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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Ebene sich mit kurzen Kräutern, mit Gras und Blumen. Bald aber ziehen dann die braunen, malerisch in dunkle Mäntel gehüllten Hirten mit vielen Tausenden von Ziegen, Schafen und Rindern aus dem Gebirge herab, um das endlose Weidegebiet zu bevölkern. Die Luft ist dann reiner geworden, Menschen und Thiere können jetzt hier athmen. Schutz finden jene in irgend einem alten Gemäuer oder in den Höhlen und Grotten des weichen Tuff, aus denen man die Puzzolanerde geholt, die dem Römer, mit Kalk gemischt, einen trefflich festen Mörtel giebt.

Die nächste Wasserleitung hat man angezapft, um einen gemauerten Trog am Rande des Wegs zur Tränke zu füllen. Hier ziehen auch die Campagnolen vorüber, die auf hohen, zweiräderigen, mit Stieren bespannten Karren den Wein aus den Bergen zur Stadt führen, die Eseltreiber, die ihre Lastthiere in langem Zuge heimtraben.

Es ruht ein melancholischer Zauber, ein feierlicher Ernst auf dieser historischen Landschaft. Alle Vergangenheit hat hier ihre Spuren zurückgelassen. Wenn wir zwischen zertrümmerten Grabdenkmälern die appische Straße entlang schlendern, die südwärts nach Capua und Neapel führt, so blicken wir von ihrer Höhe über die Ruinen einer weiten Rennbahn, welche Maxentius, der letzte heidnische, von Konstantin besiegte römische Kaiser, hat erbauen lassen; die Bogen einer geborstenen Wasserleitung erheben sich aus der Oede, klotzige Kriegsthürme erinnern an das Mittelalter, die Kreuze und Glocken aus kleinen einsamen Kapellen, welche das Christenthum aus antiken Grabtempelchen umgewandelt, an jene Frühzeit des Uebergangs. Undeutbares Ruinengemäuer fesselt den Blick, der aber hinüberschweift zu den herrlichen Gebirgszügen. Auf den Kuppen der Albanerberge erkennt er deutlich die Stammburgen der Colonna und anderer alter berühmter Geschlechter, die Städtchen und Villen, die Reste des antiken Tusculum, denen das heitere Bergstädtchen Frascati zu Füßen liegt. Aus dem Sabinergebirge bricht in tiefer Schlucht der Anio hervor, an den Abhängen breitet Tivoli sich aus. Während schöner sonniger Wintertage zeigt sich die römische Campagna, mit den Hirten, Karrenführern, Eseltreibern belebt, als Landschaft großen Stils.

Steigt aber die Sonne höher, kommen die Monate April und Mai, dann beginnt sie zu veröden. Die Hirten haben die jungen Lämmer und Zicklein als leckere Braten in die Stadt verkauft und ziehen nun mit ihren Herden zurück in die kühleren gesünderen Berge. Die sengende Sonne tödtet allen Pflanzenwuchs, das modernde Wasser, das sich in unterirdischen Löchern und in dem mürben Gestein gesammelt, beginnt in der Hitze zu verdunsten und jene Pestluft auszuhauchen, welche die furchtbaren Fieber erzeugt, die meist sofort tödlich wirken. Die Campagna der großen italienischen Hauptstadt versinkt in langen Sommerschlaf.

Der moderne Staat wendet alles dran, um sie aus demselben zu erwecken, die Umgebung der Hauptstadt gesund und bewohnbar zu machen. Strenge Gesetze sind zu dem Zwecke erlassen worden. Die weiten, brach liegenden Gebiete, meist im Besitze der Kirche oder dem hohen Feudaladel gehörend, sollen bebaut und besiedelt werden. Der Staat fordert, daß in jedem Jahre damit in kleinen Streifen vorgegangen werde, behält sich jedoch das Recht vor, falls in einer festgestellten Reihe von Jahren dies nicht geschehen, den Landbesitz durch Enteignungsverfahren erwerben und an kleine Leute abgeben zu können. Entwässerungsarbeiten werden geplant, um den schlimmsten Feind der Campagna von Rom, die unterirdischen Wasserpfützen, welche die furchtbaren Fieber erzeugen, zu verbannen. Man nimmt jedoch an, daß schon eine dichtere seßhafte Bevölkerung und die regelmäßige Bebauung des Bodens die Landschaft fieberfrei machen dürfte.

Dann soll die Anpflanzung eines australischen Baumes mithelfen, der in dem römischen Klima sich bereits völlig eingebürgert hat. Der Eukalyptus (Fieberbaum) hat die Eigenschaft, alle Feuchtigkeit aus dem Boden und aus der Luft anzuziehen und sich damit zu mästen. Er verbraucht zu seinem staunenswerth schnellen Wachsthum alle Feuchtigkeit, die seine Wurzeln und Blätter erreichen können, und hat schon manches Besserungswerk unterstützt. In dem Theile der Campagna, der sich südwestwärts zum Meere hinzieht, steht einsam die Abtei der drei Brunnen. Das Haupt des an dieser Stelle geköpften Apostels Paulus, so erzählt die Legende, soll dreimal von der Erde in die Höhe gesprungen sein und an jedem Punkte ist da ein Brünnlein hervorgesprudelt.

