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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

dem geliebten Sohne ihre Segenswünsche brachte. „Ich war ganz starr,“ erzählte der Kronprinz, „als ich in aller Morgenfrühe schon den Wagen meiner Mutter erblickte.“

In den letzten zwanzig Jahren gestaltete sich das Leben der Kaiserin nach einem regelmäßig wiederkehrenden Turnus. Man kann nicht sagen, daß sie den Aufenthalt in Berlin demjenigen von Baden-Baden oder Koblenz vorgezogen hätte. Aber Berlin war ihr offizieller Wohnort, ihre Garnison als Offiziersfrau, wenn man so sagen darf. Hier im Palais pflegte sie, an der Seite ihres kaiserlichen Gemahls, jene großartige Geselligkeit zu üben, wie sie vielleicht an keinem europäischen Hofe mehr üblich ist. Wenn der Frühling kam, suchte die Kaiserin ihr geliebtes Baden-Baden auf, wo sie der Tochter nahe war. Dort pflegte sie bis Mitte Juni zu bleiben.

Sobald der Kaiser nach Gastein abgereist war, hörte man von der Kaiserin Augusta vier Wochen lang nichts mehr. Sie machte ihre Inkognitoreisen in die schweizer Berge, nach Ober-Italien, man sagte sogar, sie sei in den siebziger Jahren in das östliche Frankreich gegangen. Es war die Urlaubsreise der Kaiserin. Der Haushofmeister wurde als Kurier vorausgesandt, um Quartier zu machen für eine Gräfin v. Lingen; am Morgen ging sie oft allein mit dem Reisehandbuch unter dem Arme aus, und eines Tages – in Bologna im Campo Santo war es – sahen sie ihre Damen gar am Arme eines jungen Mannes daherkommen. Derselbe hatte die Kaiserin bei Besichtigung der Denkmäler angesprochen, sich von den feinsten Sitten und von der umfassendsten Bildung gezeigt und der Kaiserin dann den Arm geboten, den sie auch angenommen hatte. Auf diesen Reisen wußte sie ihr Inkognito so geschickt festzuhalten, daß sie nur selten erkannt wurde. Nur einmal in der französischen Schweiz geschah es doch. Sie kam auf einem Bahnhofe an, als eben der Zug, mit dem sie weiter fahren wollte, vorüber fuhr. Sie befahl, augenblicklich anzuhalten. „Das ist eine Königin!“ flüsterten die Bahnhofbediensteten sich zu. Die Endpunkte dieser Urlaubsreisen bildeten Besuche bei ihrer hochbetagten früheren Gouvernante in der französischen Schweiz und in Ouchy bei der Fürstin Wittgenstein. Sobald sie wieder auf deutschem Boden angelangt war, hatte das Inkognito ein Ende. In Freiburg erwartete ein Extrazug die Kaiserin und führte sie nach Baden-Baden, aber nur für kurze Zeit. Gegen den 10. August war der Kaiser von Gastein auf Babelsberg angekommen. Dorthin ging auch seine Gemahlin, um bis zur großen Herbstparade in Berlin an seiner Seite zu bleiben und dann mit ihm in die Provinz zu den Manövern zu gehen. Diesen folgte ein dreiwöchiger Aufenthalt des Kaisers in Baden-Baden, wo am 30. September der Geburtstag der Kaiserin gefeiert wurde, das letztemal im Jahre Jahre 1887. Damals war noch die Kaiserin von Brasilien dabei.

Gegen Mitte des Oktobermonats pflegte der Kaiser nach Berlin zu gehen; die Kaiserin blieb bis zu Ende in Baden-Baden, um dann noch vier Wochen nach Koblenz zu gehen und Ende November nach Berlin in das Palais zurückzukehren. So verlief das Jahr der Kaiserin.

Aber es kamen am Abend ihres Lebens auch noch schwere Prüfungen über sie. Mörderhände bedrohten wiederholt das Leben ihres Gemahls, und als kaum seine Wunden geheilt, da kam das Leiden über sie selbst. Mehrere Jahre war sie des Gebrauchs ihrer Füße gänzlich beraubt, und ein berühmter Arzt erklärte ihr rund heraus: „Euer Majestät werden nie wieder gehen können.“

„Wie Gott will, mein Lieber,“ entgegnete die Kaiserin wehmüthig. Und es kam anders! Langsam gewann sie den Gebrauch ihrer Füße wieder. Sie war fast genesen, als herberes Leid sie traf, die nagende Sorge um die Gesundheit ihres Sohnes. Die fürchterliche Wahrheit ließ sich nicht mehr verleugnen, daß dieser königliche Eichbaum krank sei bis ins Mark, und dann brachen sie herein, die furchtbaren Schicksalsschläge, einer um den andern, die erst den geliebten Enkel, dann den greisen Gatten, und endlich auch den todwunden Sohn von ihrer Seite rissen. Ihr, deren Leben es gewesen, Thränen zu trocknen, blieben die bittersten Thränen nicht erspart.

