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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

In unserer vaterländischen Höhlenfauna sind zwei Arten bekannt, der bleiche und blinde Grottenflohkrebs und die Höhlenwasserassel, welche eine entschiedene nahe Verwandtschaft mit zwei oberirdischen Arten aufweisen, mit dem gewöhnlichen Bachflohkrebse und der gewöhnlichen Wasserassel. Während die beiden oberirdischen Arten sich durch lebhafte Färbung und wohlentwickelte Augen auszeichnen, fehlen den Dunkelbewohnern der Hautfarbstoff und die Gesichtsorgane. Die Forschung hat nun zweifellos ergeben, daß jene Dunkelbewohner von den überirdischen Verwandten abstammen. Man war in der Lage, Zwischenstufen dieser eigenartigen Umwandlung zu verfolgen, und zwar in den Stollen unserer ältesten Bergwerke. In den alten Stollen von Clausthal im Oberharz wohnen Scharen bleicher Flohkrebse, die hier seit etwa 300 Jahren eingebürgert sein müssen Der ganze Körperbau und die noch vorhandenen Augenflecke deuten darauf hin, daß sie von den gewöhnlichen Flohkrebsen abstammen. Die Bleichheit haben sie dagegen mit den Höhlenthieren gemein und die Untersuchung der Gesichtsorgane zeigt, daß das Auge und namentlich die Linse verkümmert ist. So nehmen diese Thiere eine Mittelstufe zwischen den oberirdischen Flohkrebsen und dem Grottenflohkrebs ein. Dieselben Erscheinungen sind auch bei der bleichen Wasserassel im „Alten tiefen Fürstenstollen“ von Freiberg im Erzgebirge nachgewiesen worden.

Die Wege, welche die Aufklärung nimmt, sind oft wunderbar: so dringt hier aus der ewigen Nacht der unterirdischen Höhlen und Grotten ein heller Lichtstrahl hervor, der uns die Räthsel der Schöpfungsgeschichte zu deuten gestattet.

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Platz am Tisch. Da steht eine junge Hausfrau an der Tafel, die sie für ihre „erste Gesellschaft“ decken soll. Das Eßzimmer ist geräumig, und der Tisch kann durch Einschieben von Koulissenbrettern nach Belieben länger gemacht werden. Wie soll sie ihn decken, wie viel Bretter einschieben, wie viel Platz jedem Gaste an der Tafel einräumen? Das sind Fragen, die ihr durch den Kopf schwirren. Soll sie die Tafel möglichst ausdehnen, um zu zeigen, wie groß ihre Hauseinrichtung ist? Wir wollen ihr helfen und ihr mittheilen, daß es auch „Rathgeber“ für solche Fragen des Lebens giebt und daß sie von der Lektüre einer Reihe sehr anziehender Plaudereien „Im Bürgerhause“ von Cornelius Gurlitt sehr entzückt sein würde. In diesem im Gilbersschen Verlage in Dresden erschienenen Büchelchen sind auch „Tischfragen“ berücksichtigt. Es ist eine alte Regel, daß jede Person, knapp gerechnet, die Breite zweier Teller, also ungefähr 60 Centimeter, für sich braucht; bei mehr als 75 Centimeter Entfernung von der Mitte eines Sitzes zu der eines anderen wird schon der Eindruck des Leeren an der Tafel entstehen.

Das sind einfache, leicht zu merkende Zahlen, welche alle Zweifel beim Tischdecken rasch zu lösen vermögen. – Wir können bei dieser Gelegenheit noch andere „Tischfragen“ berühren. Wie breit soll der Tisch sein? Der Möbelwaarenhändler bietet uns verschiedene Breiten zur Auswahl an. Welche paßt wohl am besten für das Bürgerhaus? Da lautet die Antwort: Tische, die schmäler sind als ein Meter, werden sich zu eng erweisen, aber man sollte nicht über 1,25 Meter Breite hinausgehen, weil alsdann die größere Breite die Unterhaltung in der Gesellschaft und die gegenseitige Bedienung im Familienkreise stört. – Wie viel freien Raum müssen wir hinter der Stuhllehne für die Bedienung lassen? Die Antwort lautet: mindestens 60 Centimeter, und daraus ergeben sich wiederum Anhaltspunkte für die Größe des Eßzimmers. – Ja, das Metermaß wird beim Miethen und Einrichten neuer Wohnungen zu wenig gebraucht, und doch unterstützt es so wesentlich das Auge, und dessen Anwendung ist so sehr geeignet, uns vor allen möglichen Enttäuschungen zu bewahren.

