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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Als man diese eigenartigen Thierformen kennen zu lernen anfing, hoffte man, daß die Tiefseeforschung uns uralte Arten enthüllen werde, die in früheren geologischen Epochen lebten, an der Oberfläche aber längst ausgestorben sind.

Bald gelangte man jedoch zu einer anderen Ueberzeugung; in der Finsterniß der Seetiefen keimte nicht zuerst das Leben, seine Wiege stand dort, wo der helle Sonnenschein die Welt verklärt; die Küsten- und selbst die Landfauna ist älter als die der Tiefsee; denn erst von der flachen Küste und der Oberfläche des Meeres wanderten allerlei Thiere nach der Tiefe und paßten sich den neuen Lebensbedingungen nach und nach an. In unvordenklichen Zeiten begann jene Einwanderung und sie geschieht noch heute. Darum finden wir auch in der Tiefsee neben echten Tiefseethieren allerlei Uebergangsformen, die uns an die Thiere der Flachsee gemahnen. Die einen sind längst erblindet, die anderen besitzen noch gut entwickelte Sehorgane. Die Eier der einen entwickeln sich im Dunkel der Tiefe, die Eier der anderen steigen noch nach altem Gesetz an die Oberfläche, um hier sich zu entwickeln, und erst die junge Brut kehrt zu den Vätern in der Tiefe zurück. Diese Mannigfaltigkeit der Uebergangsformen gebietet uns, in unseren Schlüssen vorsichtig zu sein; wir können nicht ohne weiteres aus dem Vorhandensein der Organe auf deren Zweckmäßigkeit in der Tiefe schließen, wir können nicht entscheiden, was den Bewohnern der tiefuntersten Gründe mehr frommt: Augen und Leuchtapparate, oder der Stab der Blinden! „Wie wenig wissen wir!“ Der Ausruf, den Linné vor mehr als hundert Jahren bei seiner Beschreibung der Natur des Meeres gethan hat, er paßt noch heute auf unser Wissen trotz der ungeahnten Ausdehnung unserer Kenntnisse. Als das englische Schiff „Challenger“ von seiner denkwürdigen Fahrt zurückgekehrt war, erschien der Reichthum an mitgebrachten Funden so groß, daß man behauptet hat: ein Mann, der die Kenntnisse von 20 Spezialisten besäße, müßte 75 Jahre angestrengt arbeiten, um das Material zu bewältigen. Viele Forscher haben sich in jene Arbeit getheilt; fünfundzwanzig stattliche Bände sind bereits über diese Expedition erschienen und das Material regt immer noch zu neuen Arbeiten an!

Wir haben bis jetzt nur die allgemein bekannten und dem bloßen Auge sichtbaren Seethiere berührt. Das Meer birgt aber noch einen ungeheuren Reichthum an winzig kleinen Lebewesen. Ihre Bedeutung im Haushalt der Natur ist uns bei der Betrachtung des weißen Tiefseeschlammes klar geworden; lernen wir jetzt, wenn auch flüchtig, einige Vertreter dieser winzigen Geschöpfe näher kennen! Wir haben hier die unterste Thierklasse vor uns, die Urthiere, die nur aus einer Zelle bestehen, die einfachsten Organismen ohne Organe. Alle Funktionen des Lebens werden hier von dem Protoplasma, der Zelle, besorgt. Dieses entsendet Fortsätze, Scheinfüßchen, welche die Bewegung und den Fang der Beute ermöglichen; es frißt und verdaut und fühlt. Die Foraminiferen oder Kammerlinge bilden eine Abtheilung dieser Klasse, auf unserer Abbildung S. 83 sehen wir in der Mitte ein einfaches Wesen dieser Art. Eine eiförmige Kalkschale fällt uns zunächst auf, sie hat eine einzige Oeffnung, aus der die vielen Scheinfüßchen hervortreten und netzartige Maschen bilden. Unsere Foraminifere hat soeben eine Diatomee erbeutet; rechts ist dieselbe von den Scheinfüßchen umstrickt; das Protoplasma der Foraminifere saugt aus der Alge allen Nahrungsstoff aus und läßt dann die leere Schale fahren.

Die Zahl der Foraminiferenarten ist eine ungeheuere; Hunderte sind bereits bekannt und die Mannigfaltigkeit der Formen ist eine außerordentliche, einige derselben, oder vielmehr deren Schalen finden wir auf unserer Abbildung rings um die oben beschriebene gruppirt. Fast alle diese Foraminiferen tragen eine Kalkschale, die je nach dem Kalkgehalt des Seewassers bald dünner, bald dicker ist. Andere Urthiere, die Strahlinge, zeichnen sich durch ihren Kieselpanzer aus.

