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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Bald gewann er auch die Anerkennung weiterer Kreise durch seine sitzende Figur König Wilhelms I. in der Vorhalle der Berliner Börse, durch sein Denkmal Albert von Gräfes und die Büste von Wilms vor dem Bethanienhospital in Berlin, durch das für Marienburg geschaffene Denkmal Friedrichs des Großen und vor allem durch seine bedeutendste bisherige Schöpfung, sein Lutherdenkmal zu Eisleben, welches am 10. November 1883 enthüllt wurde. Durch sein Leipziger Siegesdenkmal hat er sich jetzt neben den Dresdener Meister Schilling gestellt.

Die gediegene Kraft des ostpreußischen Volkscharakters prägt sich in seinen Schöpfungen aus; er ist wahr und schlicht, markig und treffend in seinen Bildnissen. Ein Meister ist er besonders im Relief, wie der Reliefschmuck beweist, mit welchem er die beim Einzug der Truppen in Berlin 1871 im Lustgarten errichtete Gestalt der Germania schmückte, deren Abbildungen die „Gartenlaube“ im Jahrg. 1871, S. 772 und 773 brachte. Auch für die Leipziger Siegesgöttin war ein solcher Reliefschmuck bestimmt, und zwar für die Seitenwände des Hauptsockels. An seine Stelle ist jetzt auf der Vorderseite das Bild des Kaisers getreten. Jedenfalls hätten die großen für diesen Sockel entworfenen Reliefs, die mit Rücksicht auf die Kosten nicht zur Ausführung gelangten, durch ihre malerische Wirkung für des Künstlers schöpferische Kraft in diesem Bereiche der bildenden Kunst ein glänzendes Zeugniß abgelegt.

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Zu Fuß!

Seit Jahren ist in unserem Volke ein Wandertrieb erwacht, der uns in den Sommermonaten aus der Schwüle der Stadtmauern in die grünen Hallen des Waldes hinauslockt. Sie ist jetzt auch gar nicht schwer zu erreichen, die freie Natur! Aus dem stauberfüllten Herzen einer Millionenstadt bringen uns die Dampfzüge in einer halben Stunde an stille Seen und in rauschende Haine; ja selbst Reisen ins Gebirge sind heutzutage kein großes Unternehmen. Tausende können sie ausführen. Erfreulich ist diese Bewegung, welche die weitesten Volksschichten ergriffen hat, und man muß alles dransetzen, sie zu erhalten und auszubilden. Aber eine Schattenseite besitzt sie doch: wir benutzen den Dampf und rühren zu wenig unsere Füße. Dies kann man allerdings nicht vom Touristen im Hochgebirg behaupten, der nur zu oft viel zu viel steigt und marschirt und häufig seine Gesundheit eher schädigt als stärkt. Wohl aber wird jeder zugeben, daß die gewöhnlichen Sommerfrischler oder Leute, die nur Sonntagsausflüge machen, das Fußwandern in geringem Maße pflegen. Man braucht ja nur den Volksmassen auf ihren Ausflügen zu folgen. Ein Konzert- oder Biergarten in einem benachbarten Dorfe ist das Ziel der meisten. Wer das für einen Naturgenuß hält, der ist zu bedauern, und für das Volkswohl ist es durchaus nicht gleichgültig, wie die kurzen Erholungsreisen ausgeführt werden; denn die Touristen zählen nur nach Tausenden, und der Rest, der in der Nähe der Stadt Erquickung finden soll, beziffert sich nach Millionen.

Laßt man über die Schar der Sonntagsausflügler einen Blick schweifen, so erkennt man in ihr sofort das erschlaffte, nervöse Geschlecht. Es sind Kulturmenschen, die an das hastige Treiben unserer Zeit gefesselt sind und die Fesseln nicht abzustreifen vermögen. Mit der Eisenbahn sind sie ins Freie hinausgeeilt, haben die bequemsten Züge, die in den Mittagsstunden abgehen, gewählt, und nach einem kurzen Marsche über staubige, viel begangene Straßen erholen sie sich bei Bier und Tabaksqualm.

