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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)


wie ich weiß von dem berühmten Weltumsegler; der Ihrige jedoch,“ fuhr sie, den Major neckisch anlachend, fort, „tönt mit seinem wunderbar poetischen Klange heute zum ersten Mal an mein Ohr.“

„Zum ersten Male?“ fiel der Professor, immer noch heftig erregt ein: „um Gotteswillen, Fräulein, treiben Sie keinen grausamen Scherz mit mir!“

„Grausamen Scherz,“ versetzte Emma, „ich denke ja nicht daran. Denn wenn auch Helene meine Freundin ist, so folgt daraus noch lange nicht, daß sie die Gattin dieses armen vielgeplagten Mannes sei, der heute so schwere Proben überstanden hat.“

Sie lachte fröhlich dem Major in das aufgeheiterte Gesicht; er beugte sich auf ihre Hand und drückte einen enthusiastischen Kuß darauf.

„Ich verstehe kein Wort,“ unterbrach Robitz die Plaudernden unmuthig, "die Herrschaften scherzen hier harmlos, während ich –“

„Während Sie diesen guten Herrn Major für einen barbarischen Wütherich hielten und mich ohne Zweifel für eine vollkommene Närrin ansahen. Aber Sie sollen uns Abbitte thun, mein Herr Professor, feierliche Abbitte, denn erfahren Sie –“ hier richtete sie sich hoch auf. „Helene Elden, meine Freundin ist – – unverheirathet!“

„Unverheirathet!“ – rief der Professor aus, während sein Gesicht sich verklärte und ein Strahl unsäglichen Glückes aus seinen Augen brach, „unverheirathet!“

Er vermochte vor Ergriffenheit nichts hinzuzusetzen und stand ein paar Augenblicke in glückseligem, staunendem Schweigen da.

„Aber,“ brach es endlich von seinen Lippen, „wie vermochte es Fräulein Elden, mich so zu täuschst?“

„Still, still, Herr Professor,“ beschwichtigte Emma, „nur nicht wieder voreilig ins Gericht gehen wie mit dem armen Herrn Major; Helene ist unschuldig und hat schwer genug unter meinem unbedachten Scherze gelitten; ich werde als alleinige Sünderin nachher volle Beichte ablegen, doch vorerst versöhnen Sie hier Ihr bemitleidenswertes Opfer.“

Mit dem liebenswürdigsten Entgegenkommen eilte der Professor auf den Major zu, dessen Hände mit der dringenden Bitte ergreifend: „Können und wollen Sie mir verzeihen, was ich Ihnen angethan um dieses unglücklichen Mißverständisses willen?“

„Bitte, bitte!“ wehrte dieser lachend ab, „da ist nichts zu verzeihen; aber wissen möchte ich jetzt doch endlich einmal –“

„Ich auch,“ platzte der Doktor aus vollem Herzen los. „Da ich aber jetzt augenblicklich noch einmal auf den Bahnhof muß, so schlage ich vor, die Herrschaften bringen sämmtlich den heutigen Abend bei uns zu; ich erlaube sogar Fräulein Eldens Anwesenheit, natürlich sprechen darf sie nicht viel. Dann muß uns sowohl Fräulein Wahren als der Herr Major ausführlich erzählen, und so werden wir endlich alles erfahren.“

Der Vorschlag des Doktors wurde angenommene während dieser nun enteilte und Emma mit dem Major ein lebhaftes und lustiges Wortgefecht begann, welches diesen höchlich zu entzücken schien, war Professor Roditz still ins Nebenzimmer eingetreten, wo Helene im Lehnstuhl am offenen Fenster saß.

Sie ruhte, den feinen Kopf seitwärts geneigt, an ein purpurrothes Kissen gelehnt, von welchem sich der zarte Kopfumriß reizend abhob. Ihr jetzt vollständig aufgelöstes, schwarzes, gelocktes Haar fiel über Schultern und Brust herab, und die weißen Hände hielten einen Strauß duftender Rosen fest, den ihr Frau Doktor Belden gebracht hatte. Die langen, seidenen Wimpern lagen nicht mehr herabgesenkt auf ihren Wangen, sondern entschleierten die braunen Augen in ihrer wunderbaren Schönheit, die, voll aufgeschlagen, in die grünen Bäume des Gartens hinausschauten, durch welche soeben die letzten Sonnenstrahlen hereinfielen und die ruhende Mädchengestalt wie mit einem Glorienschimmer umwoben.

Ein leichtes Geräusch ließ Helene aufsehen mit einem leisen Freudenschrei wollte sie sich erheben, allein schon kniete der Professor neben ihr, sie sanft in den Sessel niederdrückend.

„Helene, Helene“ – das war alles, was die zitternden Lippen des sonst so starken Mannes hervorzubringen vermochten. Einen Augenblick später lag sie an seiner Brust und wieder und wieder küßte der glückselige Mann Augen, Stirn und Mund seiner holden Braut, während draußen die Abenddämmerung sich leise über die Wipfel niedersenkte.




