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verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Das Siegesdenkmal auf dem Marktplatze in Leipzig.

Am 18. August, am Tage der Schlacht von Gravelotte und Saint-Privat, wird in Leipzig das Siemeringsche Siegesdenkmal enthüllt, welches lange Jahre hindurch die Gemüther der Leipziger Bürgerschaft so angelegentlich beschäftigt hat. Namentlich die Frage, welchen Platz das große Monument schmücken solle, hat lange Zeit vielen Staub aufgewirbelt. Die Entscheidung, unterstützt durch die Gutachten der Kunstverständigen, fiel zu Gunsten des Marktplatzes aus. Hier im Herzen der Stadt, vor dem alten schönen Rathhause, umrahmt von den hohen alterthümlichen Häusern, von denen es sich in seiner energischen Gliederung wirksam abhebt, wies man ihm seine Stelle an.

So erhebt es sich jetzt auf dem Markte, ein echtes Volksdenkmal, mitten im regen Leben und Treiben des Tages. Gekrönt wird es von der mächtigen Gestalt der Germania, die als Kriegerin nach erkämpftem Siege, als gewaffnete Schirmerin des Friedens erscheint. Ihr Schwert ruht in der Scheide. Sie hat es vom Gürtel gelöst, über die rechte Schulter gelegt und hält es am untern Ende; ihre Linke ruht auf dem mit dem Reichsadler gezierten Schilde. Der faltenreiche, in breiten Massen angeordnete Brokatmantel ist zurückgeschlagen, wird am Halse mit einer Spange zusammengehalten und läßt die stolze Gestalt, die von einem Lederpanzer umspannt wird, in aller Kraft und Schönheit hervortreten. Das etwas nach links, dem Rathhause zugewendete Haupt wird von einem geflügelten Helm bedeckt; unter dem Helm quillt das reiche Haupthaar hervor und wallt frei über Nacken und Rücken. Der Ausdruck der Züge ist von energischer Schönheit, von stolzer Selbstgewißheit, nicht kriegerisch drohend, sondern friedlich gesinnt, den Frieden schützend.

Diese Germania, in Kupfer getrieben, aus der Howaldtschen Werkstatt in Braunschweig hervorgegangen, hat beinahe die doppelte Grüße der unteren überlebensgroßen Figuren. An den vier Ecken des Hauptsockels auf stark ausladenden Postamenten sehen wir die Reiterstandbilder des Königs von Sachsen, des deutschen Kronprinzen (des jüngst verstorbenen Kaisers Friedrich III.), des Reichskanzlers Fürsten Bismarck und des Generalfeldmarschalls Grafen Moltke. Alle bezeugen das seltene Talent des Meisters für monumentale Porträtbildnerei. Er weiß das Charakteristische in großen Zügen zu treffen und verliert sich nirgends in kleinliches Detail. Die Vorderseite des Hauptsockels zeigt uns die erhabene und wunderbar zu Herzen sprechende Gestalt Kaisers Wilhelms des Siegreichen als Rundfigur; er ist sitzend dargestellt, im vollen Krönungsschmucke, das Haupt lorbeerumkränzt; der Thron tritt aus einer Nische der Postamentwand auf halbrundem Sockel heraus.

An jeder der vier Seiten des Hauptpostaments stehen, nach den Ecken zu, zwei Fahnenträger, volksthümliche Kriegergestalten mit dem eigenartigen Gepräge bestimmter Waffengattungen. So gipfelt sich das Denkmal von der breiten Grundlage des kämpfenden Volkes, durch den Kreis der Herrscher, Feldherren und Staatsmänner zu der Idealfigur der allbeherrschenden Germania empor.

Die Inschriften des Denkmals künden mit schlaghafter Kürze seine Bedeutung:

„Uns’rer Väter heißes Sehnen,
Deutschlands Einheit, ist erstritten.

Uns’re Brüder haben freudig
Für das Reich den Tod erlitten.

Enkel mögen kraftvoll walten,
Schwer Errungenes zu erhalten.“

So hat die Stadt Leipzig mit treuem Bürgersinn ein Denkmal errichtet, welches nicht nur ihr selbst, sondern auch dem ganzen Deutschland zur Ehre gereicht, und auch zum größten Ruhme dem Meister, der es geschaffen. Rudolf Siemering, der den Lesern der „Gartenlaube“ in früheren Schilderungen schon begegnet ist, stammt aus Ostpreußen, aus jenem Lande, in welchem große Denker das Licht erblickt haben, welches aber der bildenden Kunst bisher wenig Meister geschenkt hat. Siemering ist im Jahre 1835 in Königsberg geboren, kam dann nach Berlin zu Bläser, wo er mitarbeitete an den Reliefs für die Dirschauer Brücke. Aus der für das Berliner Schillerdenkmal ausgeschriebenen Konkurrenz ging er neben Reinhold Begas als Sieger hervor. Sein Entwurf wurde zwar nicht ausgeführt, doch fand der Künstler fortan die warme Theilnahme und Beachtung der Kunstkenner.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1888, Seite 560. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_560.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)