Seite:Die Gartenlaube (1888) 782.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Nachdruck verboten.     
Alle Rechte vorbehalten.
Die Alpenfee.
Roman von E. Werner.
(Fortsetzung.)

Doktor Reinsfeld saß in seiner Wohnung und schrieb eifrig. Es mußte vor der Abreise doch noch so manches geordnet und aufgezeichnet werden für den Nachfolger, der im Lauf der nächsten Woche eintreffen sollte und mit der Wohnung auch deren Einrichtung übernahm. Groß war die Habe des jungen Arztes ja allerdings nicht, aber sein Blick streifte doch bisweilen mit einem wehmütigen Ausdruck die einfache, fast dürftige Umgebung. Er war hier so glücklich und − so unglücklich gewesen.

Draußen fuhr ein Wagen vor und hielt gerade vor dem Doktorhause. Benno hielt mit Schreiben inne, um hinauszublicken, und sprang dann überrascht auf, denn er gewahrte die zierliche Gestalt der Frau Doktor Gersdorf, die sich aus dem Schlage beugte. Die vornehme Verwandte, deren Bekanntschaft er einst so gefürchtet hatte, war ihm in der letzten Zeit eine so tapfere kleine Freundin geworden und hatte sich mit solchem Feuereifer seiner Liebe angenommen! Er hatte das freilich zurückgewiesen und zurückweisen müssen; aber er war ihr doch von ganzem Herzen dankbar dafür.

Mit einem frohen Willkommen auf den Lippen trat er an den Wagen, schrak aber plötzlich zusammen, denn neben der jungen Frau erblickte er noch eine andere Dame, die sich blaß und scheu in die Ecke drückte − Alice Nordheim!

„Ja, ich komme nicht allein,“ sagte Wally, die höchst zufrieden war mit dem Effekt ihrer Ueberraschung. „Wir sind auf einer Spazierfahrt begriffen und kamen durch Oberstein, da wollten wir doch nicht so ohne weiteres vorbeifahren. Nun, Benno, freuen Sie sich denn gar nicht über den Besuch?“

Reinsfeld stand noch immer ganz fassungslos da. Eine Spazierfahrt bei diesem kalten, regnerischen Wetter! Und weshalb kam Alice mit? Weshalb zitterte sie so, als er ihr aus dem Wagen half, und vermied es, ihn anzusehen? Er brachte kein Wort über die Lippen; aber das war auch nicht nöthig, denn Frau Doktor Gersdorf füllte die Pause hinreichend aus. Sie sprach unaufhörlich, bis man im Zimmer war, und da fing sie erst recht an.

„So, nun sind wir hier! Du hast es ja gewollt, Alice, und nun siehst Du aus, als ob Du am liebsten davonlaufen möchtest! Warum? Ich werde meinem Vetter doch einen Besuch machen können und Du bist ja in meiner Begleitung, unter dem Schutze einer verheiratheten Frau, dagegen darf selbst Deine gestrenge Frau Oberhofmeisterin nichts einwenden. − Uebrigens, braucht Ihr Euch gar nicht zu geniren Kinder! Ich weiß alles, ich bin vollkommen auf der Höhe der Situation und finde es ganz natürlich, daß Ihr Euch aussprechen müßt. Also fangt nur an!“

Sie setzte sich in den Armsessel, den der Doktor soeben verlassen hatte, und machte Miene, der Sache in aller Feierlichkeit beizuwohnen; aber vorläufig trat nur eine unendlich lange Pause ein. Alice stand auf der einen Seite des Zimmers und Benno auf der andern, keines von beiden sprach ein Wort, und als das einige Minuten gedauert hatte, fing die junge Frau an, sich zu langweilen.

„Ach so, Ihr wollt allein sein!“ sagte sie. „Nun meinetwegen, ich werde in das Nebenzimmer gehen, um dafür zu sorgen, daß Ihr ungestört bleibt − wenn ich vor der Thür stehe, kommt sicher kein Mensch hinein.“

Ohne eine Antwort abzuwarten, ließ sie dem Wort die That folgen und schloß geräuschlos die Thür hinter sich, hatte aber dann nichts Eiligeres zu thun, als sich am Schlüsselloch zu etabliren. Zu ihrem großen Mißvergnügen machte sie jedoch die Entdeckung, daß die alte, festgefügte Eichenthür keinen Laut hindurch ließ, und aus dem, was das Schlüsselloch ihr zeigte, wurde sie auch nicht klug. Die beiden da drinnen schienen noch immer nicht anzufangen. Trotzdem harrte Wally mit Selbstverleugnung aus auf ihrem Posten, sie hatte sich nun einmal in den Kopf gesetzt, ein Schutzgeist zu sein, und wenn sie in dieser Eigenschaft den ganzen Tag hier stehen sollte.