Am Abend dieses ereignisreichen Tages saß ein Kreis froher Menschen bei der trefflichen Erdbeerbowle, welche die kleine Frau Doktorin bereitet hatte, bis spät beisammen.

Als die Hauptsünderin war Emma verurtheilt worden, von Anfang an zu erzählen, und sie that es mit solcher Lebhaftigkeit und solch drolligem Muthwillen, der Major ergänzte in so komischer Weise, daß die Zuhörer nicht aus dem Lachen herauskamen.

„Ich konnte natürlich nicht ahnen,“ schloß Emma ihren Bericht, „daß mein Scherz so folgenschwer sein würde, und dennoch sollte ich eigentlich nichts bereuen, denn“ – und ohne zu vollenden, schaute sie mit vielsagenden Blicken nach Helene, deren Augen unbekümmert um die Anwesenden an denjenigen des neben ihr sitzenden Professors hingen, der ebenso unbekümmert ihre Hand fest in der seinigen hielt.

„Das ist wieder einmal Frauenlogik: es ist gut abgelaufen, folglich bildet man sich noch etwas darauf ein,“ meinte scherzend Doktor Belden. „Sie sind übrigens am meisten zu beklagen, Herr Major, Ihnen ist übel mitgespielt worden und an Ihrer Stelle –“ er warf einen Blick über den Tisch, „ließe ich mir den Besitz einer so liebenswürdigen, mir gewissermaßen zu eigen gewesenen Frau nicht entgehen.“

„Wer weiß, was geschehen wäre,“ gab der Major zurück, „wenn nicht“ – er wurde sehr roth und räusperte sich mit einem Blick auf Emma, der an Ausdrucksfähigkeit nichts zu wünschen übrig ließ. Ebenfalls sehr erröthend, wandte sich diese zur Seite, der Doktor aber rief fröhlich aus:

„Ah, also so steht’s hier! Na, ich gratulire, gratulire allerseits, das ist ein prächtiger Abschluß dieser merkwürdigen Geschichte.“

Ehe sich an diesem Abend die Gesellschaft trennte, benützte der Major einen günstigen Moment , um sich Emma zu nähern welche, am offenen Fenster stehend, die balsamische Nachtluft einathmete, und ihr leise zuzuflüstern: „Fräulein Emma, ich sage auf Wiedersehen, allein ich kann es nicht ertragen, bis dahin nichts von Ihnen zu hören – darf ich Ihnen zuweilen schreiben, wollen Sie mir antworten?“

„Ja,“ flüsterte Emma, nun auch ihrerseits tief bewegt und entzog ihre Hand seinen glühenden Küssen nicht.



Sechs Wochen später veröffentlichten die Zeitungen zwei Verlobungen: diejenige Helene Eldens mit Professor Roditz und Emma Wahrens mit Major von Schnitzel; und ebenso viele Monate später fand in dem Hause von Helenens Eltern die Doppelhochzeit statt und die Hände der jungen Paare fügten sich nicht nur zusammen zu dem Bunde zweier unendlich glücklicher Ehen, sondern auch zu einem treuen unauflöslichen Freundschaftsbunde fürs Leben.






Der „wilde“ Mensch.


Die Wissenschaft hat in den letzten Jahren eine Menschengattung zu Grabe getragen, an deren Vorhandensein noch vor wenigen Jahrzehnten die größten Gelehrten glaubten, den „wilden“ Menschen, der noch heute in der Einbildung vieler fortlebt, die keine Gelegenheit hatten, sich mit den neueren Forschungen zu befassen.

Der „wilde“ Mensch sollte ein eigenartiges Wesen darstellen, welches mehr dem Thiere als dem Menschen ähnlich war und ungefähr ein Zwischenglied zwischen dem Menschen und dem Affen bildete.

Die Fabel von dem Vorhandensein des „wilden“ Menschen ist ohne Zweifel in erster Linie auf ungenaue Berichte der Reisenden zurückzuführen. Wir wissen ja, welche Wunderdinge namentlich in früheren Zeiten berichtet und geglaubt wurden. Wir brauchen nur an die Menschen mit Hundsköpfen zu erinnern, welche an den Ufern des Ganges wohnen sollten, oder an die „Einschenkler“, welche auf ihrem einzigen Bein wunderbar schnell laufen und vortrefflich springen konnten und welche auch „Fußschattner“ genannt wurden, „weil sie sich bei großer Hitze auf den Rücken legten und ihren großen Fuß gleich einem Sonnenschirm über sich ausbreiteten“ – oder endlich an die „Schwanzmenschen“, welche Afrikas Urwälder und die Dschungeln von Borneo bevölkern sollten!

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 879. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_879.jpg&oldid=- (Version vom 7.5.2019)