Und dann ein ruhiges, friedsames Ausklingen! In stiller Zurückgezogenheit lebt die kaiserliche Witwe ihren Erinnerungen und ihren alten Zielen; um das trauernde Haupt der Greisin aber webt eine scheidende Sonne noch manch goldenen Strahl, ausgleichend, versöhnend, verklärend. Dann sinkt sie hinab, die Sonne; das Haupt aber, dem noch ihr letzter Gruß gegolten, legt sich müde nieder – zum Sterben!

Und wie des Menschen Auge in wehmüthigem Sinnen auf der Stelle haftet, da der röthliche Glanz noch die Spuren des Tagesgestirns verräth, so bleibt des Volkes Gedenken ruhen auf dem Werke der Kaiserin Augusta.

Georg Horn. 




Die Erforschung der Meere.
2. Licht, Wärme und Druck in Meerestiefen.

Von der Thierwelt des Meeres ist uns naturgemäß derjenige Theil am besten bekannt, der sich an den Küsten niedergelassen hat; denn hier ist das Meer uns zugänglich. Es giebt namentlich in tropischen Gegenden klare Buchten, wo der Schiffer über der Fläche dahingleitend auf den Grund des Meeres schauen und das farbenprächtige Thierleben bewundern kann. Er gleitet über Korallengärten dahin, er sieht den weißen Sandgrund und vermag oft in der Tiefe von 20 und mehr Metern auf ihm den Schiffsanker zu unterscheiden, und zwar nicht nur im hellen Sonnenschein, sondern auch nachts bei dem matten Lichte des Vollmondes. Was er hier sieht, ist für ihn auch greifbar. Er kann bis auf den Grund tauchen, ja stundenlang auf ihm wandern, wenn er den Taucherapparat zur Hilfe nimmt. Solche Studien auf dem Meeresgrunde sind von eigenartigem Reiz umgeben; wer kennt nicht die farbenprächtigen Schilderungen, die Häckel von den Korallenhainen im Rothen Meere und an den Küsten von Ceylon entwirft? Solche Studien werden auch in den zoologischen Stationen an den Meeresküsten, wie z. B. in Neapel, häufig ausgeführt. Der Taucher weiß uns da viel Eigenartiges zu berichten.

Er vertieft sich in eine andere Welt; das beweist schon der Farbenglanz, in dem sie dem erstaunten Auge sich darbietet. Unbeschreiblich schön ist die Farbenpracht, die sich in geringen Tiefen bemerkbar macht. Im Mittelmeere erscheint alles blau; namentlich in 5 bis 6 m Tiefe ist alles vom herrlichsten Azurblau durchdrungen. Blau ist ja die Farbe des Meeres, aber nicht überall; dort, wo Ebbe und Fluth herrschen und das Wasser mit kleinen Schlammtheilchen mehr durchsetzt ist, herrscht unter dem Meeresspiegel die grüne Farbe vor; in dieser magischen Beleuchtung bieten sich z. B. dem Auge des Tauchers die berühmten Korallengärten von Ceylon dar. Die Beleuchtung in diesen geringen Tiefen ist auch genügend, um uns alles erkennen zu lassen; an klaren Tagen vermag man in den Gewässern von Neapel in 10 m Tiefe mit der Lupe zu beobachten und bei 20 m Tiefe zu lesen. Das Licht nimmt allmählich ab, je tiefer wir steigen, aber so weit der Taucher sich hinablassen kann, ist es noch stark genug, um ihn die nächste Umgebung erkennen zu lassen.

Freilich ist die Grenze unseres Vordringens in die Meeresgründe sehr eng gezogen. In 10 m Tiefe fühlt sich der Mensch noch wohl, und es giebt eine Anzahl von Forschern, die nach einiger Gewöhnung zwei Stunden lang sich auf dem Meeresgrunde aufhalten können, ohne besondere Beschwerden zu spüren. Dringt man aber tiefer in die Meeresgründe ein, so wird der Einfluß des zunehmenden Druckes empfindlicher. 20 m Tiefe erreichen nur bessere Taucher und halten darin in der Regel nur 15 bis 20 Minuten aus. Noch tiefer steigen nur Virtuosen hinab, und 60 m dürfte die äußerste erreichte Grenze sein. Schon bei 30 m stellt sich außer allerlei Schmerzen Nasen- und Ohrenbluten ein, und der Taucher Deschamp, der im Jahre 1866 sich zu einem gesunkenen Dampfer in die Tiefe von 70 m hinablassen wollte, wurde in 60 m Tiefe von Hallucinationen befallen und bewußtlos wieder heraufgezogen.

Durch eignen Augenschein können wir somit nur die oberflächlichste Schicht des Meeres kennen lernen. Und doch stellt die Wissenschaft eine ganze Reihe von Fragen, die sich auf die Physik und die Chemie der Meerestiefen beziehen und von deren Beantwortung unser Verständniß für das Thierleben der See abhängt!

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 78. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_078.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)