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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Wie alt ist der Weihnachtsbaum und wo ist seine Heimath?
Von Alexander Tille.

Wie alt ist der Weihnachtsbaum und wo ist seine Heimath? Klingt diese Frage nicht wie eine Ketzerei angesichts der Tatsache, daß am Christfest, soweit die deutsche Zunge reicht, auf jedem Weihnachtstische der Lichterbaum flammt? Von Ostpreußen bis zum Elsaß, von Nord- und Ostsee bis über die Donau ist er fast durchgängig der Schmuck des Christfestes. Bisweilen wird er durch die sogenannte Pyramide ersetzt. Diese besteht aus einem reisigumwundenen senkrechten Stabe, an welchem in bestimmter Abständen wagerechte Stäbe angebracht sind, die denselben grünen Schmuck und dazu vergoldete Aepfel und Nüsse, Pfefferkuchen und Lichter tragen gleich den Zweigen des Tannenbaumes, oder sie ist ein pyramidenartiges festes Holzgestell, welches in ähnlicher Weise geschmückt ist. Selten tritt ein angeputzter Kronleuchter an ihre Stelle. Durch die Herzogin Helene von Orleans hat der Weihnachtsbaum um 1840 in Frankreich und durch den Prinzen Albert in England Eingang gefunden, wo man ihn heute auch aus Eisen herstellt. Nach den Niederlanden, nach Rußland, besonders nach St. Petersburg und Moskau, wo er jedoch nur in den höchsten Kreisen üblich ist, nach Schweden wie nach Italien ist er ebenfalls aus Deutschland gekommen, und in Amerika, wo er immer mehr heimisch wird, gilt er vielfach geradezu für ein Merkzeichen des Deutschthums. 1830 kam er nach Ungarn, wo er jedoch noch heute nur in deutschen Bürgerkreisen und in hohen magyarischen Geschlechtern üblich ist. Im Jahre 1807 fand er sich bereits auf dem Weihnachtsmarkte zu Dresden[1] Hier wurde er mit glänzendem Rauschgold, bunten Papierschnitzeln, goldenen Früchten und Kerzen verkauft. Um dieselbe Zeit war er in Norddeutschland ziemlich allgemein üblich. In Hamburg kommt er bereits im Jahre 1796[2] vor. Hier heißt es bei Gelegenheit einer Beschreibung des Weihnachtsfestes im Wandsbecker Schlosse: „Hoch oben am Weihnachtsbaum hing ein Apfel, so schön, so kunstreich vergoldet, wie kein anderer. Den holte er (Fr. Perthes) plötzlich mit halsbrecherischer Kunst herab und dunkel erröthend gab er ihn zur nicht geringen Berwunderung der Anwesenden dem ahnenden Mädchen (Caroline Claudius).“ Aber nicht einmal bis in dieses Jahr können wir den Christbaum allgemein zurück verfolgen. Schon unsere ältesten Leute können sich auf eine Zeit besinnen, wo er noch nicht auf dem Weihnachtstische stand. Aber auch die Zeit seines erstmaligen Auftretens und seine eigentliche Heimath sind uns unbekannt. An vielen Orten tritt er mit einem Male aus dem Dunkel hervor, mit einem Schlage ist er da, und niemand weiß, wo er hergekommen. Nachweisbar reicht er nur bis in das 17. Jahrhundert zurück, und wenn ihn Scheffel[3] ins 10. Jahrhundert setzt oder Schwerdtgeburth ihn auf seinem berühmten Lutherbilde[4] verwendet und sein Vorkommen somit bis ins 16. Jahrhundert ausdehnt, so entbehrt das jeder thatsächlichen Grundlage.

Im allgemeinen tritt der Weihnachtsbaum in Norddeutschland früher auf als im Süden. Während ihn nach München die Königin Karoline erst um 1830 brachte, führten ihn die preußischen Offiziere und Beamten in Danzig[5] und im Münsterland bereits 1815 ein. Im Jahre 1799 war der Weihnachtsbaum in Leipzig noch völlig unbekannt; denn Magister G. A. Eberhard erwähnt in seinem Buche über die Feste des Jahres[6] kein Wort davon, während er doch der Christbescherung, des gegenseitigen Beschenkens mit Wachsstöcken, der Umzüge des Knechtes Ruprecht und einer Menge Weihnachtsaberglaubens von Holstein bis Nürnberg ziemlich ausführlich gedenkt. Vierzehn Jahre früher, 1785, aus welcher Zeit wir eine ziemlich ausführliche Schilderung des Leipziger Weihnachtsmarktes haben, findet sich der Tannenbaum auf dem Christmarkte in dieser Stadt noch nicht. Dagegen soll er bereits 1765 in Leipzig vorgekommen sein. Als nämlich der junge Goethe in diesem Jahre im Hause der Großmutter des Dichters Theodor Körner, der Gattin des Kupferstechers Stock zu Leipzig, Weihnachten feierte, soll er hier einen Christbaum aufgestellt gefunden haben[7], mit allerlei Süßigkeiten behängt, darunter Lamm und Krippe mit zuckernem Christuskinde, Mutter Maria und Josef nebst Ochs und Eselein, davor aber ein Tischchen mit braunem Pfefferkuchen für die Kinder. Diese Nachricht ist aber keineswegs sicher verbürgt. In den Briefen Goethes an seine Schwester aus jener Zeit, welche erst neuerdings herausgegeben worden sind und in denen der Dichter sonst so gern Neuigkeiten mittheilt, ist von dieser Feier nichts erwähnt. Gleichwohl ist sie nicht ohne weiteres bei Seite zu schieben; fest steht, daß Goethe 1774 den Christbaum kannte. In den „Leiden des jungen Werther“ heißt es[8] von Lotte. „Sie beschäftigte sich, einige Spielwerke in Ordnung zu bringet, die sie ihren kleinen Geschwistern zum Christgeschenke gemacht hatte. Er (Werther) redete von dem Vergnügen, das die Kleinen haben würden, und von den Zeiten, da eine unerwartete Oeffnung der Thür und die Erscheinung eines aufgeputzten Baumes mit Wachslichtern, Zuckerwerk und Aepfeln in paradiesische Entzückung setzt.“