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Verwerthung unreifer Weintrauben. Eine schöne Lese reifer Weintrauben ist für den Besitzer ebenso erfreulich, als unreife Trauben für ihn eine Quelle der Sorge und des Aergers bilden, um so mehr, als er vielfach nicht weiß, was er mit denselben anfangen soll. Lassen sich unreife Trauben überhaupt verwerthen? In jedem Jahre wird diese Frage in zahllosen Briefen an uns gerichtet. Sie läßt sich mit Ja beantworten: unreife Weintrauben lassen sich zur Bereitung von Essig verwenden und das Verfahren ist kein sehr schwieriges. Ein bewährter Mitarbeiter unseres Blattes giebt uns die folgende verläßliche Anleitung, welche wir gerne an dieser Stelle abdrucken, weil die Verwerthung nicht zur Reife gediehener Trauben auch von wirthschaftlicher Bedeutung ist.

Um aus unreifen Trauben Essig zu bereiten, zerquetsche man die Trauben mittelst einer Holzkeule. Der mit Wasser und Zucker versetzte, zuvor tüchtig ausgepreßte Traubensaft wird alsdann mit Hefe (am vortheilhaftesten mit frischer Weinhefe, in Ermangelung dieser mit in Wasser zertheilter Preßhefe) sogleich in Gährung versetzt. Auf 100 Liter Traubensaft giebt man 100 Liter Wasser und 17 Kilogramm Zucker. Man läßt die Gährung bei 20 bis 22 °C Wärme verlaufen, trennt die vergohrene Flüssigkeit sorgfältig von der ausgeschiedenen Hefe und kann die erstere entweder in spundvoll gehaltenen Fässern lagern lassen, wodurch sie an Wohlgeschmack gewinnt, oder sogleich zur Darstellung von Essig benutzen. Im letzteren Falle mischt man je einen Theil der vergohrenen Flüssigkeit mit zwei Theilen gutem starken Essig (bedient man sich des feinsten Weinessigs, so erhält man aus unreifen Weintrauben einen vortrefflichen Essig) und füllt das Gemisch auf Flaschen, welche man, sehr gut verkorkt, liegend an einem kühlen Orte aufbewahren muß.

Es kommt vor, daß ein derartig bereiteter Essig nicht klar, sondern trübe ist; meist rührt dies von den Hefetheilchen des Essigs her, welche sich noch nicht völlig abgesetzt haben; auch findet man wohl in einzelnen Fällen, daß sich der Essig durch einen unangenehmen Nebengeruch unappetitlich zeigt. Diese Uebelstände kann man mittelst frisch gebrannter, gröblich gekörnter Knochenkohle (Beinschwarz, auch Spodium genannt) beseitigen. Man rechnet 6 bis 7 Gramm Knochenkohle auf je einen Liter Essig, schüttelt die Flaschen, nachdem die Kohle hinzugegeben worden ist, tüchtig wiederholt um und filtrirt nach vier Tagen den Essig durch ein leinenes Tuch oder ein reines Filzfilter. Der filtrirte Essig ist dann völlig klar, da alle schleimigen Theile demselben sich an das Knochenkohlenpulver abgesetzt haben, gleichwie auch der Essig einen angenehmen Geruch angenommen hat.

Ein neues Werk für Monogrammstickerei. Das eigenthümliche Bestreben unserer Zeit, überall den Stoff zu sammeln und systematisch anzuordnen, hat für das Kunstgewerbe bereits glänzende Früchte getragen und schafft Nutzen in immer weiteren Kreisen, indem auch für die Nebentechnik der feinen Nadelarbeiten mustergültige Vorlagen erschlossen werden. Eine solche schöne, reichhaltige und sehr praktisch geordnete Mustersammlung liegt uns heute vor in dem großen Werke: „Das Stickereimonogramm für Ausführung in Seide-, Gold- und Weißstickerei, entworfen von Frau Elise Bender, Hofkunststickerin in Wiesbaden.“

Sehr richtig führt die Verfasserin den bisherigen Mangel an gut „stickbaren“ Monogrammen an, der trotz der verschiedenen von Künstlerhand gezeichneten Monogrammwerke bestand, eben weil sich durchaus nicht alles gut sticken läßt, was schön gezeichnet aussieht. Der Hauptbedarf, die einfach verschlungenen Buchstaben, aber deckte sich bisher aus den Modezeitungen, wo man aber gewöhnlich gerade die beiden Buchstaben nicht fand, welche man gerade suchte.

Allen diesen Uebelständen hilft das neue Werk ab, welches auf 320 Tafeln in 6000 Monogrammen jede mögliche Zusammensetzung zweier Buchstaben in korrekter und reich verzierter Zeichnung bietet; 6 weitere Blätter enthalten einfache und verzierte Alphabete mit Kronen und Zahlen. Jedes Monogramm füllt in etwa 22 verschiedenen Exemplaren eine ganze Tafel. In der Mitte steht immer ein großes Prunkmonogramm für reichverzierte Kissen u. dergl., auf jeder Seite desselben drei weitere in gleicher Zeichnung, aber in abgestuften Größen, entweder für Tafeltuch, Tischtuch und Servietten oder für Ueberschlagbetttuch, Plumeau und Kissen verwendbar. Derber und einfacher gezeichnet sind die für Hausweißzeug, fein und elegant die Zierschriften für Taschentücher. Das Werk legt auf jedem Blatt Zeugniß ab sowohl für das Stilgefühl der Verfasserin als für den Reichthum ihrer Phantasie.

