Seite:Die Gartenlaube (1888) 866.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Bis jetzt hatte Helene nur zu Doktor Belden aufgesehen, der sich zu ihr niedergebeugt.

„Mein Mann – o Gott“ – flüsterte sie zitternd, der Doktor mit der Hand einladend zurückwinkte, wo des Majors behäbiges Gesicht unter der Thür erschien. In demselben Augenblick stieß Helene einen furchtbarer Schrei aus, sie streckte, wie sinnlos vor Angst, abwehrend die Hände aus und stöhnte in fast unartikulirten Lauten: „Fort, fort, um Gotteswillen, nur fort!“

Bestürzt wich der Major zurück, nicht ohne einen Blick wärmster Theilnahme auf das blasse, interessante jugendliche Gesicht geworfen zu haben, seltsam, es zog wie ein warmer Hauch durch sein Herz – ein solches Weibchen hätte er sich schon gefallen lassen können!

Zu einer weiteren Ueberlegung gelangte er nicht, denn schon fühlte er sich rauh am Arme zurückgerissen in das kleine Kabinett, und während blitzenden Auges stand ihm Professor Roditz gegenüber, während der Doktor bei Helene zurückblieb und alles aufbot, um sie zu beruhigen.

„Gnädige Frau, Sie dürfen sich nicht so aufregen, denken Sie wenigstens an Ihre Kinder; der Herr Major kann sofort wieder abreisen, wenn seine Anwesenheit Sie ängstigt; außerdem wache ich über Sie und lasse Ihnen nichts geschehen.“

Seine tröstlichen Worte machten indessen keinen beruhigenden Eindruck – Helenens Aufregung steigerte sich dadurch nur noch mehr, sie schluchzte, als wolle ihr das Herz brechen, so daß Doktor Belden endlich rathlos schwieg.

(Schluß folgt.)




Der Lehrer als Wächter der Gesundheit.
Von Dr. med. Taube.


IV.



Der Lehrer soll nicht kuriren, aber er muß einen Einblick in das Wesen gewisser Krankheitsgruppe besitzen, um die bestehenden Schulgesetze richtig zur Ausführung zu bringen. Es betrifft dieses besonders die ansteckenden Kinderkrankheiten, deren Hauptverbreitung durch die Schule geschieht. Die Mehrzahl dieser Krankheiten überträgt sich schon in ihrem Vorstadium, zu einer Zeit, in welcher die Haupterscheinungen derselben noch nicht zu Tage getreten sind, auf andere Kinder; nur geringe Beschwerden sind vorhanden, welche die Eltern jedoch nicht veranlassen, das Kind im Hause zurückzubehalten. Zeigte sich auch am Abende etwas Fieber, so erniedrigt sich dasselbe am Morgen, das Kind fühlt sich kräftiger und begiebt sich zur Schule. Während des Vormittags steigert sich aber das Fieber wieder, das Kind klagt über Kopfschmerzen und Frost, der Lehrer erkennt die erhöhte Eigenwärme an dem gerötheten Gesicht und kann sie auch leicht durch den eingeschobenen Finger am unteren Halstheil fühlen. Der Puls, welcher am unteren Ende der Daumenseite des Unterarmes innen neben dem Knochen leicht zu finden ist, schlägt schneller als im gesunden Zustande. Wenn auch die Ursache nur in einem einfachen Schnupfen beruhen kann so ist doch Vorsicht schon wegen der Nachbarn geboten. Ein fieberndes Kind hat die Schule zu verlassen; vorher werfe aber der Lehrer einen Blick in dessen Hals. Er umwickele mit dem Zipfel des dem Kinde gehörigen Taschentuches seinen Zeigefinger und drücke die Zunge im weitgeöffneten Munde nach unten. Bei vielen Kindern, besonders wenn sie zu Hause gut angelernt sind, läßt sich ohne jedes Niederdrücken der Zunge der Hals leicht übersehen.

Im Hintergrunde des Mundes hängt der weiche Gaumen als ein rother Vorhang herab, in seiner Mitte befindet sich ein kleiner Ansatz, das Zäpfchen. Rechts und links theilt er sich in zwei Falten, welche zwei rundliche, mit Gruben versehene Gebilde enthalten. die Mandeln; hinter ihnen liegt der harte Gaumen. Zeigen diese Gebilde an gleichmäßiges, schwach geröthetes Ansehen so ist hier nicht der Grund der Erkrankung zu suchen. Die Mandeln sind der gewöhnliche Anfangssitz von croupöser Mandelentzündung und Diphtherie; in der größten Anzahl der Fälle ist das Kind mit dem Beginne dieser Krankheiten in der Schule gewesen. Die Röthung und Schwellung braucht keinen großen Umfang dabei zu erreichen; bei genauerer Betrachtung sieht man aber eine Anzahl der Mandelgruben weißlich gefärbt, gelb-weiße Striche und Flecke heben sich von der rothen Unterfläche deutlich ab. Das Kind klagt über Halsschmerzen, das Sprechen hat einen Nasenton. Findet der Lehrer einen solchen Zustand, dann sind nicht nur die Eltern des kranken Kindes, sondern auch die der nächstsitzenden Kinder zu benachrichtigen, um die Weiterverbreitung möglichst zu verhindern. Es sind nur Anfangserscheinungen, welche möglicherweise nicht weiter führen, doch ist bei der jetzigen Verbreitung der Halskrankheiten Vorsicht nothwendig.

