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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

bei?“ fragte Erna vorwurfsvoll. „Seit wann sind Sie dem Aberglauben zugänglich?“

„Seit der Glaube an meine eigene Kraft darunter begraben liegt! Lassen Sie mich allein, Erna! Was soll mir das Almosen einer Theilnahme, zu dem Sie sich heimlich hinweggestohlen haben, das Sie vielleicht büßen müssen bei Ihrem Verlobten. Ich brauche kein Mitleid, auch von Ihnen nicht!“

Mit der ganzen wilden Gereiztheit des Unglücks wandte er sich ab und blickte zu dem Wolkenstein empor, dessen Gipfel weiß und gespenstig durch die Wolken dämmerte. Er allein schien sich heute entschleiern zu wollen, wo all die anderen Berge sich in Nebel verhüllten.

„Ich komme nicht heimlich und nicht mit einem Almosen“ sagte Erna, mit einer Stimme, deren Beben sie vergebens zu beherrschen versuchte. „Ernst weiß es, daß ich Sie aufsuche, und er hat mir eine Botschaft mitgegeben.“

„Ernst Waltenberg – an mich?“

„An Sie, Wolfgang! Er läßt Ihnen sagen, daß er Sie Ihres Wortes entbindet und seine Forderung zurückzieht.“

Elmhorsts Brauen zogen sich finster zusammen und ein beinahe verächtlicher Ausdruck spielte um seine Lippen, als er entgegnete:

„Und das hat er Ihnen mitgetheilt? Sehr rücksichtsvoll in der That! Sonst pflegen dergleichen Dinge unter Männern als Geheimniß betrachtet zu werden. Jedenfalls habe ich seine Bedingungen angenommen, diesen Akt der Großmuth aber nehme ich nicht an – jetzt am wenigsten.“

„Und Sie gaben ihm doch zuerst das Beispiel der Großmuth. Leugnen Sie es nicht! Er kennt die Hand, welche ihn hier an dieser Stelle dem Verderben entriß, wie ich sie kenne.“

„Ich lasse niemand verderben, wenn es in meiner Macht steht, ihn zu retten, auch meinen Feind nicht,“ sagte Wolfgang kalt. „In solchen Momenten wirkt nur der Instinkt der Menschlichkeit, nicht die Ueberlegung, und einen Dank weise ich entschieden zurück. Sagen Sie das Herrn Waltenberg, mein Fräulein, da er Sie doch nun einmal zum Boten auserwählt hat.“

„Weisen Sie diesen Boten wirklich so hart zurück?“ Die Stimme des Mädchens klang in weichem, verschleierten Tone und die großen tiefblauen Augen wandten sich mit einem seltsamen Aufleuchten dem Manne zu, der jetzt die mühsam verhaltene Qual nicht länger bändigte.

„Wozu foltern Sie mich mit diesem Blick und Ton?“ rief er in ausbrechender Leidenschaft. „Sie gehören einem anderen –“

„Den Sie verkennen, wie ich es that! Jetzt freilich kann ich die ganze Größe des Opfers ermessen, das er mir bringt, denn ich weiß, wie grenzenlos er mich geliebt hat, und mit dieser Liebe im Herzen gab er mir meine Freiheit zurück und sagte mir ein Lebewohl für immer.“

Wolfgang war aufgefahren bei der unerwarteten Nachricht, mitten durch die Nacht der Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit zuckte ein blendender Strahl, der neues Licht und Leben verhieß.

„Du bist frei, Erna?“ brach er aus. „Und nun – nun kommst Du –“

„Zu Dir!“ ergänzte sie. „Du trägst allein so schwer an Deinem Unglück, ich fordere meinen Antheil daran!“

Die Worte klangen in einfacher Innigkeit, als sei das selbstverständlich, aber Elmhorsts Stirn färbte eine dunkle Röthe und sein Auge sank zu Boden. Er rang schwer mit seinem Stolze, der diese Hingebung in diesem Augenblick als eine herbe Demüthigung empfand.

„Nein, nein, jetzt nicht!“ murmelte er, mit einem Versuch der Abwehr. „Laß mich nur erst wieder Muth gewinnen, mich emporraffen, jetzt kann ich Dein Opfer nicht annehmen – es drückt mich zu Boden.“

„Wolf!“ Der alte Schmeichelname aus seiner Knabenzeit, den er seitdem nur noch von Benno gehört hatte, kam so weich und süß von den Lippen des Mädchens. „Wolf, jetzt gerade brauchst Du mich! Du brauchst eine Liebe, die Dich ermuthigt und aufrecht erhält; gieb keinem falschen Stolze Gehör. Einst fragtest Du mich, ob ich Dir zur Seite geblieben wäre auf dem einsamen, rauhen Wege, der zur Höhe führt, jetzt komme ich und bringe Dir die Antwort. Du sollst ihn nicht allein gehen, ich will bei Dir bleiben, in Arbeit und Ringen, in Noth und Gefahr. Wenn Du Deiner Kraft und Deiner Zukunft nicht mehr vertraust, ich glaube unerschütterlich daran – an meinen Wolfgang!“

Sie blickte mit einem strahlenden, siegesgewissen Lächeln zu ihm empor; da brach sein Widerstand, mit einer stürmischen Bewegung breitete er die Arme aus und zog die Geliebte an seine Brust.

