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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

des Volkes Wohl erwägenden Art sich längst mit Verhältnissen abgefunden hat, welche sich so ganz anders gestalteten, als es zur Zeit seiner Thronbesteigung sich ahnen ließ. Kaiser Franz Josef hat es hochherziger Weise über sich vermocht, im reifen Mannesalter mit der Vergangenheit abzuschließen und aus einer veränderten Gegenwart heraus an dem Baue der Zukunft zu schaffen. So brachte er Wilhelm I. aufrichtige Freundschaft entgegen; er hat diese auf Wilhelm II. übertragen, und man hörte den Ausdruck seiner wahrsten Empfindungen, als er während des Galadiners im Redoutensaale sein Glas erhob, um auf das Wohl seines lieben Gastes zu trinken. Und nicht nur die Herzen der Herrscher haben sich zusammengefunden, sondern in gleichem Maße auch jene der Völker.

Heute spricht der Kaiser uns allen aus der Seele, wenn er den Gefühlen „herzlich treuer und unauflöslicher Freundschaft und Bundesgenossenschaft“ Ausdruck verleiht, wenn er den Allmächtigen bittet, den Freund zu geleiten auf der Bahn, „die er mit jugendlicher Kraft, mit männlicher Weisheit und Entschiedenheit betreten hat.“ Und wir lauschen mit ungeheuchelter Freude dem Echo solchen Grußes und Wunsches, wenn der edle Hohenzollernsprosse sich darauf beruft, er sei „nicht als Fremder“ in Wien erschienen, wenn er von „ bewährter und unverbrüchlicher Freundschaft“ redet und sich dabei in der Ausführung eines „heiligen Vermächtnisses“ begriffen sieht. Die vier Trinksprüche, welche im Redoutensaale gewechselt wurden − zwei auf die Monarchen und ihre Häuser, zwei auf die beiderseitige Heere, die wackeren Kameraden − waren Zeugnisse unverbrüchlicher Bundesfreundschaft, und in ihnen wurde durch die berufensten Herolde dargelegt, was den Kern der weihevollen Stunde ausmachte.

Niemand, dem es vergönnt gewesen, der grandiosen Kundgebung beizuwohnen, wird jemals den Eindruck vergessen, den sie hervorgebracht. Die Anwesenden hatten Freundschaftsbezeigungen in Form von Toasten erwartet, aber daß diese den Rahmen höfischer Etikette weitaus, wie mit elementarer Gewalt überschreiten würden, das ahnten die wenigsten.

Das Bild, aus welchem die ewig denkwürdige Scene erwuchs, war ein blendend schönes. Der taghell erleuchtete Saal, behängt mit den berühmten kaiserlichen Gobelins, faßte eine Fülle von Farbenreichthum in sich, die Pracht der Damentoiletten, die vielfältigen Nuancen der Uniformen, das Strahlen des Schmuckes, das Glitzern der Orden, der Zierat des mit Lichtschimmer und duftigem Blumenprangen übergossenen hufeisenförmigen Speisetisches, das alles vereinigte sich zu einer die Sinne wahrhaft bestechenden Wirkung, und unter den Schönen die Schönsten waren Kaiserin Elisabeth und ihre anmuthige Schwiegertochter Kronprinzessin Stephanie. Man konnte nicht müde werden, zu schauen, um das unbeschreibliche Bild in sich aufzunehmen.

Aber der Zauber dieses Bildes trat zurück, als Kaiser Franz Josef sich erhob, um seinen Gast zu ehren. Nun sah man niemand als die beiden Kaiser − alles andere verschwand; es war, als hätten sich die übrigen Gestalten verflüchtigt, um den zwei Trägern des historischen Augenblickes Platz zu machen. Rasch aufeinander folgten die Trinksprüche, und kaum hatte Kaiser Wilhelm den seinigen geendet, als Kaiser Franz Josef neuerdings das Wort ergriff und ein Hoch dem „leuchtendsten Muster aller militärischen Tugenden, den preußischen und deutschen Kameraden“ brachte − überraschend für jeden Zuhörer, überraschend für den deutschen Kaiser, der, offenbar unvorbereitet, doch ohne Zögern und mit nicht zu verkennender Freudigkeit sogleich antwortete und dankte. Ein dreimaliges Hoch auf die „Kameraden von der österreichisch-ungarischen Armee“ schloß seinen Toast.

Die hochbedeutsamen Aeußerungen beider Kaiser riefen in der ganzen auserlesenen Versammlung eine geradezu stürmische Bewegung und Begeisterung hervor, und in dieser mächtig ergreifenden, weltgeschichtlichen Scene hatte der Kaiserbesuch in Wien unzweifelhaft seinen Höhepunkt erreicht. Der fernere Aufenthalt des hohen Gastes in der österreichischen Hauptstadt konnte bestätigen, wie vollgewichtig ernst die an der historischen Tafelrunde gesprochenen Worte gemeint waren − Größeres, Bedeutsameres aber vermochte er kaum mehr zu zeitigen, und wir verstehen daher unseren Künstler und danken es ihm, daß er in seinem trefflichen Bilde gerade diese fesselnde Scene wiedergiebt, auf welche es bei dem ganzen Kaiserbesuch in erster Reihe ankommt.