Als Nachkrankheit von Diphtherie erscheint nicht selten nach Wochen eine Lähmung der Augenmuskulatur, welche sich in Doppelsehen und schlechtem Erkennen der Buchstaben äußert.

Eine starke Entzündung des Halses mit hochgradiger Röthung zeigen auch die Kinder in der Entwickelung des Scharlachs, wann gleichfalls die Schule oft noch besucht wird. Auch hier ist Fieber und manchmal schon der Beginn des Ausschlages, bestehend in kleinen gerötheten Stippchen, zuerst an der Brust und den Gelenken zu bemerken.

Eine andere Erscheinung bei einigen ansteckenden Krankheiten ist der Husten. Demselben ist Bedeutung beizulegen, falls Masern- und Keuchhustenepidemien im Orte aufgetreten sind. Während der ersten 8 bis 14 Tage ist der Husten des Keuchhustens rein katarrhalischer Art, erst dann beginnen sich die bekannten Anfälle mit langgezogenem pfeifenden Einathmen, nachfolgendem ruckweisen Ausathmen und schließlichem Herauswürgen eines zähen Schleimes anzufügen. Bei jedem Husten welcher eine längere Zeitdauer in Anspruch nimmt und wo die Kinder beim Husten selbst ein geröthetes Gesicht zeigen, ist ein Ausschluß vom Schulbesuche berechtigt. Der Husten vor dem Ausbruche der Masern ist ein kurzer Reizhusten mit rauhem Beiklangs starker Schnupfen und Augenentzündung sind neben ihm vorhanden. An dem Tage, nach welchem sich die linsengroßen rothen Stellen auf dem Körper entwickeln, zeigt der weiche Gaumen schon umschriebene rothe Flecke, durch welche der Verdacht der kommenden Masern verstärkt werden kann. Unschädliche, aber gleichfalls ansteckende Erkrankungen sind die Spitzpocken und Rötheln. Bei den Spitzpocken bedecket den Körper mehr oder weniger zahlreiche wasserhelle Bläschen bei den Rötheln ein den Masern, selten dem Scharlach ähnlicher Ausschlag mit sehr geringem Fieber im Beginne. Von den Spitzpocken vollständig verschieden sind die wahren Pocken, deren Anfangserscheinungen Kopf- und Kreuzschmerz, hohes Fieber, Brechen, meistens so heftig auftreten, daß der Schulbesuch schon im Vorstadium unterbleibt; das Gleiche ist mit dem in einigen Gegenden nicht selten vorkommenden äußerst ansteckenden Fleckthyphus der Fall.

Sehr gefahrlos und verbreitet ist der ansteckende Ziegenpeter oder Mumps, die Entzündung der Ohrspeicheldrüse. Hinter und vor dem Ohre bildet sich eine schmerzhafte gleichmäßige Anschwellung, welche dem Gesicht das bekannte lächerliche Aussehen verleiht.

Die Zeit, welche diese Krankheiten von dem Momente der Ansteckung an bis zu ihrem vollständigen Ausbruche gebrauchen, ist verschieden. Bei Diphtherie und Scharlach genügen zwei Tage, die Masern zeigen den feststehendsten Termin: bei einem Schulkinde, welches von seinen Nachbarn angesteckt wurde, erscheint 14 bis 16 Tage später der Ausschlag, nachdem mehrere Tage vorher die oben geschilderten Katarrhe sich bemerkbar machten. Scharlach und Diphtherie übertragen sich nicht nur vor dem Ausbruch, sondern bis sicher sechs Wochen nachher, während die Masern besonders vor und während des Ausschlages die Hauptansteckung darbieten. Kinder, deren Haut, besonders an den Händen sich nach Scharlach noch abschuppt, sind nicht in die Schule zu lassen. Die Empfänglichkeit ist verschieden. Die Neigung zu Masern ist eine fast allgemeine, etwas weniger zu den Pocken; von Scharlach und Diphtherie wird schon eine größere Anzahl Kinder nicht ergriffen. Die Masern übertragen sich fast nur von dem kranken Kinde unmittelbar auf das gesunde, während bei Pocken, Scharlach und Diphtherie Kleider und Gegenstände, mit denen der Erkrankte in Berührung gekommen ist, die Weiterverbreitung vermitteln können.

Auf diese Verhältnisse gründen sich die Schulgesetze der Neuzeit zur Beschränkung der ansteckenden Kinderkrankheiten. Dieselben lauten im Auszug. „Der Schulbesuch ist an Masern

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 866. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_866.jpg&oldid=- (Version vom 7.5.2019)