Leider ließ sie bei diesem lobenswerthen Vorsatze den Umstand außer Acht, daß das Zimmer noch eine zweite Thür hatte, die in einen kleinen Nebenraum und von dort in das Gärtchen führte, und überdies hatte sie keine Ahnung davon, daß gerade zu derselben Stunde sich Veit Gronau in Begleitung Saids und Djelmas dem Doktorhause näherte.

Ernst Waltenberg war gestern Abend nicht nach Heilborn zurückgekehrt, obgleich er seinem Sekretär eine Unterredung zugesagt hatte. Erst heute morgen war ein Bote von ihm gekommen mit der Nachricht, daß er sich für einige Tage in dem kleinen Wirthshause von Oberstein einquartiert habe und daß man ihm die beiden Diener mit den notwendigsten Sachen nachschicken solle. Das war denn auch unverzüglich geschehen und Veit hatte sich gleichfalls mit auf den Weg gemacht. Da das Fahren auf dem steilen und unbequemen Gebirgswege aber nicht gerade zu den Annehmlichkeiten gehörte, so hatten sie es vorgezogen, die letzte Strecke zu Fuß zu machen, während der Wagen mit dem Gepäck langsam nachfuhr.

Said und Djelma waren nicht sehr erbaut von dem Einfall ihres Gebieters, tage- und vielleicht wochenlang in dem kleinen Bergwirthshause zu bleiben, das nicht die mindeste Bequemlichkeit bot, während man in Heilborn eine schöne, behagliche Wohnung hatte. Sie zeigten sehr mißvergnügte Gesichter und der Neger erlaubte sich die wehmütige Bemerkung:

„Master Hronau, der Herr gar nicht mehr ist zu begreifen!“

„Ganz natürlich, und er wird noch viel unbegreiflicher werden, wenn er erst verheiratet ist!“ sagte Veit mit grimmiger Genugthuung. „Freut Euch nur auf die ‚serr schöne Geschichte‘, das habt Ihr davon! Nun, mich geht es nichts mehr an, ich werde wohl die längste Zeit bei Euch gewesen sei; jetzt seht zu, wie Ihr allein mit ihm fertig werdet.“

Der Afrikaner und der Malaye horchten entsetzt auf bei diesen Worten. So sehr Master Hronau sie auch hofmeisterte und gelegentlich ausschalt, sie hingen doch mit Leib und Seele an ihm, und der Gedanke, daß er sie verlassen könne, war ihnen unfaßbar. Sie begannen daher, mit Bitten und Klagen auf ihn einzustürmen, und trieben ihn mit ihren Fragen so in die Enge, daß Gronau heimlich seine Uebereilung verwünschte.

Er hatte sich längst selbst gesagt, was Benno ihm zu bedenken gab, daß es um seine Stellung bei Waltenberg geschehen war, wenn er wirklich mit einer Anklage gegen den Präsidenten auftrat. Trotzdem hielt er den Entschluß mit der ganzen Hartnäckigkeit seines Charakters fest. Gerade weil sich der Sohn seines alten Freundes so unverzeihlich lau und zaghaft zeigte, hielt er es für seine Pflicht, an dessen Stelle einzutreten. An sich selbst dachte er dabei nicht im mindesten; er war es gewohnt, sich von einer Lebensstellung in die andere zu werfen und nicht viel nach der Zukunft zu fragen, er kümmerte sich einzig und allein um die Gegenwart.

Das kannte er nun freilich den beiden Dienern nicht auseinandersetzen; aber er war nicht um einen Vorwand verlegen, und als sie ihm wieder mit der Frage nach dem Warum zu Leibe gingen, erklärte er:

„Weil die Unbegreiflichkeit des Herrn Waltenberg immer toller wird! Was ist das nun wieder für ein Einfall, sich bei solchem Wetter in dem elenden Bergneste hinzusetzen! Wahrscheinlich ist er seiner Braut noch nicht nahe genug, oder er hat Eifersuchtsmucken im Kopfe und will sie nicht aus den Augen lassen. Das wird wohl überhaupt chronisch bei ihm werden, wenn er erst Ehemann ist, und das kann ich nicht mit ansehen.“

„O, Master Hronau gar nicht mag die Damen,“ sagte Said betrübt, denn er teilte keineswegs diese Abneigung, sondern schwärmte für die künftige gnädige Frau.

„Nein, denn wo die Damen anfangen, da hört die Gemüthlichkeit auf, bei den Männern wenigstens!“ grollte Veit, der selten eine Gelegenheit vorbeigehen ließ, seiner Frauen- und Ehefeindschaft Luft zu machen. „Wenn sie verliebt sind, werden die klügsten Leute verrückt.“

„Verr − rückt!“ wiederholte Djelma, indem er sich Mühe gab, das R möglichst energisch zu schnarren, aber der arme Junge hatte kein Glück mit seinem Lerneifer; er erntete auch diesmal statt des gehofften Lobes nur Scheltworte.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 782. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_782.jpg&oldid=- (Version vom 6.6.2018)