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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Belagerung von Metz, „Kriegsgefangene“, welches, neben seines Malers lebensvollem Selbstporträt, die Berliner Jubiläumsausstellung zierte, und die herrliche aquarellirte Komposition der Randbilder zur Adresse der Akademie zu des Kaisers Wilhelm I. 90. Geburtstage.

Der Berliner Künstlerverein hat den Meister 1886 zu seinem Vorsitzenden erwählt, in der richtigen Erkenntniß, daß die Interessen der Genossen in ihm den besten Vertreter haben, bei dem sich das eigene schöpferische Vermögen, die anerkannte Meisterschaft, die innige Vertrautheit mit allen künstlerischen Dingen, die Liebe zur Sache mit weltklugem, durchdringendem Verstande, Kraft und Festigkeit im Wollen und Handeln verbinden.

Die Facsimile von Wernerschen Skizzenbuchblättern, die wir unseren Lesern hier darbieten, die Naturstudie eines „anlegenden Soldaten“, das kleine Kind mit dem rührend drolligen, halb weinerlichen Gesichtsausdruck, die schlanken, feinen Knabenfiguren, die mit aufgesetzten weißen Lichtern plastisch modellirte Offiziersgestalt mögen als Proben dafür gelten, wie alles, was die Wirklichkeit seinen immer beobachtenden Augen zeigt, unseren Meister interessirt und anreizt, es wenigstens in raschen Strichen mit unfehlbarer Sicherheit nachzuzeichnen.

L. P.     




Nachdruck verboten.     
Alle Rechte vorbehalten.
In der Schutzhütte.
Novellenkranz von Johannes Proelß.
(Fortsetzung.)
6. Im ewigen Eise.

Es war inzwischen acht Uhr abends geworden, um welche Zeit Bergsteiger, die ein Alpenschutzhaus zum Uebernachten benutzen, um andern Tags noch vor Sonnenausgang den eigentlichen Aufstieg zum Ziel anzutreten, sich niederzulegen pflegen. Professor Schröder stellte daher der animirten Tischgesellschaft die Entscheidung anheim, ob man die Fortsetzung des Symposions vertagen oder noch beisammen bleiben solle, so daß auch Mr. Whitfield und Herr Kurz noch heute zu Worte kämen Er selbst würde es lebhaft bedauern, wenn der sich rundende Kranz von Erzählungen jetzt unvollendet bleiben müsse, aber dies sei seine Privatmeinung und könne für die übrigen Theilnehmer nicht maßgebend sein. Durch die ins Freie führende Thür, welche das Bärbeli geöffnet hatte, um den Herren frisches Getränk zu holen, pfiff in diesem Moment der draußen noch immer herrschende Sturm so kalt und schrill, daß Herr Kurz wohl die Meinung aller aussprach, als er lächelnd bemerkte:

„Na, morgen früh vom Säntis herab die Sonne aufgehen zu sehen, diese Hoffnung hat wohl ein jeder von uns längst völlig aufgegeben. Ich denke, Herr Whitfield und ich spinnen gleich weiter das Garn zu Ende, um diesen guten norddeutschen Seemannsausdruck zu gebrauchen.“

Der Engländer nickte zustimmend.

„Aber wer von uns beiden fängt an? Was mich betrifft, so lasse ich Ihnen als Ausländer gern den Vortritt, vorausgesetzt, daß der Faden Ihrer Geschichte bereit liegt.“

„Ganz wie es Ihnen beliebt,“ sagte, seine Cigarette niederlegend, Mr. Whitfield. „I am ready.“

Nachdem auch Professor Schröder ihn gebeten, daß er anfangen möge, rückte der schlanke, auffallend schön gebaute Brite näher an den Tisch heran und begann ohne weitere Umstände.

„Auch ich will ein Reiseabenteuer erzählen und von Wanderlust und Wanderglück; aber ich fürchte, daß nicht alles nach dem Geschmack der Mehrzahl von Ihnen ist, denn Sie sind Vergnügungsreisende, die ins Gebirg gekommen sind, um im Anschauen großer und schöner Natur auf kurze Zeit Ihr städtisches Kulturleben zu vergessen; mir ist das Ueberwinden der Schrecknisse der gewaltigen Gebirgsnatur dagegen zum Berufe geworden, die Alpen sind die grande passion meines Herzens, ich bin Alpinist mit Leib und Seele. Ich weiß wohl, wenn ich hier vor Ihnen ein Loblied auf die Kunst des Bergsteigens anstimmen und des längeren auseinandersetzen würde, wie hocherhaben dieser Sport über jeden andern zu stellen ist, Sie würden im Stillen mich einen ,Alpenfex‘ nennen und sich vor allem Folgenden bekreuzen. Es wäre dies auch gerade so verkehrt, wie wenn ein passionirter Jäger von seinen Jagdabenteuern vor Zuhörern schwärmen wollte, die, weil sie keine Jäger sind, während der Erzählung nur die armen Hirsche und Rehe bedauern, um deren Erschießen sich die Jagdlust dreht, oder wenn ein leidenschaftlicher Reiter sein Lieblingsthema eingehend behandeln wollte vor Sonntagsreitern, denen das bloße Zupferdesitzen schon eine Anstrengung ist. Aber ich habe die Frage nach meinem schönsten Reiseabenteuer zu beantworten, und so muß ich wohl oder übel manches vorbringen, was theils ruhmredig klingt, theils Ihnen thöricht erscheint, und was doch nicht zu verschweigen ist, weil es organisch zu meiner Geschichte gehört. Denn gerade dieses Erlebniß hat meine Leidenschaft für die Eis- und Firnwelt der Alpen zur Voraussetzung.

