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verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

die großen Stauungen und Waarenlager stehen leer, und auf der einst so reich belebten Straße, die unter den grauen Wänden des Karwendelgebirgs hinüberführt nach den Thälern Tirols, kann man tagelang hinwandern, ohne ein anderes Fuhrwerk zu sehen, als etwa den gelben Wagen der königlich bayerischen Post.

Wenn aber auch die Handelsblüthe Mittenwalds dahingegangen ist, der einmal geweckte Unternehmungsgeist der Mittenwalder schuf sich einen Ersatz in einem Gewerb ganz eigener Art. Das ging folgendermaßen zu:

Im Jahre 1663 wanderte ein zehnjähriges Bübchen aus Mittenwald mit einem Fuhrmann von da durch Tirol, um in dem gewerbfleißigen Oberitalien eine Kunst zu erlernen. Das Bübchen hieß Hiesel (Mathias) Klotz und wurde, nachdem es wie ein Stück Frachtgut von einem Fuhrmann an den andern abgegeben worden, schließlich in der Werkstätte des Geigenmachers Nicolo Amati zu Cremona als Lehrling untergebracht. Der kleine Klotz ward bald einer der besten Gehilfen des Meisters. So sehr zeichnete Amati den Mittenwalder aus, daß die Eifersucht der welschen Gesellen sie dazu trieb, den jungen Deutschen mit bewaffneter Hand anzufallen. Der Mittenwalder wehrte sich zwar tapfer genug, aber er ward verwundet. Sein Meister verhalf ihm zur Flucht aus Cremona. Dann diente er kurze Zeit als Landsknecht und wanderte hierauf als Geigenmachergesell wieder von Stadt zu Stadt, um endlich nach zwanzigjährigem Aufenthalt in der Fremde mit einem reichen Schatz von Modellen, Zeichnungen und Erfahrungen in die Heimath zurückzukehren.

Am Stammtisch in der „Post“ zu Mittenwald.
Nach einer Kohlenskizze von F. Prölß.

Er kam, um aus seinem Heimathorte ein bayerisches Cremona zu schaffen. Seit Mathias Klotz aus Welschland zurückkehrte, singt und klingt es in Mittenwald und von da durch ganz Deutschland und durch die ganze Welt, ein holder, langgezogener Saitenklang – die Mittenwalder Geigenindustrie. Von dem berühmten Tiroler Geigenmacher Stainer zu Absam hatten die Mittenwalder gelernt, daß die edle Haselfichte, die an den Sonnenbergen um Mittenwald wächst, im Holze ihres schlanken Stammes zauberischen Wohllaut verbirgt. Wie es Stainer einst gethan, so wanderte jetzt Klotz durch die Wälder und schlug mit der Axt an die Stämme, um zu hören, welchen Ton sie gäben. Und wenn die Holzknechte droben im Hochgebirg Bäume niederwarfen und sie über das steile Gehäng herabstürzten, saß er daneben, um zu lauschen, welchen Klang die stürzenden Stämme gaben; und die, welche den schönsten Klang hatten, wählte er zum Holz für seine Geigen.

Es währte freilich manches Menschenalter lang, bis Mittenwald sich in der Geigenindustrie den stolzen Ruf erwarb, den es heute besitzt. Jetzt ist das Absatzgebiet der Mittenwalder Saiteninstrumente die ganze Welt. Den Absatz der Instrumente besorgen zwei große Verlagsgeschäfte, während das Hausiren der Geigenmacher selbst immer seltener wird. Fast in jedem Hause von Mittenwald ist eine Werkstätte; und wenn man an einem schönen Sommertage von dem nächsten schroffen Hügel herunter schaut in den Markt, sieht man in allen Gärten die zum Trocknen aufgehängten Geigen schimmern und im Winde tanzen.

Freilich sitzen nicht alle Männer Mittenwalds an der Schnitzbank. Mancher, dem das Blut der Bergbewohner zu feurig durch die Adern rollt, zieht es heute noch vor, als Fuhrmann neben seinen schweren Rossen landein, landaus zu wandern oder bei der freien lustigen Holzarbeit droben im Hochwalde zu hausen, oder auch als Flößer auf seinem rohen Balkenfahrzeug die grünen Isarwellen hinabzuschwimmen nach Tölz und München, um hernach, mit der blinkenden Axt auf der Schulter, wieder bergeinwärts zu wandern. Auch das Wildschützenthum und das Schwärzergeschäft, die einst hier hoch im Schwunge standen, dürften noch nicht ganz aufgehört haben.

Mittenwald hat auch seine Honoratioren, und wer diese wackeren Männer kennen lernen will, braucht sich nur in der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1888, Seite 682. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_682.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)