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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Seitenblick auf Elsbeth, die an ihrem goldenen Armband nestelte. „Welch dickes, häßliches, unkünstlerisches Armband!“ dachte er.

„Mit dem Rahmen?“

„Mit dem Rahmen.“

„Hm – und wie viel verkauft man jährlich solcher Bilder?“

Waldemar blieb ernst, so seltsam es auch um seine Augen und unter seinem dicken Barte zwinkerte und zuckte. „In einem Jahre mehr, im andern weniger, manchmal – gar keins,“ antwortete er leichthin, wobei er schalkhaft Elsbeths Augen suchte.

Aber sieh’! was war das? Statt des gehofften lächelnden Entgegenkommens dieser schönen Augen sah er sie einen Blick mit ihrer Mutter tauschen, der ihn stutzen machte, als ob er einen innerlichen Schlag bekommen hätte. So rasch sich auch die zarten Lider wieder senkten, er hatte genug gesehen, um mehr noch zu errathen. O Eva! Evastochter! quoll es in ihm auf. Zum erstenmale kam ihm der Gedanke, wie ähnlich sich die beiden Frauen sahen. Auch die Bürgermeisterin war in ihrer Jugend, wie man ihm oft erzählt, eine Schönheit ersten Ranges gewesen und – war eben die Frau Bürgermeisterin geworden. Ihr halbes Achselzucken schien zu sagen: Armer Schlucker! wird sich doch nicht etwa gar einbilden, daß – und das halbe Kopfschütteln der Tochter schien zu antworten – Was? blieb vor der Hand noch unentschieden, denn wie sein Blick im Fluge vergleichend zwischen den beiden Frauenköpfen hin und her ging, traf er unvermuthet auf den dritten und gerade in ein sammtbraunes Augenpaar hinein, das mit dem Ausdruck eines tiefgefühlten Mitleids auf ihm ruhte. Natürlich war es schon im nächsten Augenblick verschwunden. Fräulein Hilde hatte mehr zu thun, als hier zu stehen und einem zuzuhören, der seine Sache so verkehrt anfing; ihm aber blieb ein Nachglanz, wie von etwas Himmlischem, was er gesehen, eine Nachempfindung, wie von etwas Niegekanntem, Weichem, Warmem, das über ihn dahinstrich wie mit Mutterhänden – ja, so mußten Mutter- oder die Hände einer liebevollen Gattin wohlthun mitten in dem falschen Gaukelspiel des Lebens.

Fast schmerzhaft weckte ihn die Stimme des Bürgermeisters. „Hm“ – meinte er mit dem vergeblichen Versuch zu scherzen, „scheint mir denn doch eine etwas allzu ideale Existenz zu sein, die man sich statt des ehrenwerthen Handelsstandes da erwählt hat. Hängt in der Luft, hat keinen festen Boden. Wie anders, komm’ ich zu dem jungen Dittmann drüben, der schlägt die Bücher auf: hier Soll, hier Haben, hier die jährliche Bilanz! Alles klipp und klar! Beiläufig: ist der reichste Mann jetzt in der Gegend.“

„Und ein ganz hübscher, stattlicher dazu, wie ich gesehen,“ wandte sich Waldemar an seine schöne Nachbarin, die vor dem eigentümlich festen Blick erröthete.

„Bah, Karlchen!“ lachte sie und schwieg erschrocken, da es in demselben Augenblicke klopfte.

„Herein!“

„Ei, der Herr Nachbar!“ rief der Bürgermeister, und es war hübsch zu sehen, wie elastisch der kleine runde Herr aus dem massiven Sorgenstuhl aufsprang, mit welchem er bis jetzt verwachsen schien. Auch die Hausfrau ging dem neuen Ankömmling entgegen. Nur Elsbeth blieb in sichtlicher Unschlüssigkeit noch sitzen. Karl Dittmanns Augen überflogen unruhig die Scene. „Wenn ich störe,“ sagte er wie zögernd.

„Das wäre!“ polterte der Bürgermeister – „ein geladener Gast!“

Waldemar trat vor. „Wenn einer gehen müßte, wär’s der ungeladene; doch hoffe ich, daß wir uns vertragen werden,“ scherzte er, indem er sich dem Sohne seines ehemaligen Prinzipals in aller Form vorstellte und ihm aufs herzlichste die Hände schüttelte. Es lag etwas in seiner ganzen Art und Weise, was den jungen Kaufherrn ungemein beruhigte, während Elsbeth mit seltsamen Empfindungen auf den Mann sah, der sich so leicht – zu leicht, sagte sie sich zornig – in die veränderte Situation hinein fand. Oder deckte dieser Schein von Gleichmuth nur die innere Qual der Eifersucht?

(Schluß folgt.)


Aus dem alten Burgtheater.
Erinnerungen von Rudolf v. Gottschall.

