und der Wellenschlag noch etwas stärker, und die Luft bekommt einem hier auch nicht schlechter“ – ich mußte unwillkürlich auf ihre blühenden Wangen blicken – „Sie meinen, ich sähe auch nicht krank aus? Warten Sie nur, wie Sie nach fünf Wochen roth und braun sein werden! Können Sie segeln?“

Ich sagte ihr, ich sei von Geburt eigentlich an der Wasserkante zu Hause und von klein auf gewohnt, mit Hals und Schoten umzugehen.

„Unser Boot da unten können Sie immer benutzen,“ plauderte sie weiter; „für uns ist das etwas Altes, aber Ihnen wird’s Freude machen und Ihnen wohlthun.“

„Sagen Sie –“ ich wußte nicht recht, wie ich sie anreden sollte – „Fräulein“ wollte mir nicht heraus, das klang mir zu kellnerinnenmäßig –

„Ich heiße Wiebke!“ sagte sie und lachte leise auf, „haben Sie den Namen schon früher gehört?“

Ich mußte es verneinen. „Sagen Sie, Wiebke, Sie sind nicht immer hier im Thurme gewesen?“

Ein schneller Augenblitz traf mich wieder von der Seite.

„Ich bin drüben zwei Jahre auf dem Festlande als junges Mädchen bei einem Arzt im Hause gewesen, und bei meiner Großmutter in der Stadt bin ich zur Schule gegangen; nun muß ich Haus halten für den Vater und den Knecht – aber ich verplaudere mich hier; seien Sie nicht böse, daß ich Sie aufgehalten habe!“ Und hinaus war sie.

„Wann soll ich Ihnen das Abendessen bringen?“ fragte sie, noch einmal den hübschen Kopf durch die viertelgeöffnete Thür steckend; „um sieben? Schön!“

„Eine bedenkliche Leuchtthurmwirthin!“ mußte ich halblaut hinter ihr hersagen. „Wer hier nicht sattelfest ist, verliebt sich in dieser Einsamkeit sicher in sie. Und das wäre doch ein gefährlich dummer Streich. Ihr selbst wäre es scheinbar nicht ganz unangenehm.“

Da unten, fern, ging die Sonne unter. Rothes, glühendes Gewölk im Westen. Weinfarben, jetzt ganz still, leise gegen die Klippen rauschend lag die See da. Immer dunkler wurde das Feuer, das dort am Horizont seinen blutigen Schein in die Wolken warf – dunkler die See, nur hier und da glänzte ein weißes Segel auf dem Wasser. Unten, am Rand der Klippe stand Wiebke, auch ihre Gestalt lichtumflossen. Die Dünen drüben am Land hatten Glanz über ihren weißlichen Sand gedeckt, und wie mochten die Laternengläser des Leuchtthurms in diesem Augenblick im rothen Feuer über die See hinausgleißen! – Aber es ist alles falscher Glanz – bald kommt die Nacht! – Nun, laß sie kommen! Da ist sie schon. Die Wolken erblassen – über der See liegt noch blinkende Spiegelung; aber die Dünen und das Mädchen stehen nicht mehr da, vom Märchenglanz übergossen. Ueber mir leuchtet jetzt klar und ruhig das gelbe Licht des Thurmes hinaus über die schlummernde See; dort unten seh’ ich


Ausflug in den Ferien.
Originalzeichnung von J. R. Wehle.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 477. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_477.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)