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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Rhetorik, wo sie angebracht war, und durch gesunden Humor hatte er stets glücklich gewirkt: wir erinnern nur, was die beiden letzten Vorzüge betrifft, an seinen Nathan und Stadtmusikus Miller, an seinen König Friedrich Wilhelm I. in „Zopf und Schwert“ und an seinen Snoughton in „Pitt und Fox“. Eine vorzügliche Leistung auf dem Gebiete der Tragödie war sein Erbförster in Otto Ludwigs gleichnamigem Trauerspiel.

Was seine schriftstellerische Thätigkeit betrifft, so war Förster in den verschiedensten Sätteln gerecht. Er hat für einzelne Zeitschriften größere Aufsätze aus dem Bereiche seines Fachs geschrieben, welche sich durch innern Gehalt und Gewandtheit der Darstellung auszeichnen; er hat nicht nur zahlreiche französische Stücke für die Bühne bearbeitet, was er früher oft in Gemeinschaft mit Heinrich Laube gethan; er hat neuerdings auch spanische Lustspiele mit Erfolg dem deutschen Theater zu eigen gemacht.

So stand Förster mitten in einem hoffnungs- und erfolgreichen Schaffen, als der Tod ihn abrief, ein Tod, so jäh und unvermittelt, wie er nur an den Menschen herantreten kann. Das glänzende Haus des Hofburgtheaters aber hüllte sich in Trauer, während draußen die Weihnachtsfreude ihre Wogen schlug.

Rudolf v. Gottschall.     




Quitt.

Roman von Theodor Fontane.
1.

Die Kirche war noch nicht aus, aber die alte Frau Menz und ihr Sohn Lehnert – ein schlanker, hübscher Mensch von siebenundzwanzig Jahren, dem man, auch ohne seine siebziger Kriegsdenkmünze (neben der übrigens auch noch ein anderes Ehrenzeichen hing), den gedienten Soldaten schon auf weite Entfernung hin angesehen hätte – hatten den Schluß des Gottesdienstes nicht abgewartet. Sie saßen bereits draußen auf einem großen Grabstein, zu dessen Häupten eine senkrecht stehende Marmorplatte mit einer „Christi Himmelfahrt“ in Relief in die dicht dahinter befindliche Kirchhofsmauer eingelassen war. Der Sohn, der schon während einer ganzen Weile mit der Kante seiner Stiefelsohlen allerlei Rinnen in den Sand gezogen hatte, war augenscheinlich verstimmt und vermied es, die Mutter anzublicken, die ihrerseits ängstlich vor sich hin sah und darauf wartete, daß der Sohn reden solle. Dazu kam es aber nicht, und so hörte man denn nichts als die letzte Liederstrophe, die drinnen eben gesungen wurde. Sonst war alles still. Der grelle Sonnenschein lag auf den Gräbern, die Schmetterlinge flogen dazwischen hin und her und über dem Ganzen wölbte sich der tiefblaue Himmel und versprach einen heißen Tag.

Endlich nahm die Mutter ihres Sohnes Hand. Er zog sie aber unwirsch wieder zurück und sagte: „Ach, laß, Mutter! Du meinst es gut. Aber was hab’ ich davon? Eigentlich bist Du doch schuld an allem, weil Du nicht weißt, was Du willst, und es auch nie gewußt hast. Auf Paschen und Wildern hast Du mich erzogen und wenn’s dann schief geht und Du’s mit der Angst kriegst, dann steckst Du Dich hinter Siebenhaar und jammerst ihm was vor, und der soll dann mit einem Mal einen Heiligen aus mir machen.“

„Du weißt ja doch, Lehnert, was er alles für Dich gethan hat.“

„Weiß alles. Aber er darf mich nicht anpredigen, und wenn er’s thut, so darf er nicht nach mir hinsehen, daß auch der Dümmste merken kann, wen er meint. Das darf er nicht, und wenn ich ihn sehe, dann sag’ ich’s ihm auch.“

„Er will Dich sprechen nach der Kirche.“

„Da haben wir’s. Also wieder abgekartet. Dacht’ ich’s doch. Ach Mutter, Du quälst mich und richtest nichts Gutes damit an.“

In diesem Augenblicke schwieg es drin und statt des Gesanges der Gemeinde hörte man nur noch das Nachzittern der Orgel und bald danach den eigenthümlichen Klapperton, mit dem die Pfennigstücke der einzeln und in Gruppen aus der Kirche Kommenden in die dicht an der Kirchenthür aufgestellte Sammelbüchse fielen.

