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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Waltenberg war ein ebenso kundiger wie liebenswürdiger Führer. Er geleitete seine Gäste von einem Gemach in das andere, von einem Gegenstande zum andern und hatte die Genugthuung, zu sehen, daß seine Schätze volle Bewunderung fanden. Es ergab sich ganz zwanglos, daß er bei all den Erklärungen auch von dem Orte und der Gelegenheit sprach, wo er dies und jenes erworben hatte, und dabei entrollte er, vielleicht unabsichtlich, vor den Augen der Zuhörer ein Leben, das in seinem bunten Wechsel von Gefahren und Genüssen in der That einem berauschenden Märchentraum glich. Daß er sich dabei vorzugsweise an Erna wandte, war nur natürlich, sie allein hatte wirkliches Verständniß und Interesse für den eigenartig phantastischen Charakter dieser Umgebung, das hörte er an ihren Bemerkungen. Elmhorst wollte offenbar keine Bewunderung zeigen, sondern beobachtete eine höflich kühle Zurückhaltung, während Alice und Frau von Lasberg nur die Theilnahme zeigten, die man dem Seltsamen und Ungewöhnlichen entgegenbringt.

Gersdorf, der die Sammlungen seines Freundes bereits kannte, machte den Führer bei seiner Braut, und das war keine leichte Aufgabe; denn Wally wollte durchaus alles sehen und bewundern und sah im Grunde doch nur ihren Albert, der ihr nicht von der Seite gehen durfte. Sie flatterte umher wie einer von den leichtbeschwingten Kolibris dort, als diese noch ihr leuchtendes Gefieder unter der heimischen Sonne entfalteten, und jubelte beim Anblick irgend eines neuen und merkwürdigen Gegenstandes auf wie ein ausgelassenes Kind, zum großen Mißfallen der Frau von Lasberg, die sich wieder einmal gedrungen fühlte einzuschreiten, obgleich sie aus Erfahrung wußte, wie wenig das zu nützen pflegte. Sie benutzte einen Augenblick, wo Gersdorf mit Alice sprach, und blockirte die junge Dame förmlich in einer Fensternische.

„Meine liebe Baroneß, ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß auch eine Braut Rücksichten zu nehmen hat,“ hofmeisterte sie. „Sie hat ihre Frauenwürde zu wahren und darf es nicht aller Welt zeigen, daß sie vor Glück ganz außer sich ist. Eine Verlobung ist –“

„Etwas Himmlisches!“ unterbrach sie Wally. „Ich möchte nur wissen, wie mein Großonkel sich dabei benommen hat! Ob er auch Lust gehabt hat, den ganzen Tag zu tanzen, wie ich?“

„Man sollte meinen, Sie seien noch ein Kind, Wally,“ sagte die alte Dame entrüstet. „Sehen Sie Alice an, sie ist auch Braut, und gleichfalls erst seit einigen Tagen.“

Wally faltete mit dem Ausdrucke komischen Entsetzens die Hände.

„Ja wohl, aber das ist auch eine Brautschaft – daß Gott erbarm’!“

„Baroneß, ich muß sehr bitten!“

„Ja, ich kann mir nicht helfen, gnädige Frau, Alice ist ja ganz zufrieden und Herr Elmhorst benimmt sich äußerst gebildet. Man hört immer nur: ‚Du wünschest, liebe Alice?‘ oder: ‚Wie Du befiehlst, liebe Alice!‘ Immer höflich, immer artig! Aber wenn mein Bräutigam mich mit dieser langweiligen kühlen Artigkeit behandelte, die immer auf dem Gefrierpunkt steht – ich schickte ihm auf der Stelle den Ring zurück!“

Frau von Lasberg stieß einen Seufzer aus; sie gab es auf, dieser jungen Dame Schicklichkeitsgefühl beizubringen und hob die Blockade auf, worauf Wally wie ein Pfeil davonschoß und sich mit Verleugnung aller Frauenwürde schleunigst an den Arm ihres Verlobten hing.

(Fortsetzung folgt.)




Migräne.
Von Professor Dr. E. Heinrich Kisch.

Eine charakterlose Krankheit, bei der man nicht gesund und nicht krank ist!“ Dies Wort des Dichters Heine, mit welchem er seinem Unmuthe über einen Schnupfen Ausdruck gab, läßt sich mit vollem Fug und Recht auch auf die Migräne anwenden. Wiewohl keine jener Krankheiten, welche den menschlichen Organismus in seinem Bestande gefährden und durch ihren Verlauf ernstlich das Leben bedrohen, bildet sie doch eine höchst qualvolle Gesundheitsstörung, eines der verbreitetsten, aber auch hartnäckigsten und peinlichsten Nervenleiden, die unsere durch die vorschreitende Kultur immer feinfühligere Generation plagen.

