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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Wolfgang verneigte sich sehr förmlich und Erna nahm eine so kühle Haltung an, als sei ihr dies zusammentreffen nichts weniger als erwünscht.

„Ich glaubte, Sie würden heute abend in Oberstein sein, Herr Elmhorst,“ sagte sie. „Sie sprachen doch gestern davon?“

„Allerdings, und ich war auch dort bei Benno, aber er überredete mich, mit ihm zur Alm herauf zu steigen.“

„Damit er einmal ein wirkliches Sonnwendfeuer sieht!“ fiel Benno ein. „In Oberstein wird es ja auch angezündet, aber dort finden sich das ganze Dorf, mit Kind und Kegel, die sämmtlichen Arbeiter der Bahn, die Ingenieure und eine Menge von Gästen aus Heilborn zusammen. Da wird der alte schöne Volksbrauch zu einer lärmenden Schaustellung für die Fremden. Hier oben haben wir noch echtes unverfälschtes Gebirgsleben – Da ist ja auch der Sepp! Wie geht es, Alter? Ja, wir sind auch dabei, Ihr seht es freilich nicht gern an diesem Tage, das weiß ich und habe deshalb auch in Oberstein kein Wort von unserer Bergpartie verlauten lassen. Aber uns müßt Ihr schon in Kauf nehmen, das heißt, den fremden Herrn da und den Herrn Oberingenieur, denn das gnädige Fräulein und ich, wir gehören doch eigentlich dazu.“

„Ja, Sie gehören dazu!“ bekräftigte Sepp feierlich, „Sie dürfen beileibe nicht fehlen.“

„Ich möchte doch dagegen protestiren, so vollständig als Fremdling behandelt zu werden,“ sagte Wolfgang. „Ich lebe seit drei Jahren in den Bergen.“

„Aber im fortwährenden Kampfe mit ihnen,“ warf Waltenberg halb spöttisch ein. „Ich glaube kaum, daß man Ihnen darauf hin Heimathsrechte zugesteht.“

„Nein, höchstens das Recht des Eroberers,“ sagte Erna kalt. „Herr Elmhorst rühmte sich ja schon damals bei seiner Ankunft, er werde Besitz nehmen von dem Reiche der Alpenfee und es in Fesseln schlagen.“

„Sie sehen doch, gnädiges Fräulein, daß das keine Prahlerei war,“ gab Wolfgang in dem gleichen Tone zurück. „Wir haben sie bezwungen, die stolze Herrscherin des Gebirges. Sie hat es uns freilich schwer genug gemacht und sich so verschanzt in ihren Felsen und Wäldern, daß wir ihr jeden Fuß breit des Bodens erst entreißen mußten, aber besiegt wurde sie doch! Im Spätherbst werden die letzten Bauten vollendet und schon im nächsten Frühjahr brausen unsere Bahnzüge durch das ganze Wolkensteiner Gebiet.“

„Schade um das herrliche Alpenthal!“ sagte Waltenberg. „Es verliert seine ganze Schönheit, wenn erst der Dampf Besitz davon genommen hat und der gellende Pfiff der Lokomotiven die erhabene Ruhe des Hochgebirges stört.“

Wolfgang zuckte die Achseln.

„Ich bedaure, aber mit solchen poetischen Erwägungen kann man sich wirklich nicht abgeben, wenn man der Welt neue Verkehrswege erschließt.“

„Der Welt, die Ihnen gehört! Sie haben sich ja hier in Europa längst mit Dampf und Eisen zum Herrn derselben gemacht. Man wird schließlich nach irgend einer fernen Insel im Ocean flüchten müssen, um ein stilles Thal zu finden, wo man ungestört träumen kann.“

„Wenn Ihnen dies Träumen als alleiniger Zweck Ihres Daseins erscheint – allerdings, Herr Waltenberg. Bei uns gilt die That dafür.“

Ernst biß sich auf die Lippen, er sah, daß Erna zuhörte, und vor ihr in solcher Weise zurechtgewiesen zu werden, war mehr, als er ertrug , er nahm wieder den vornehm nachlässigen Ton an, mit dem er schon bei der ersten Begegnung versucht hatte, den „Streber“ zu demüthigen.