Das Vorkommen dieser niedrigen und winzigen Thiere ist für die Fauna des Meeres von der größten Bedeutung. Man hat gesagt: „Wo der Globigerinenschlamm vorhanden ist, dort herrscht überall reiches Leben, wo er verschwindet und der rothe Tiefseethon auftritt, dort erstrecken sich die Wüsten des Meeresgrundes.“ Aber nicht allein an der Küste oder am Meeresgrunde können wir die Bedeutung dieser Wesen kennen lernen; wir müssen zu diesem Zwecke hinaussteuern auf das offene weite Meer, welches an seiner Oberfläche wieder eine andere, die pelagische Fauna beherbergt, aus dessen weiten Fluthen die Thiere in Scharen dahinziehen, wie die Herden der Steppe von Weide zu Weide wandern, oder willenlos umhergetrieben werden, ein Spiel von Wind und Wellen!


Quitt.

Roman von Theodor Fontane.
(Fortsetzung.)
Nachdruck verboten. 
Alle Rechte vorbehalten.     

Es vergingen, ohne daß auf seiten Lehnerts etwas geschehen wäre, gegen anderthalb Wochen, und wär’ auch wohl noch weiter so gegangen, wenn nicht die Plaudertasche, die Christine, gewesen wäre, die beständig alles, was drüben in der Försterei vorging, zu den Menzes hinübertrug. Unter den keinen Freiheiten, die sie sich regelmäßig nahm, war auch die, daß sie den Opitzschen Schreibtisch beim Aufräumen und Staubabwischen einer gründlichen Musterung unterzog, so daß sie jederzeit wußte, wie die Dienstsachen standen. War das nun schon ihr alltägliches Thun, so doppelt, seitdem Lehnert in Gefahr schwebte, der Gegenstand oder das Opfer einer Opitzschen Schreibübung zu werden. Eine ganze Woche lang hatte sich nichts finden lassen, heut aber, es war der Tag vor dem vierten Sonntage nach Trinitatis, war ihr der lang erwartete Bericht an den Grafen, in geschnörkelter Abschrift und sauber zwischen zwei Löschblätter gelegt, zu Gesicht gekommen, und ehe noch eine Viertelstunde um war, war sie schon drüben, um ihre Neuigkeit vor die rechte Schmiede zu bringen.

„Liebe Frau Menz, ich habe es nun alles gelesen. Es sind drei Seiten, alles fein abschrieben und unterstrichen, denn er hat ein kleines Pappelholzlineal, das nimmt er immer, wenn er unterstreichen will, und das sind allemal die schlimmsten Stellen.“

„Jesus,“ sagte Frau Menz und zitterte. „Sie können ihm doch nicht ans Leben, bloß um den Has’, und der war noch dazu so klein, als ob er keine drei Tage wär’, und ich hab ihn eigentlich nicht essen können vor lauter Angst, bloß einen Lauf und das Rückenstück, weil es doch zu schade gewesen wäre. Ach, du meine Güte, wenn er um so ’was sterben sollte, da wäre ja keine Gerechtigkeit mehr und der Kaiser in Berlin wird doch wissen, daß er ein so guter Görlitzer war und daß er’s beinah gekriegt hätte . . . “

„Gott, liebe Frau Menz, was Sie nur alles reden, so schlimm ist es ja nicht. Und wär’ überhaupt gar nicht so schlimm, wenn es nicht das zweite Mal wär’, oder was sie, die so ’was schreiben, den ‚Wiederbetretungsfall‘ nennen. Das ist das Wort, das drin steht. Und da machen sie denn gleich aus dem Floh ’nen Elefanten und thun, als ob es wunder was sei, nicht weil es wirklich was Großes und Schlimmes wäre, nein, bloß von wegen des zweiten Mals, von wegen des Wiederholungsfalls. Und da sind sie denn wie versessen drauf und das war auch die Stelle mit dem dicken Strich . .. Das heißt die eine.“

„Die eine? Aber Du mein Gott, war denn noch eine?“

„Gewiß war noch eine da, die war noch dicker unterstrichen, und das war die von seinem Charakter.“

„Ach, Du meine Güte! Von seinem Charakter! Und die hat Opitz auch unterstrichen? Ja, was soll denn das heißen? Ein Charakter is doch bloß wie man is. Und wie is man denn? Man is doch bloß so, wie einen der liebe Gott gemacht hat, und wenn man auch nicht alles thun darf, aber seinen Charakter, ja, Du mein Gott, den hat man doch nu mal und den wird man doch haben dürfen und den kann er nicht unterstreichen. Und ein Mann wie Opitz, den ich immer beknixt habe, wie wenn er der Graf wäre! Gott, Christine, sage, Kind, was steht denn drin und was hat er denn alles gesagt?“

„Er hat gesagt, ‚daß man sich jeder That von ihm zu gewärtigen habe‘, das steht drin, Frau Menz, und das Wort ‚jeder‘ ist noch extra roth unterstrichen und sieht aus wie Blut, so daß

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 84. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_084.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)