Wer kennt nicht, zum mindesten vom Hörensagen aus Bekanntenkreisen, die Qualen, welche die Migräne bereitet, jene eigenthümliche Empfindung von Kopfschmerz, grundverschieden von dem gewöhnlichen, leicht erträglichen und leicht verschwindenden Kopfweh, indem sie zumeist nur die eine Hälfte des Kopfes betrifft und in periodischen Anfällen auftritt, die sich durch viele Jahre, zuweilen die ganze Lebensdauer hindurch, von Zeit zu Zeit, nicht an bestimmte Regel gebunden, wiederholen! Aber gar manche unserer Leser und Leserinnen wissen wohl aus höchst unliebsamer eigener Erfahrung von den Qualen dieser Anfälle zu erzählen. Denn die Migräne ist in sehr vielen Familien zu Hause und nicht selten haben alle Familienmitglieder von ihr zu leiden, allerdings in ganz besonders bevorzugter Weise die weiblichen Angehörigen, zuweilen von dem kleinen Mädchen angefangen, das in der Schule von diesem Nervenleiden befallen wird, bis hinaus zur Großmutter, welche noch immer hie und da ihr altgewohntes Migräneanfällchen bekommt. Wie bei den meisten Nervenerkrankungen giebt sich auch bei der Migräne eine erbliche Familienbelastung kund, welche in einer von den Eltern auf die Kinder und Kindeskinder übergehenden Schwäche der Nervenapparate besteht und es zu Wege bringt, daß unter bestimmten, die allgemeine Nervosität begünstigenden und fördernden Einflüssen auch jenes specielle Nervenleiden zur Entwicklung gelangt und in die Erscheinung tritt.

Solche die Entstehung der Migräne fördernde Momente giebt es viele und mannigfache. in der Jugend das langdauernde Stubenhocken in den ungenügend gelüfteten Kinderzimmern oder in den von Kindern überfüllten Schulräumlichkeiten, die Ueberbürdung mit geistigen Arbeiten, welche das Gehirn und das gesammte Nervensystem allzu sehr in Anspruch nehmen; weiter in den Jahren der körperlichen Entwicklung, bei den heranwachsenden Mädchen unzweckmäßige Art der Ernährung und mangelhafte Bewegungsweise, wodurch dem Körper kein hinlänglich kräftiges, sauerstoffreiches Blut zugeführt wird; bei den jungen Männern aber das viele Tabakrauchen, welches die Nerven überreizt, das anhaltend lange Studiren bis tief in die Nacht hinein oder auch, was gleichfalls in den Jünglingsjahren nicht selten sein soll, das nächtliche Kneipen, durch welches die Nervenkraft gar rasch abgenutzt und aufgerieben wird, endlich auf der Höhe der Lebensjahre die mannigfachen Angriffe, welche das Nervensystem im Getümmel der Arbeit, in der Thätigkeit des Berufes wie in den Vergnügungen der Gesellschaft, kurz allenthalben und immer während des hastigen Lebenserwerbes und raschen Lebensgenusses der Gegenwart zu erdulden hat.

So kommt es, daß das Migräneleiden in jedem Lebensalter vorkommen kann, zumeist aber in dem jugendlichen Lebensabschnitte und in den Jahren bis zu Fünfzig vorherrscht, und leicht begreiflich ist es auch, daß das Weib, dessen Erbübel ja die Schwäche ist, am häufigsten davon betroffen wird. Wenn das Leben seine Höhe überschritten hat, die Nerven ruhiger und abgestumpfter geworden sind, dann werden in der Regel auch die Migräneanfälle viel seltener und treten minder quälend auf.

Die Ursachen, welche den unmittelbaren Anstoß zur Auslösung eines Migräneanfalles bei den mit diesem Leiden behafteten Individuen geben, sind sehr mannigfacher Art. Bei dem einen Nervenschwachen bringt eine unerwartete tiefe Gemüthsbewegung, ein heftiger Schreck, ein großer Aerger den Migräneanfall hervor. Bei der anderen nervösen Person wird zuweilen eine reichlichere Mahlzeit, eine leichte Ueberladung des Magens durch den Eintritt jenes Anfalles gebüßt; wiederum in anderen Fällen, besonders bei reizbaren Damen, genügt schon irgend ein beliebiger unangenehmer Eindruck, welcher das Auge, Ohr oder die Nase trifft, um Migräne herbeizuführen.

Der Anfall selbst bietet zumeist ein Bild großer, ja man kann bisweilen sagen, unerträglicher Qualen. Gewöhnlich beginnt er mit einem Gefühle von Eingenommensein des Kopfes, der Empfindung eines dumpfen Schmerzes und peinlichen Druckes in

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 522. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_522.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)