Seite:Die Gartenlaube (1888) 638.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

So koncentrirt sich denn jetzt der Berliner Fasching in einer Ueberzahl der verschiedenartigsten Bälle, welche in den mehr oder weniger bekannten Vergnügungsorten, die sämmtlich von einem leichtfertigen Stern bestrahlt werden, stattfinden. Sie tragen zwar die pomphaftesten Namen und werden stets als „erste Sehenswürdigkeit der Residenz“ angekündigt; aber ob wir dem „Einzug der Rosenkönigin“ beiwohnen oder gar dem „Triumph der Königin Pomare“, ob wir uns die „Feenquadrillen“ ansehen oder den „Velocipedencontre“, der Eindruck ist fast immer derselbe: ein Trupp leichtgeschürzter Dämchen, umgeben von oft sehr alten und oft noch sehr jungen Herren, alle sich bemühend, die ungemein Amüsirten zu spielen, und gerade dadurch zeigend, wie sehr sie sich langweilen. Ein häßlicher Anblick!

Da geht es denn doch auf dem Corps de Ballet-Ball, der bei Kroll abgehalten wird, noch erfreulicher zu; auch dort ist die Gesellschaft meist eine recht „gemischte“, aber es herrscht doch noch wirkliche Lebenslust vor, man sieht den Einfluß der rauschenden Musik auf die dicht durch einander wogende Menge, die reich an graziösen und anziehenden Erscheinungen ist – zierliche Pagen, niedliche Blumenmädchen, schöngeputzte Tscherkessinnen, zumeist aber schlanke Dominos, die Gesichter durch die Seidenlarve oder den Spitzenshawl verhüllt, trotzdem oder vielleicht gerade deshalb dem Tanze mit Leidenschaft huldigend, dem sich hier sogar die Herren mit Eifer hingeben. Wir nehmen beim Verlassen des Ortes den Eindruck mit, daß auch in Berlin der Freudenbecher überschäumt und daß die Residenz auch darin „Weltstadt“ geworden ist!





Nachdruck verboten.     
Alle Rechte vorbehalten.
In der Schutzhütte.
Novellenkranz von Johannes Proelß.
(Schluß.)
8. Im Sonnenschein.

Das Wetterprophezeien müssen wir Astronomen doch auch weiter noch den Astrologen überlassen; das sind ja wirkliche Sonnenstrahlen, und ich meinte gestern Abend bestimmt, es werde nun so einige Tage weiter regnen.“ Mit diesem stillen Selbstvorwurf erhob sich Herr Doktor Helbig, die Augen nochmals reibend, von dem Lager, dessen Härte nicht hatte verhindern können, daß er bis eben fest und tief geschlafen hatte. Freilich nicht ohne Träume, die von den am Abend vorher gehörten Geschichten stark beeinflußt waren. Eben noch hatte sein Traum den dramatischen Höhepunkt erreicht. Er hatte sich mitten in einer von blauem Licht durchflutheten Gletscherspalte befunden, um seine Brust ein Seil, an welchem ihn ein Führer in der Schwebe hielt, in seinen Armen ein Mädchen, in dessen holdem bleichen Angesicht die Augen geschlossen waren … Wer war es nur gewesen? Die Züge waren ihm nicht fremd. Vergeblich! Er konnte sich nicht besinnen, wo im Leben er sie schon gesehen … Da war die Sonne von oben in die Gletscherspalte, nein in die schmale Kammer, die er mit Herr Whitfield als Schlafgemach theilte, gefallen und hatte ihn geweckt. „Neckender Traumgott, läßt Du Dir von der Wirklichkeit so direkt ins Handwerk pfuschen? Hast Du mir nun den Traum gesandt oder ist nicht hier mein noch schlummernder Stubengenosse der Uebelthäter, dessen Gletscherabenteuer meine erregte Phantasie in ihrer Weise weiter gesponnen?“

Leise war er ans Fenster getreten und hatte den linnenen Vorhang zurückgeschoben. Da aber brach es mit Entzücken von seinen Lippen: „Herrlich, wunderbar! Hollah, Herr Whitfield, aufgewacht, es ist über Nacht das schönste Wetter geworden und nun sehen Sie einmal, welch ein Schauspiel!“

Der Engländer war sofort aufgefahren, hatte sich schnell am Waschtisch mit kaltem Wasser die Augen genetzt und trat mit einem freundlichen Good morning, Sir! neben den enthusiasmirten Astronomen an das Fenster. Und auch sein verwöhnter Sinn mußte eingestehen, daß der sich darbietende Anblick ein außerordentlicher war.