Wie sehr zu beneiden ist die geringere Zahl dagegen, welche von früh an den Wald aufgesucht hat, im Freien kampirt und nur während der kurzen Mittagsrast den Lärm des Gasthauses vernimmt! Sie hat das Richtige getroffen und wenigstens auf eine Zeit den Kulturmenschen abgelegt und sich von den entnervenden Einflüssen des modernen Hastens und Treibens befreit.

Zu bedauern ist namentlich, daß jene lässige Art der Erholung auch unsere Jugend zum großen Theil ergriffen hat. Auch bei ihr arten die Ausflüge häufig zu Bier- und Weinreisen aus. „Man muß,“ schrieb vor kurzem Professor Friedrich Ratzel, „unsere Jugend in den Sommerfrischen des bayerischen Hochlandes oder des Thüringerwaldes sich lümmeln sehen, um die ganze Seichtigkeit des poesie- und thatkraftarmen Lebens würdigen zu können, welches das Weiterfressen der blasirten Genußsucht und die Pflege des leider in der Naturanlage nun einmal vorhandenen Phlegmas unserer Zeit verheißt.“

Als Heilmittel gegen diese Uebel hat man den leiblichen Sport empfohlen und Rudervereine und Radfahrerklubs gegründet; es giebt aber ein noch wirksameres Mittel, das mit einem Schlage Millionen helfen kann, und dieses ist das Wandern zu Fuß mit Ränzel und Stab.

Gerade in unserer Zeit, wo wir sozusagen nicht zu gehen brauchen, wo Pferdebahnen, Eisenbahnzüge, Dampfschiffe und Seilbahnen uns bis in die tiefsten Waldwinkel und aus Bergspitzen bringen können, ist es unumgänglich nöthig, die Wanderung zu Fuß in Ehren zu erhalten und Lust und Freude an derselben namentlich in der Jugend groß zu ziehen. Der „Sport zu Fuß“ ist jedermann zugänglich. Stahlroß und Ruderboot erfordern schon eine Kapitalanlage; Schusters Rappen besitzt im Deutschen Reiche jedermann.

Die Fußwanderung ist dabei auch eine Kunst, die gelernt sein will und ihrem Jünger die reichlichsten Freuden und Genüsse bietet. Wer zu wandern versteht, der wird es zugeben mit jauchzendem Herzen. Der Wanderer gewinnt den besten Einblick in das Leben und Weben der Natur; nur der Wanderer findet Schätze an Orten, an denen der Eisenbahnzug pfeilschnell vorübersaust; nur der Wanderer vermag Land und Leute genau kennen zu lernen und kehrt mit neuem Reichthum an Wissen und Erfahrung heimwärts. Darum sollte ein jeder, der nicht wandern kann, wandern lernen.

Vor 48 Jahren hat ein Freund des Wanderns, der bekannte Buchhändler Fr. Joh. Frommann, in dessen elterlichem Hause Goethe verkehrte, ein „Taschenbuch für Fußreisende“ geschrieben und drucken lassen. Der Ton, der das Werkchen durchweht, war ein so kerngesunder, die Rathschläge so beachtenswerth, daß vor einigen Jahren Dr. Friedrich Ratzel, der berühmte Professor der Erdkunde an der Universität Leipzig, sich der Aufgabe unterzog, das Werkchen zu ergänzen und neu herauszugeben (Friedrich Frommanns Verlag in Stuttgart). In diesem Taschenbuch wird genau erörtert, wie man wandern soll, was man auf Fußreisen lernen kann, und jeder wird darin etwas finden können, was seinen eigenen Anlagen entspricht.

Naturgenuß – aber nicht am Biertisch unter der Glasveranda, sondern an murmelnden Quellen in den majestätischen Hallen des Waldes, – Naturgenuß – aber nicht vom Coupéfenster des Kurierzuges erhascht, sondern in vollen Zügen in der Morgenfrühe beim Vogelgesang und Windesrauschen vom Fußwanderer genossen, das ist das große Heilmittel gegen die blasse Krankheit des 19. Jahrhunderts. Und wer bedarf desselben nicht?