Greif hatte inzwischen mit höchster Verwunderung und deutlichem Mißvergnügen dieser Entwickelung der Sache zugesehen. Sie war ihm zwar noch nicht ganz klar, aber soviel begriff er doch, daß er den Chefingenieur, der seine junge Herrin in den Armen hielt und sie küßte, in Zukunft nicht mehr anknurren und ihm die Zähne weisen dürfe, und das bekümmerte ihn aufrichtig. Er zog es vor, einstweilen eine abwartende Haltung anzunehmen, indem er sich niederlegte und die beiden unverwandt mit seinen klugen Augen anschaute.

Droben am Wolkenstein wallten noch immer die Nebelgewänder, aber immer klarer und deutlicher tauchte der Gipfel daraus empor. Heut entschleierte er sich nicht im träumerischen Mondesglanze, in der duftigen, geheimnisvollen Schönheit der Mittsommernacht. Eisig, weiß und geisterhaft stand er da, über ihm der düstere regenschwere Himmel, ringsum Sturm und Nebelwogen und zu seinen Füßen die Vernichtung, die er selbst herabgesandt hatte. Und doch keimte aus dieser Zerstörung ein hohes, reines Glück empor, das sich schwer genug durchgerungen hatte durch all die Stürme.

Wolfgang ließ die Geliebte aus seinen Armen und richtete sich empor, verschwunden war Bitterkeit und Verzweiflung. Es war ihm ja nun zurückgekommen, das sonnige leuchtende Glück, das er für immer entschwunden wähnte, und mit ihm kam auch der alte Muth wieder, die alte unbezwingliche Energie.

„Du hast recht, meine Erna!“ rief er aufflammend. „Ich will nicht kleinmüthig verzagen. Ich zwinge sie doch noch, die Unheilsmacht da oben, und hat sie mir mein Werk vernichtet – nun denn, ich baue es von neuem!“

(Schluß folgt.)




Blätter und Blüthen.

Christabend in einer Wiener Wärmstube. (Mit Illustration S. 828 und 829.) Ein Schimmer des strahlenden Kerzenglanzes der Christbäume dringt am Feste der Liebe auch in die dunkelsten und verlorensten Winkel der Armuth und des Elends, und auch in den Wärmstuben der Weltstadt, den Sammelplätzen jener Aermsten der Armen, denen es an einem Obdach fehlt, oder die nicht die Mittel haben, ihre eigene elende Wohnung zu heizen, bereiten am heiligen Abend Edelmuth und Theilnahme einen Augenblick der Freude. Vom Glück Begünstigte begeben sich unter die Männer und Frauen, die Greise und Kinder, welche verschuldetes oder unverschuldetes Unglück in Noth und Elend geführt hat, und mehr als die mitgebrachten Gaben erfreuen oft die freundlichen überzeugenden Worte der Theilnahme. Die Mehrzahl der Unglücklichen bilden brotlose Arbeiter, stellenlose Dienstboten, beklagenswerthe Witwen und Waisen, seltener sucht der Strolch oder der Verbrecher die Wärmstube auf, in der er sich unter den scharfen Augen des Wachmannes nicht behaglich fühlt. Vom frühen Morgen bis zum späten Abend sind die Wärmstuben geöffnet, Brot und Speisemarken für die Volksküche werden vertheilt, Karten für die Asylhäuser verabreicht. So geht es den ganzen langen Winter – immer ist das Bild des Jammers das gleiche, gemildert nur am Weihnachtsabend!

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Wildermuths Jugendgarten. Ein alter Freund der deutschen Jugend bittet auch in diesem Jahre um ein freundliches Willkommen: der „Jugendgarten“, den vor nunmehr dreizehn Jahren Ottilie Wildermuth gründete und der seit ihrem Tode von ihren Töchtern Agnes und Adelheid Wildermuth fortgeführt wird. Wer je einen Band des „Jugendgartens“ durchgeblättert hat, wird überrascht worden sein von der Fülle des mannigfachen und gediegenen Inhalts, und der jetzt vo[r]liegende neue Band giebt den früheren in keiner Beziehung etwas nach. Er sorgt sowohl für Unterhaltung als für Belehrung und die Illustrationen erheben sich in ihrer künstlerischen Ausführung weit über das Gewohnte. Mit fesselnden Erzählungen erfreuen Agnes Willms („Die Schulfreundin“), Elise Bake („Vergnügte Ferien“), Martin Claudius („Aus stürmischer Zeit“), W. Bartels („Nicolo und Nicoletta“), Adelheid Wildermuth („Des Herzogs Fluch“), V. Loesche („Das Märchen vom Mann ohne Schlaf“) u. a. Anziehende belehrende Beiträge bieten Hermann Hirschfeld, K. G. Lutz, Richard Roth, C. Michael etc. „Die drei Schwestern im Walde“ ist ein nach Ottilie Wildermuths trefflicher gleichnamiger Erzählung bearbeitetes Schauspiel. An Illustrationen enthält der Band nicht weniger als 8 farbige und 12 Tondruckbilder, ein gewiß ungewöhnlich reicher Schmuck, der auch an seinem Theile dazu beiträgt, den stattlichen Band zu einer wirklich werthvollen Festgabe für unsere reifere Jugend – Knaben sowohl als Mädchen – zu machen. Wir hoffen, der alte Freund ist auch in diesem Jahre willkommen!

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Familienchronik. Ein erst kürzlich in der „Gartenlaube“ (Nr. 43) ausgesprochener Wunsch hat unerwartet rasch seine Erfüllung gefunden.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 839. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_839.jpg&oldid=- (Version vom 6.5.2019)