Dicht vor ihnen und in der tiefen Schlucht, die sich vom Seealpthal zu den Schneefeldern des Hohen Säntis und seiner Nachbarn heraufzog, wallte und wogte es von weißschimmernden Dämpfen und Wolken, klar und scharf aber über dieser vom Licht durchflossenen Nebelmasse hoben sich die zackigen Formen der Bergspitzen selbst empor ins Blau des wolkenlosen Himmels, auf der einen Seite noch tief in Schatten, auf der andern aber vom Licht der siegreichen Morgensonne leuchtend überfluthet. Immer mächtiger wurde ihr Walten, immer mehr verflüchtigten sich die Wolken, gleich fliehenden Spukgestalten, hinunter ins Thal, dessen Umrisse allmählich auch sichtbar wurden.

„Das wird ein Tag,“ rief befriedigt der Deutsche, der sich von dem Anblick nicht hatte trennen können, als der Engländer bereits mit einem Splendid indeed daran gegangen war, seine einfache Toilette zu vollenden: „Nun aber auch keine Zeit verloren; ich gehe nach dem Frühstück sofort auf die Spitze!“

„All right, ich werde Sie begleiten. Die Aussicht war gestern zu dunstig. Ein so frisch geklärter Morgen wie heute ist selten.“

Auch in den anderen Räumen der Meglisalpe war es inzwischen lebendig geworden. In Plaids und wollene Bettdecken gehüllt zum Schutz gegen die noch herrschende Kälte, erschienen fast gleichzeitig mit den beiden Junggesellen die Kurzschen Eheleute und Professor Schröder auf dem hofartigen Platz vor den beiden Unterkunftshäusern, einander in frohester Stimmung wie alte Bekannte begrüßend. Aus der Küche tönte der Appenzeller Kuhreigen und der Führer Doktor Helbigs, der eine kleine felsige Anhöhe in der Nähe bestiegen hatte, ließ einen Juchzer ertönen, so laut und kräftig, daß der in den Bergen geweckte Widerhall wie Donnerklang dröhnte. Das Bärbeli, das bereits blitzsauber angekleidet war und eben den aufgestandenen Gästen auf einem Tisch im Freien den Kaffee auftrug, sagte mit stolzem Lächeln: „Das ist mein Schmied-Jakob, gelt, der kann’s!“

Mit warmem Interesse wurde der kräftige Bursche, der lachend herantrat, um seinen Herrn zu fragen, ob er die Sachen zum Aufbruch herunterholen solle, von allen bewillkommnet; er war ihnen ja durch die Geschichte vom Bötzler, wie sie das Bärbeli gestern Abend erzählt, allen aufs beste bekannt.

Jetzt traten auch Herr Breitinger und seine Frau aus dem Nebengebäude, fix und fertig zum Abmarsch. Die fröhlichen Malersleute sahen heiter aus wie der Sonnenschein, der das Bild rings umfluthete.

„Da sind einmal wirklich die Rechten zu einander gekommen,“ flüsterte mit einem fast mütterlich zärtlichen Blick auf das schöne Menschenpaar Frau Kurz ihrem Gatten zu; dann rief sie den Nahenden mit freundlichem Gruße entgegen: „Schon reisefertig?“

„Versteht sich, an solchem Morgen ist jede Minute kostbar,“ entgegnete die Malerin. „Und zwei Stunden braucht auch ein rüstiger Bergsteiger zum Hinaufstieg,“ fügte ihr getreuer Mann und Kollege hinzu.

„Die Herrschaften haben recht, Lina. Gefrühstückt hätten wir – so kann’s denn losgehen. Aber warten dürfen Sie nicht auf uns. Wir nehmen uns Zeit. Das Alter hat etwas überflüssigen Ballast angesetzt und da ‚örteln‘ wir uns so langsam hinauf. Das eine große Schneefeld dort wird uns ohnehin Mühsal bereiten.“

Doch dem widersprach ihr Führer. Ein wenig strapaziren würden sich die Herrschaften schon, aber besonders schlimm wäre der Weg nicht. Nicht einmal für Damen beschwerlich, bei so schönem Wetter wie heute.

Auch Professor Schröder hatte sich reisefertig gemacht und kam, mit seinem Alpenstock bewaffnet, gerade auf die im Gespräch begriffene Gruppe zu, um Adieu und Auf Wiedersehen zu sagen, denn er wollte sich den eben aufbrechenden jüngeren Männern anschließen. Er kam gerade zurecht, um die letzte Versicherung des Führers zu vernehmen, und diese bewirkte eine Aenderung seines Entschlusses. Er drehte sich um, winkte den seiner Harrenden Lebewohl zu und rief „Auf Wiedersehen, meine Herren, heut Mittag! Ich bleibe hier und erwarte meine Damen, um dann gegen Abend mit ihnen den Aufstieg zu unternehmen. Das Barometer ist so bedeutend gestiegen, daß das schöne Wetter gewiß anhält. Da wär’s eine Sünde, wenn ich meine Frau, die unserer

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 638. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_638.jpg&oldid=- (Version vom 1.3.2024)