Ueber die weiteren Festlichkeiten in Wien, über die Besuche, welche Kaiser Wilhelm an den folgenden Tagen Fürsten und bedeutenden Persönlichkeiten abstattete, über die Audienzen, welche er ertheilte, etc. sind unsere Leser aus den Tageszeitungen zur Genüge unterrichtet und auch der Jagdausflug mit dem kaiserlichen Gastgeber ist ausführlich beschrieben worden, so daß wir es uns versagen können, hierauf näher einzugehen. Aber wenn wir auch von einer Schilderung der ferneren mehr oder minder wichtigen Vorgänge absehen, eines können wir zum Schluß nicht unterlassen, einer Ueberzeugung aus vollem Herzen Ausdruck zu geben, welche in allen Schichten unserer Bevölkerung gleich lebendig ist: Wie viele Huldigungen Wilhelm II. bei seinen Besuchen in St. Petersburg, Stockholm und Kopenhagen, bei dem Großherzog von Baden, dem König von Württemberg und dem Prinz-Regenten von Bayern als Kaiser auch erlebt hat, er darf sicher sein, daß ihm nirgends wärmere Neigung gewinkt hat, daß nirgends Hof und Bevölkerung in der Freude über sein Erscheinen inniger vereint waren als eben in Wien, wo das deutsch-österreichische Bündniß im Palast wie in der Hütte als Schutz und Schirm des europäischen Friedens betrachtet und verehrt wird!

Ferdinand Groß.     




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Alle Rechte vorbehalten.
Die Alpenfee.
Roman von E. Werner.
(Fortsetzung.)

Der Arbeiterhaufen stob auseinander, als Erna in wildem Galopp herangesprengt kam; einige der Leute, die da glaubten, das Pferd sei scheu geworden und durchgegangen, fielen ihm in die Zügel und hielten es auf. Erna schien das kaum zu bemerken, ihr Blick suchte in Todesangst nur eins − Wolfgang! und jetzt sah sie ihn, aufrecht und unverletzt in der Mitte des Kreises.

Aber auch er hatte sie gesehen, als sie diesen Kreis durchbrach; er sah den Blick, der ihn suchte, das tiefe, tiefe Aufathmen, als sie ihn lebend gewahrte, und da brach es aus seinen Zügen hervor wie ein Strahl leidenschaftlichen Glückes. Seine Todesgefahr hatte ihr endlich das Geheimniß entrissen, er wurde doch geliebt!

„Die Angst war unnöthig, der Herr Chefingenieur ist ja unverletzt,“ sagte Ernst Waltenberg, der seiner Braut unmittelbar gefolgt war und jetzt, einige Schritte entfernt, außerhalb des Kreises hielt. Aber seine Stimme hatte einen seltsam fremden Klang; aus seinem Antlitz schien jeder Blutstropfen gewichen zu sein und in den dunklen Augen, die unverwandt auf den beiden hafteten, glühte ein unheimliches Feuer. Erna schrak zusammen und Wolfgang wendete sich rasch um; es bedurfte nur eines Blickes, um ihm zu zeigen, daß er von dieser Stunde an einen Todfeind hatte; gleichviel, es galt, sich zu fassen vor all den fremden Zeugen.

„Die Sache hätte sehr schlimm ablaufen können,“ sagte er mit erzwungener Ruhe. „Die Sprengung versagte anfangs ganz und ging dann zu früh los, ehe wir uns in Sicherheit bringen konnte. Wir sprangen glücklicherweise noch im letzten Moment seitwärts, aber zwei der Leute sind verletzt worden, anscheinend nur leicht. Wir andere sind wie durch ein Wunder der Gefahr entgangen.“

„Aber Sie bluten ja auch, Herr Elmhorst!“ rief einer der Ingenieure, indem er auf die Stirn seines Chefs deutete, von der einzelne Blutstropfen niederrannen. Wolfgang zog sein Taschentuch hervor und drückte es aus die Wunde, die er jetzt erst bemerkte.

„Das ist nicht der Rede werth; einer der auffliegenden Steine wird mich gestreift haben. Sehen Sie nach den Verwundeten, sie müssen sofort verbunden werden!“ − Gnädiges Fräulein, ich bedaure, daß der Vorfall Sie erschreckt hat −“

„Mein Pferd wenigstens hat er erschreckt,“ fiel Erna mit schneller Geistesgegenwart ein. „Es scheute und jagte davon, ich konnte es nicht halten.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 766. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_766.jpg&oldid=- (Version vom 6.6.2018)