Und nun kamen auch die Leute selbst und gingen an dem Grabstein vorüber, auf die weit offenstehende kaum dreißig Schritt entfernte Kirchhofspforte zu, wobei sie der Frau Menz und ihrem Sohne freundlich zunickten; aber ehe sie noch den Ausgang erreicht hatten, erschien auch schon im Gesichtskreis der nach wie vor auf dem Grabstein Sitzenden ein breitschultriger und kurzhalsiger Mann von Mitte dreißig, dessen Stutzhut und hechtgrauer Rock mit grünen Rabatten, des Hirschfängers ganz zu geschweigen, über seinen Beruf keinen Zweifel lassen konnten. Vorn, im zweiten Knopfloch, an einem absichtlich nicht allzu kurzen Bande, trug er das Eiserne Kreuz, das sich, eben weil das Band zu lang war, bei jedem Schritt in herausfordernder und jedenfalls in respekterwartender Weise hin und her bewegte. Der ganze Mann ein Bild von Selbstbewußtsein und Hochmuth!

„Guten Tag, Herr Förster,“ sagte Frau Menz und stand rasch auf, um ihm einen Knix zu machen.

Der Förster Opitz nickte kurz, streifte Lehnert, der sich nicht gerührt hatte, mit einem Blick und ging dann weiter.

„Was bliebst Du nicht sitzen, Mutter? Warum hast Du geknixt? Er kam, er mußte grüßen, nicht Du. Aber das ist immer die alte Geschichte mit Dir. Du hast nur zwei Gedanken: Angst und Vortheil, und hast keinen Stolz und keine Ehre. Du bist noch ganz aus der Kriechezeit. Und nun gar kriechen vor dem, vor solchem Schubbejack! Ist er denn Dein Herr? Unser Feind ist er, weiter nichts. Gott sei Dank, er fürchtet sich vor mir. Aber ich wollt’ es ihm auch rathen! Er kennt mich noch vom Görlitzer Scheibenstand her und weiß, ich hab’ eine sichere Hand und ein gutes Auge.“

„Sei doch still, Junge! Du red’st Dich noch ins Gericht. Und wenn Du durchaus reden willst, so rede nicht so laut. Es kann’s ja jeder hören.“

„Soll’s auch!“

Er hätte wohl noch weiter gesprochen, wenn nicht in eben diesem Augenblicke der alte Pastor Siebenhaar in Person von der Kirche her den Kirchhofsgang heraufgekommen wäre, neben ihm der Küster, zu dem er leise sprach.

Und jetzt erhob sich auch Lehnert.

„Ich möchte Dich noch sprechen,“ sagte der Alte, während er Lehnert im Vorübergehen die Hand reichte. „Komm in einer Viertelstunde! Das heißt, so Dir’s beliebt.“ Und mit einem freundlichen Blick, der Lehnert zu Herzen ging, schritt der Alte weiter, erst auf die Pforte und dann, etwas rechts abbiegend, auf das hinter einer Reihe verschnittener Linden gelegene Pfarrhaus zu.




2.

Lehnert setzte sich nach dieser flüchtigen Begegnung wieder. Sonst, wenn der Gottesdienst aus war, ging er mit seiner Mutter in den nahen Kretscham hinüber, um erst eine Stonsdorfer und hinterher einen „Grünen“ oder auch wohl einen Ingwer zu trinken. Heut aber war ihm nicht danach zu Muthe. „Laß uns sehen, Mutter, wie das Grab aussieht!“ sagte er.

Er meinte das seines Vaters, und während er so sprach, nahm er der alten Frau Arm und ging mit ihr den langen Hauptgang hinauf, bis sie vor einem gut gepflegten Grabe standen, an dem nur die halb verwaschene Inschrift erkennen ließ, daß der Todte schon seit lange hier liegen müsse. Die Jahreszahl bestätigte das auch. „Hier ruhet in Gott Anton Menz, Stellmacher und Schreiner zu Wolfshau bei Krummhübel, geb. 13. März 1821, gest. 17. August 1859. Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden.“

Lehnert faltete die Hände, als er die Worte las; wie er aber sah, daß die Alte nach ihrem Sacktuch suchte, riß er die Hände gleich wieder auseinander und sah ärgerlich weg, weil er wußte, daß alles bloß Schein und Komödie war und die Alte nur weinte, weil sie weinen wollte. Sie steckte denn auch das Tuch wieder ein und bückte sich, um eine große gelbe Studentenblume zu pflücken.

„Das war seine Lieblingsblume,“ sagte sie.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 20. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_020.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)