Wie trefflich schließt Professor Ratzel seine Einleitung zu dem erwähnten Taschenbuch für Fußreisende:

„Wir haben alle in diesen letzten geräuschvollen Jahrzehnten die moralischen Wirkungen der Kulturfortschritte, der Wissenschaft, der Aufklärung, der wissenschaftlichen und ästhetischen Bildung überschätzt; wir haben alle nöthig, daß wir an den ewig frischen Gesundbrunnen der unmittelbaren Naturfreude zurückkehren. Jene konnten uns bereichern und verfeinern; dieser vermag zu stärken und zu stählen, und dieses ist, was wir jetzt vor allem nöhig haben. Hören wir auf, immer nur auf unsere Kulturhöhe stolz zu sein; steigen wir zeitweilig etwas herab auf die Stufe des Naturmenschenthums, freuen wir uns immerhin, daß wir eisenbahnfahren und telegraphiren können, aber freuen wir uns noch mehr, so lange wir im Stande sind, den Wanderstab zu schwingen und das Ränzel zu tragen.“

In früheren Jahrhunderten wurde selbst das Spazierengehen von der Obrigkeit überwacht und leider den Bürgern verboten, Sonntags in die Nachbardörfer zu gehen. Dies geschah namentlich im 17. und 18. Jahrhundert. Die Väter der Stadt wollten durch ihre Verordnungen der Unsitte des Kneipens steuern und fügten am Schlusse ihrer Erlasse erläuternde Sätze hinzu wie der nachfolgende: „Mögen hierbey doch wohl leiden, daß an einem Sonntag ein ehrlicher Bürger nach der Morgenpredigt vor das Thor, sich in Unschuld zu ergötzen oder zu seinen Sachen zu sehen, spaziere, wenn er vor der Abendpredigt wieder hereinzukommen sich vornimmt.“

Derartige väterliche Bevormundung lassen sich die Kinder des 19. Jahrhunderts nicht mehr gefallen; aber wir sollten uns auch auf diesem Gebiete der Freiheit, die wir errungen, würdig erweisen. Heute achtet kein Stadtbüttel darauf, wie und wohin wir spazieren gehen, um so mehr sollten wir selbst darauf sehen, daß die kurzen Stunden der Erholung, die uns zur Verfügung stehen, richtig benützt werden, daß sie uns stärken an Leib und Seele!

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Blätter und Blüthen.

Die Eröffnung des deutschen Reichstages durch Kaiser Wilhelm II. (Mit Illustration S. 552 und 553.) Am Abend des 24. Juni hielt das Kaiserpaar in vierspänniger Equipage, geleitet von zwei Schwadronen der Gardes du Corps, seinen Einzug in die Reichshauptstadt, und am Mittag des folgenden Tages fand im Weißen Saale, diesem prächtigsten Raume des alten Schlosses an der Spree, die feierliche Eröffnung des deutschen Reichstages statt.

Als Kaiser Wilhelm II. gefolgt von fast sämmtlichen deutschen Fürsten, den Saal betrat, wurde er mit einem Hoch empfangen. Festen Schrittes und ernsten Antlitzes stieg er die drei Stufen zum Throne hinan und im Halbkreis herum gruppirten sich die regierenden deutschen Fürsten, an ihrer Spitze König Albert von Sachsen und Prinzregent Luitpold von Bayern – eine imponirende Versammlung, zusammengetreten, um an der Seite des jungen Kaisers von des Deutschen Reiches Glanz und Macht und von der unverändert festen Einigkeit seiner Fürsten vor aller Welt offen und ernst Zeugniß zu geben. Auf einer logenartigen Erhöhung hatte die Kaiserin mit dem Kronprinzen, einem schönen, mit kindlichem Ernst dreinschauenden Knaben, Platz genommen. Der Kaiser

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