Nur eines lassen Sie mich noch kurz vorausschicken. Die meisten derer, die in den Städten einem friedsamen Berufe nachgehen, meinen, nur die Befriedigung der Eitelkeit sei der eigentliche Ansporn zu dem gefahrvollen Alpensport. Das Gegentheil ist der Fall. Es giebt nichts, was die menschliche Eitelkeit so gründlich demüthigt wie die innige Berührung mit der gewaltigen Hochalpenwelt, die in ihrer Schönheit wie ihrem Schrecken gleich großartig ist. Auch herrscht die Meinung, es handle sich dabei nur um Akrobatenkunststücke von Leuten, welche die Alpen als Klettergerüst betrachten. Aber die wahre Alpinistik ist zugleich eine Kunst und eine Wissenschaft. Die Kunst des Bergsteigens fordert eine Entfaltung der persönlichen Thatkraft und Geschicklichkeit, welche fast alle Fähigkeiten der Seele und der Sinne ins Spiel fetzt, sie fördert und bereichert durch die Erforschung der Alpenwelt unsere Kenntniß der Natur auf allen ihren Gebieten. Vor dem Botaniker, der die Flora, vor dem Zoologen, der die Fauna, dem Geologen, der die Gesteinschichten und Gletscherschiebungen der Alpen erforschte, vor dem Techniker, der bequeme Hochstraßen und kühne Schienenwege über und durch die Alpen legte, dem Meteorologen, der seine Beobachtungsstationen auf hohen Bergesspitzen errichtete, dem Strategen, der die im Kriege vorteilhaftesten Alpenpässe auf seinen Karten eintrug, vor den Erbauern bequemer Alpenschutzhäuser und Unterkunftshütten für das reisende Publikum, stieg als Pionier ihrer aller der Tourist in die Wirrniß der Bergriesen mit ihren Felsgraten und Geröllböden, Gletscherabstürzen und Schneeüberhängen, Firnbassins und Schuttkaminen und erforschte die Gesetze ihres Baues.

Leider freilich macht sich auch in der Alpinistik, wie überall in Kunst und Wissenschaft, der Dilettantismus besonders wichtig. In einem Dorfe am Fuß des Großglocknergebirgs liegt auf dem Friedhof ein junger Mann begraben, der bei einer Besteigung jener eisumpanzerten Spitze ums Leben kam. Ich war damals selber in Kals, als man seine Leiche herunterbrachte. Dieser Verunglückte erscheint mir immer als Typus dilettantischer Bergfexerei. Ohne an kleineren Hochtouren seine Kräfte erprobt zu haben, ohne irgendwie vorbereitet zu sein, in einem leichten Sommeranzug, welcher nur im Zuschnitt der wetterfesten Tracht der Gebirgsbewohner kokett nachgeahmt war, war er nach Kals mit einigen Freunden gekommen ohne die geringste Absicht, den Glockner zu besteigen. Die Rückkehr einer nicht gerade besonders kräftig gebauten Dame von einer glücklichen Besteigung der hohen Eispyramide veranlaßte ihn zu der Behauptung, ihm würde das gleiche Unternehmen eine Kleinigkeit sein, und als er damit auf den Widerspruch und Spott seiner Kameraden stieß, wettete er voll Uebermuth, daß er es ihnen beweisen werde. Unterwegs gerieth er mit seinen Führern in einen eisigen Schneesturm; den Mahnungen der kräftigen Männer, umzukehren, gab er nicht nach, so sehr er fühlte, wie seine Kräfte nachließen; seine Eitelkeit vermochte sich nicht in die aus einer Rückkehr sich ergebende Demüthigung zu finden, und so trotzte er den Elementen, bis er erlag, in Krämpfe verfiel und dann auf dem Rücken des treuen Führers, der ihn heruntertrug, sein Leben aushauchte.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 606. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_606.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)