Die frommen Väter, die dort beschaulicher Andacht lebten, waren nun genöthigt, in jedem Juni nach der Stadt überzusiedeln, um dem tödlichen Fieber zu entrinnen. Sie sehnten sich fort aus dieser gifthauchenden Umgebung, und als französische Trappisten den Wunsch aussprachen, die verlassene Abtei zu beziehen, willigten sie gern ein. Diese begannen sofort damit, das ganze Hügelgelände mit Eukalyptus zu bepflanzen, in so weiten Abständen, daß darunter noch Feldfrucht gebaut werden konnte. Die Bäume gediehen und schufen Wunder. Heute nach kaum einem Jahrzehnt ist dieser Theil der Campagna völlig gesund, die Brüder Trappisten bleiben den ganzen Sommer hindurch in ihrer Abtei; kein Fieber zehrt an ihrer Gesundheit, sie bestellen den gewonnenen Acker und destilliren aus den Blattkeimen des fremden Baumes einen bitteren Schnaps, den man von ihnen kaufen kann.

Ob es gelingen wird, auch die tieferen, muldenförmigen Theile der Campagna von Rom derartig zu kultiviren, ob die Bodenarbeiten zur Beseitigung der faulenden Wasser nicht während des Sommers bedeutende Opfer an Menschenleben fordern werden – denn nicht selten fallen die vom Fieber ergriffenen Menschen plötzlich um, um nie wieder aufzustehen – das ist schwer vorherzusagen. Die Landschaft von Rom muß aber eine andere werden, wenn die Hauptstadt des Königreichs nicht ferneren Schäden ausgesetzt bleiben soll.

Der Zauber, den dieses unabsehbare, mit Ruinen bedeckte, von Hirten und Campagnakärrnern allein belebte Gefilde mit den Gebirgen, die es umrahmen, jetzt auf jeden Besucher ausübt, die hohen und ganz eigenartigen Reize dieser einzigen historischen Landschaft werden dann schwinden, wenn Getreideäcker, Dörfer und Gutsgebäude sie bedecken, wenn Eukalyptuswäldchen die Tiefen füllen, auf den Rücken alter Lavaströme neben den Festungswerken, die das neue Italien dort zum Schutze seiner Hauptstadt erbaut, Pumpstationen Wasserthürme, Dienstwohnungen sich erheben werden.

Doch alle ästhetischen und künstlerischen Liebhabereien kommen nicht in Frage, wenn es gilt, Rom eine gesunde, bewohnbare Umgebung zu schaffen, und wie so manches in der Stadt selbst der neuen Zeit mit ihren Anforderungen hat weichen müssen, so sind auch die Tage der jetzigen Campagna von Rom vielleicht schon gezählt.




Kaiser Wilhelm II. in Wien.

Wie im Fluge sind die „Kaisertage“ verrauscht, welche uns gestatteten, eines der merkwürdigsten Kapitel Geschichte mitzuerleben, ein Kapitel, von dem der Historiker wird sprechen müssen, um die Innigkeit des Verhältnisses zu kennzeichnen, wie es sich zwischen dem Deutschen Reiche und Oesterreich-Ungarn langsam, aber sicher – mit der Tendenz unabsehbarer Dauer – herausgebildet hat. Am 3. Oktober morgens langte Kaiser Wilhelm in Wien an; er verließ die österreichische Hauptstadt oder eigentlich deren nächste Umgebung am 5. Oktober nachmittags, um vorerst mit seinem kaiserlichen Jagdfreunde dem Weidwerk obzuliegen und dann die Fahrt nach Rom anzutreten. Ein kurzer Aufenthalt war es, der erlauchte Gast ging in die Ferne, kaum daß er gekommen; aber die enge Spanne Zeit faßte einen der bedeutsamste Zwischenfälle der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts in sich. Man übertreibt nicht, wenn man sagt, daß die Augen der ganzen civilisirten Welt auf Wien gerichtet waren, und daß niemand, der für die europäische Lage Herz und Sinn hat, sich unklar sein konnte über die Wichtigkeit des Ereignisses.

Monarchenbesuche von Hof zu Hof sind in unseren Tagen nichts Seltenes. Aber diesmal handelte es sich um mehr als um einen Akt der Höflichkeit, als um einen Zoll, dargebracht der zwingenden Konvenienz. Der Enkel Kaiser Wilhelms I. wollte durch persönliches Erscheinen bekräftigen, daß er unentwegbar hochhalte, was sein erhabener Großvater geschaffen; er eilte in die Arme des kaiserlichen Freundes, der in seiner selbstlosen, nur

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 764. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_764.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)