Industrieschulen und Stickereigeschäften wird es eine hochwillkommene Fundgrube werden, aber auch dem Familienbedürfniß ist durch die Einrichtung Rechnung getragen, daß jedes Blatt mit dem bestimmten Monogramm für 80 Pfennig einzeln gekauft werden kann. Alle denkbaren Bedürfnisse der Ausstattungswäsche finden sich darauf vereinigt; aber auch wo keine „Braut im Hause“, wird der Besitz eines so reichhaltigen Familienmonogramms für fleißige Stickerinnen Gewinn und Freude sein.

Das Werk erscheint lieferungsweise: Probeblätter sind von der Verlagshandlung Hoffmann u. Ohnstein, Leipzig, zu beziehen. Wir können es der allgemeinen Beachtung aufs beste empfehlen.

Br.     

Sitten der norwegischen Bauern. Es ist ein höchst wortkarger Menschenschlag diese wackeren Norweger, die da an den Ufern der Fjords und in den Thälern der schroffen Grenzgebirge leben. Möglich, daß die düstere norwegische Natur den verschlossenen Sinn der Bewohner mit verursacht. Bis zu welcher anscheinenden Gefühlshärte dies schweigsame und zurückhaltende Wesen der Norweger geht, davon erzählt uns Ferdinand Krauß in seiner vortrefflichen Schrift „Von der Ostsee bis zum Nordkap“ (Neutitschein, Wien und Leipzig, Rainer Hosch), ganz merkwürdige Dinge: Ein Bauer tritt ist die Stube eines andern, er zieht dabei weder die Mütze vom Kopfe, noch reicht er seine Hand zum Gruße dar oder nickt mit dem Kopfe. Nichts von alledem. Ebenso wenig läßt sich einer der in der Stube Anwesenden in seiner Beschäftigung irgendwie stören. Jetzt wünscht der Fremde aber „guten Morgen“ oder „guten Tag“ dem Hausvater zugewendet oder er gebraucht die in Norwegen allgemeine Redewendung: „Danke für das letzt’ (letztmal)“; dann erhält er die Antwort: „Segne dich Gott“, oder „nicht zu danken“, und aus der Art und Betonung der Antwort kann er leicht entnehmen, ob er willkommen ist oder nicht.

Tritt der Bauer irgend eine Reise an, so wird er seinen Wagen bepacken, das Pferd anspannen, seinem Weibe vielleicht über manches Bescheid geben, was in seiner Abwesenheit zu thun ist, aber es fällt ihm nicht ein, sich bei der Abreise von der Bäuerin etwa mit Gruß und Handschlag zu verabschieden; ebenso wenig hat er bei der Heimkehr irgend ein Wort des Willkommens oder ein äußeres Zeichen der Freude des Wiedersehens. Der Bauer wird zuerst sein Pferd versorgen, dann, von den Kindern, die stets kleine Geschenke erwarten, umringt, seine Einkäufe in der Stadt auspacken; die Frau zu grüßen oder ihr gar die Hand zum Willkommen zu reichen, fällt ihm nicht ein, ebenso wenig wie sich die Bäuerin in ihrer Beschäftigung durch die Ankunft des Bauern im geringsten stören läßt.

Als der alte Eilert Sundt, der sich am Ende der fünfziger Jahre viele Mühe gab, die alten Sitten der norwegischen Bauern zu erforschen, mit Bezug hierauf einen alten Bauern fragte: „Höre mal, meiner Ansicht nach mußte die Frau sogleich von ihrer Arbeit aufstehen; Dir entgegengehen, Dich willkommen heißen und Dir die Hand zum Gruß reichen,“ da konnte sich der Bauer des Lachens nicht enthalten und meinte: „Wenn sie sich so benähme, würden uns die Dienstboten schön auslachen.“ Der wißbegierige alte Sundt fragte jedoch weiter: „Hast Du nie gehört, daß ein Bauer, wenn er von der Reise heimkehrte, seiner Frau ‚Guten Tag‘ gesagt hat?“ „Ja doch,“ erwiderte der Bauer, „vor vielen Jahren lebte ein Mann im Kirchspiele, der diese seltsame Gewohnheit hatte.“

Man vermeidet sorgfältig jede Art von Liebkosung, jedes Zeichen der Zärtlichkeit, und dies gilt auch von der Kindes- und Elternliebe. Die Eltern sorgen aufs beste für ihre Kinder: diese erhalten ihre eigenen Truhen und in jeder Truhe liegen soviele Hemden, als das Kind Jahre alt ist. Nie wird man jedoch sehen, daß die Eltern die Kinder, wenn sie den Windeln entwachsen sind, in irgend einer Weise liebkosen. Selbst die sonst allgemeine Sitte, daß die Kinder den Eltern jeden Morgen und jeden Abend „guten Tag“ und „gute Nacht“ wünschen, hat sich bei den

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