Das Theater am Michaelerplatze in Wien hat seine Pforten für immer geschlossen; gewiß werden eingehende Memoiren dieses ehrwürdigen Theaters geschrieben werden, für eine längere Spanne seiner Geschichte hat ja schon Heinrich Laube vorgearbeitet. Wiener Berichterstatter, welche die Chronik desselben von Tag zu Tag miterlebten, werden genauere Aufzeichnungen daraus veröffentlichen können als der Fremde, der nur hin und wieder und zwar nach längeren Zwischenräumen die Burg besuchte; aber ganz werthlos werden auch die flüchtigen Blätter der Erinnerung nicht sein, die er ihr widmet, denn der Fremde ist eindrucksfähiger für alles, was sich gewandelt hat im Laufe der Zeit.

Als ich das erste Mal im Fahre 1863 nach Wien kam, hatte Laube bereits lange sein vielfach gefeiertes und vielfach angegriffenes Regiment geführt; ich kam zunächst in einige Kreise, in denen man gerade nicht für ihn schwärmte. Da war die geistvolle Frau Rettich, die noch der älteren Wiener Schule angehörte. Ihr Hausfreund war Friedrich Halm, der Dichter der „Griseldis“, der ja nach Laubes Abgang Intendant des Hoftheaters wurde. Halm gehörte zu den Mißvergnügten; der hochgewachsene Herr war weder mit Laube noch mit dem Publikum besonders zufrieden. Der Thespiskarren schien ihm aus dem Reiche der Dichtung allzusehr hinausgeschoben in das Geleis des alltäglichen Lebens. Halm, den ich auch öfters auf der Universitätsbibliothek sprach, deren Vorstand er war, sah übrigens durchaus nicht wie ein idealistischer Dichter aus; er hatte etwas Verdrossenes in seinem faltenreichen Gesicht und seine Augen verschwanden fast unter den in die Höhe gezogenen Falten. Bei den Abendthees der Frau Rettich thaute er etwas auf; doch seine Urtheile über den Machthaber des Burgtheaters hatten immer einen diplomatischen Rückhalt.

Ebenso versteckten Widerspruch gegen Laubes Bühnenleitung fand ich bei Friedrich Hebbel, zu dem ich mich durch die Wolke der Vergötterung, die ihn umschwebte, hindurchzukämpfen suchte; es war das theils Selbstvergötterung, theils die Vergötterung einer fanatischen Jüngerschaft, die alles, was er sprach, bedeutend fand. Und er hat ja des Bedeutenden genug gesprochen und gedichtet, aber beim persönlichen Verkehr störte doch etwas der Gedanke, alles, was er sagte, bewundern zu müssen; man wurde gleichsam darauf hin angesehen, bis zu welcher Höhe der Bewunderung man sich zu erheben vermochte. Es wurde einem etwas eisig dabei zu Muthe, wie beim Monolog der auf ihrer Nordlandsinsel sagenhaft eingefrorenen Brunhilde. Hebbel war gewohnt, als Orakel zu „Posen“, sich als Meister unter lauter Jüngern zu bewegen. So gab es keine Unterhaltung mit ihm, sondern man hatte nur das Recht, ihm zuzuhören. Er war von Gestalt kein Riese, immerhin aber ziemlich groß und kräftig und er hatte etwas von nordischer Reckenhaftigkeit, etwas Kühles, Festes, ja Starres und dabei Genieblitze wie Gewitter im Winter.

Es war nicht lange nachher, daß ich in den Kreis der begeisterten Anhänger Laubes gerieth, zu denen in erster Linie die von ihm engagirten Darsteller der Burg gehörten. Anlaß dazu gab die Aufführung meines Lustspiels „Pitt und Fox“ am Burgtheater, zu welcher sich Laube erst entschloß, als er in Sonnenthal einen für den Fox geeigneten Darsteller gefunden zu haben glaubte. Das Stück war schon zehn Jahre vorher über die meisten deutschen Bühnen gegangen. Nun trat ich in das Laubesche Atelier. Zunächst die Leseprobe. Da saß der Direktor in der Mitte der Seinen, die er entdeckt und gefördert hatte; er war nicht bloß Direktor, er war der Hahn im Korbe. Jede seiner Aeußerungen fand Beachtung und Beifall; es war ein volles Behagen über diesen Kreis ausgebreitet. Laube hatte zwei kleine lustige Auftritte zu dem Stück hinzugedichtet; er las sie selbst vor und jeder Witz wurde mit stürmischem Gelächter belohnt. Dann folgten die Theaterproben. Da war er ganz in seinem Element; er kümmerte sich wenig um das Drum und Dran der Bühne, der Dialog war ihm alles; er sprach einzelne Stellen vor mit seinem nicht sehr bestechenden, barschen Organ; aber die Schauspieler wußten sogleich, wie sie gesprochen werden

müssen. Er hatte auch für das Spiel allerlei gute Einfälle, drollige Nuancen. Bei den Proben auf der Bühne war er in seinem Element

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 874. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_874.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)