In einem zwei Jahre früher geschriebenen Briefe[9] Goethes wird bei einer kurzen Beschreibung des Frankfurter Christmarktes der Weihnachtsbaum noch nicht erwähnt. Schon einige Tage vorher hatte Goethe ein Packet an Kestner gesandt mit Geschenken für seine „zween kleine Buben“. Dazu schreibt er[10] „Lassts ihnen den Abend vor Christtag bescheeren, wie sichs gehört. Stellt ihnen ein Wachsstöckgen dazu und küsst sie von mir.“ Kannte damals Goethe den Brauch des Weihnachtsbaumes noch nicht? Oder war derselbe nur in Kestners Hause nicht üblich? Noch in einem Briefe vom Christtage 1773[11], welcher ebenfalls an Kestner gerichtet ist, erwähnt Goethe nichts davon. Hier gedenkt er überhaupt keinerlei Weihnachtsfestlichkeit.

Auch Schiller kannte den Weihnachtsbaum. Er schreibt von ihm als einer allbekannten Sache.[12] „… Donnerstag komme ich nach Weimar. – Daß Ihr Euch ja nicht von irgend einem heiligen Christ engagiren laßt! Ihr werdet mir hoffentlich einen grünen Baum im Zimmer aufrichten, weil ich Euretwegen um den Griesbachschen komme.“ 1790 kommt dann der Christbaum in Schillers Hause vor[13] und 1796 bei Frau von Stein mit Lichtern und Bescherung.

Eine Nachricht von Jung Stilling über den Christbaum aus dem Jahre 1793 scheint den Christbaum in Jung Stillings Jugend – er war 1740 zu Grund im Nassauischen geboren – zurück versetzen zu wollen. Er sagt einmal[14] : „Mir wars bei diesen Worten zu Muth als wie einem Kiude bei den apokryphischen Sprüchen seiner Mutter am Tage vor dem Christfeste: es ahnet etwas Herrliches, versteht aber nichts, bis es früh aufwacht und nun zum hell erleuchteten Lebensbaum mit vergoldeten Nüssen und zu den Schäfchen, Christkindchen, Puppen, Schüsseln mit Obst und Konfekt geführt wird.“

Aber noch weiter geht der Weihnachtsbaum zurück. Eine Salzburger Waldordnung vom Jahre 1755 verbietet die Bechl- oder Weihnachtsboschen. In dem Namen „Bechlboschen“ ist jedenfalls eine Erinnerung an Berchta zu suchen, der der 6. Januar, der Berchtentag, geweiht ist. Dies deutet auf einen heidnischen Ursprung des Brauches. Als heidnische Sitte wird der Christbaum geradezu bezeichnet von dem kursächsischen Rath Tentzel[15] : „Die alten Heiden satzten vor ihre Häuser zweene Dannen-Bäume creutzweise über einander und fraßen und soffen 19 Tage lang.“

Nach Schweden weist uns auch eine Volkssage in Lindenau bei Leipzig, welche bis in das erste Drittel unseres Jahrhunderts zurück zu verfolgen ist[16]. Sie erzählt: im Herbst 1632 nach der Schlacht bei Lützen wurde nach Lindenau ein durch die Hand geschossener schwedischer Offizier gebracht, der in der dortiger protestantischen Gemeinde freundliche Aufnahme und gute Pflege fand. Zu Weihnachten war er wieder so weit hergestellt, daß er die Reise in seine Heimath antreten konnte. Vorher wollte er jedoch

  1. Kügelgen, Jugenderinnerungen 1870, S. 79.
  2. Clemens Theodor Perthes: Friedrich Perthes Leben 1853; I, 84.
  3. Ekkehart. Kap. 10.
  4. Luthers Abschied von seiner Familie, 1845 entstanden.
  5. Mannhardt, Baumkultus der Germanen, 1875, S. 240.
  6. Mag. Gotthilf Anton Eberhard, Privatlehrer zu Leipzig, Geschichte der Sonn- und Festtage, Erfurt, 1799, S. 25 ff.
  7. Vergl. „Kunst und Leben aus Friedrich Försters Nachlaß“, 1873.
  8. Nach dem 20. Dez. des zweiten Jahres.
  9. Vom 26. Dez. 1772; derselbe ist an Kestner gerichtet und findet sich bei A. Kestner, „Goethe und Werther,“ Stuttgart und Tübingen, 1854, S. 114.
  10. Ebenda S 111.
  11. Ebenda S 192.
  12. Emilie von Gleichen-Rußwurm, „Schiller und Lotte,“ Stuttgart und Augsburg, 1856. S. 574 am 21. Dez. 1789.
  13. Charlotte von Schiller, 2, 276.
  14. Jung Stillings sämmtliche Werke, Stuttgart, 1841. 4. Bd., S. 8 im „Heimweh“.
  15. Monatliche Unterredungen einiger guter Freunde von allerhand Büchern und anderen annemlichen Geschichten, Leipzig, 1690, S. 456.
  16. Bisher ungedruckt, dem Verf. mitgetheilt von Herrn Prof. Dr. Rudolf Hildebrand zu Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 831. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_831.jpg&oldid=- (Version vom 6.5.2019)