„Der alte Streit, den wir schon damals im Wintergarten des Herrn Präsidenten führten! Ich habe nie an Ihrem Thatendrange gezweifelt, Herr Elmhorst, und Sie haben ja auch ein glänzendes Resultat damit erreicht.“

Wolfgang richtete sich hoch auf, er wußte, wohin die Bemerkung zielte und welches Resultat gemeint war, aber er lächelte nur verächtlich. Hier war er nicht der „künftige Gemahl von Alice Nordheim“, wie bei der Residenzgesellschaft, hier stand er fest auf eigenem Boden, und mit dem ganzen stolzen Selbstgefühl eines Mannes, der sich seiner Kraft und seines Erfolges bewußt ist, erwiderte er:

„Sie meinen meine Thätigkeit als Ingenieur? Die Wolkensteiner Brücke ist allerdings mein erstes Werk, aber ich denke, sie soll nicht das letzte sein.“

Waltenberg verstummte. Er hatte bei seiner Ankunft ja auch den kühnen Riesenbau gesehen, der sich von Fels zu Fels über die gähnende Schlucht spannte, und fühlte, daß er es aufgeben müsse, den Mann, der das geschaffen hatte, als einen Glücksritter zu behandeln. Und wenn er zehnmal seine Hand nach der Tochter des Millionärs ausstreckte – in diesem Elmhorst lag doch mehr als bloßes Streberthum, er hatte es bewiesen; selbst sein Gegner mußte das anerkennen, wenn auch widerwillig genug.

„Ich habe hieran der That gelernt, den kühnen Ingenieur zu bewundern,“ versetzte er nach einer augenblicklichen Pause. „Es ist ein großartiges Werk.“

„Es ist mir sehr schmeichelhaft, wenn Sie das zugestehen, der Sie die Bauten der halben Welt kennen.“

Die Worte klangen verbindlich, aber die Blicke der beiden Männer kreuzten sich wie zwei scharfe Klingen. Sie empfanden es in diesem Momente deutlich, daß mehr als Abneigung, daß entschiedener Haß zwischen ihnen lag.

Erna hatte sich bisher mit keiner Silbe an dem Gespräche betheiligt, aber sie mochte es doch wohl fühlen, wer hier Sieger blieb, denn ihre Stimme verrieth eine kaum verhehlte Gereiztheit, als sie sich endlich einmischte.

„Geben Sie es auf, mit Herrn Elmhorst zu streiten. Er ist ebenso eisern wie seine Werke und die Poesie hat für ihn überhaupt keine Berechtigung auf der Welt. Wir beide gehören eben einer ganz andern Welt an und über die Kluft wird er keine Brücke schlagen.“

„Wir beide –– ja wohl!“ wiederholte Ernst, indem er sich rasch zu ihr wandte. Vergessen war der Streit, und der Haß ging unter in dem Strahle, der aus seinem Auge brach, es hatte einen fast triumphirenden Klang, dies „Wir beide!“

Wolfgang trat plötzlich zurück mit einer so jähen, heftigen Bewegung, daß Benno ihn höchst verwundert ansah. Der Doktor sprach gerade mit Veit Gronau, der herbeigekommen war, als er von Sepp den Namen Reinsfeld hörte, und sich nun selbst vorstellte.

„Erinnern können Sie sich meiner unmöglich,“ sagte er soeben. „Sie waren noch ein kleiner Bube, als ich in die weite Welt ging. So müssen Sie es mir denn auf mein ehrliches Gesicht hin glauben, daß ich ein Jugendfreund Ihres Vaters gewesen bin. Er ist längst todt, ich weiß es, aber ich denke, der Sohn wird mir den Händedruck nicht verweigern, den ich meinem alten Benno nicht mehr geben kann.“

„Gewiß nicht,“ versicherte der Doktor, indem er die dargebotene Hand kräftig drückte. „Nun lassen Sie mich aber auch hören, wie es kommt, daß Sie in Europa wieder auftauchen.

(Fortsetzung folgt.)




Die letzte Theatersaison.

Unsere Bühne hat gegenwärtig keine Glanzepoche: Operetten, Schwänke, die von Tag zu Tag lebenden dramatischen Erzeugnisse überwiegen; man erstaunt, wenn man die Chronik der letzten Saison durchblättert, über diese Masse staubaufwirbelnder Nichtigkeiten. Gleichwohl zeigt unser Theater doch öfters noch ein festtägliches Ansehen, nicht bloß bei der häufigen Aufführung klassischer Dramen und nichtklassischer Stärke von poetischem Werth, die sich auf den Repertoires eingebürgert haben; nein, auch die begabten Dramatiker der Gegenwart schaffen rüstig weiter, und es gelingt ihnen bisweilen ein glücklicher Wurf.

Einer der unermüdlichsten ist Paul Heyse, der mit einer Dichtung, welcher es an schärferen dramatischen Accenten, aber nicht an einem Hauch poetischer Weihe fehlt, an mehreren Bühnen, besonders auch am Berliner Hoftheater, einen schönen Erfolg errungen hat. Diese Dichtung, „Die Weisheit Salomos“, bringt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 568. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_568.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)