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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

ist fertig und wird wohl 2 bis 3 Wochen das Licht der Welt erblicken. Du glaubst nicht wie ich von allen Seiten Deutschlands darum gequält worden bin, nun sitze ich schon 4 Tage und schreibe Briefe an diese einzelnen Quälgeister, und wenn auch der Haufen der aufgespeicherten Briefe geringer wird, zu Ende bin ich nach lange nicht. – – Wenn Ihr uns im Sommer besucht, so werden wir Euch dafür im Winter abstrafen, denn was meine ist, hat den Einfall: alle Winter reisen wir auf 6 Wochen nach Mecklenburg, da kannst Du dann so viel Plattdeutsch reden als nöthig ist; aber für immer kehren wir nicht wieder zurück, denn die Prügelstrafe kann vielleicht auf Poeten und Litteraten und ihre Frauen ausgedehnt werden und dagegen scheint meine einen natürlichen Widerwillen zu haben. Ach, lieber Fritz, wie muß ein Christ und Mecklenburger sich fressen[1] wenn im Auslande von dem lieben Vaterlande die Rede ist. Man glaubt hier alles mögliche Schlechteste von Mecklenburg und seinen Junkern und Pfaffen, und es sollte mir gar nicht schwer werden, hiesiger Bevölkerung einzureden, daß sich die Rittergutsbesitzer alle Morgen ein keines unschuldiges Tagelöhnerkind zum Frühstück braten ließen.

In der letzten Zeit ist Julian Schmidt mit Frau und Maler Pietsch mit Frau bei uns gewesen; der letztere hat sich mit Hinstorff in Verbindung gesetzt und wird die Stromtid mit Bildern versehen. Prachtvolle Bilder! wunderschöne Figuren! – – Von Otto Speckter (Maler in Hamburg) ist der Hanne Nüte illustrirt; schon alles zum Holzschneider geschickt. – Zu dem Porträt von meinem Päding[2] habe ich mich sehr gefreut, obgleich er dasteht wie ein armer Sünder, der erschossen werden soll und alle Augenblicke die Kugel erwartet. – –

Daß Du einen Bullen ‚Bräsig‘ und ein Schwein ‚Pomuchelskopp‘ getauft hast, hat mir viel Vergnügen gemacht, denn es zeigt mir, daß Du ein richtiges Verständniß dieser beiden Personen hast; aber mit der Taufe Deines neukreirten Gutes bitte ich so lange zu warten, bis Du den Schluß der Geschichte gelesen hast; ich glaube, Du wirst das Ding am Ende Resow nennen müssen, denn mein Rudolph[3] in der vollständigen Entwickelung seines Wesens bist Du, mein alter Fritz. – –

So wie mein Buch herauskommt, schicke ich es Euch, Du wirst auch Deine ‚Inflorentia‘[4] darin finden.

Mit altem treuen Gruß

Dein Fritz Reuter.“


„Laubbach,[5] den 16. Nov. 65.

Mein lieber Fritz!

Heute ist großer Brieftag bei mir; Du bist der siebente, letzte, aber auch liebste, der an die Reihe kommt, um Dir meinen Dank für Deine freundliche Geburtstags-Gratulation[6] zu sagen, obgleich man eigentlich zu 55 Jahren nicht viel gratuliren sollte. – Recht erfreut bin ich, daß Du nicht über Futtermangel klagst; die mecklenburgischen Zeitungen sind ja ebenso voll davon, wie unsere Landleute hier. – Wir leben hier in alter Weise und werden wohl noch bis Anfang März hier bleiben, da mir die Kur im Ganzen gut bekommt, nur daß sich ab und an die Kreuzschmerzen wieder melden; es ist die Sache weiter nicht gefährlich, aber wenn man Geld und Zeit daran setzt, will man die Geschichten doch los werden. Mit meinem Dörchleuchten geht es auch so ziemlich vorwärts und hoffe ich, denselben bis Weihnachten druckreif zu schaffen.–

Vor einiger Zeit war Richard Schröder[7] mit Professor Simrock und Tochter aus Bonn hier bei uns, und in den nächsten Tagen werden wir den Gegenbesuch in Bonn machen. Ueberhaupt leiden wir nicht an Langeweile, gestern war der Freiherr Gisbert Vincke, der Bruder von dem Kammer-Vincke, hier bei uns und blieb die Nacht hier, und zugleich auch der Hauptmann von Köppen, ein Dichter, der schleswig-holsteinische Kriegslieder verfaßt hat, und der Regierungsrath von Forstner. Auch der erste Kommandant von Koblenz und Ehrenbreitstein, General von Hartmann, und der Kabinettssekretär der Königin, Dr. Brandis, sind hier bei uns gewesen und ich bei ihnen. – Es ist mir höchst komisch vorgekommen, lieber Fritz, wie sich die Zeiten geändert haben: in früherer Zeit empfingen mich die preußischen Festungskommandanten im Vorzimmer oder auch gar nicht, jetzt suchen sie mich auf. Dieser war jedoch ein überaus freundlicher Mann und hat mir mitgetheilt, daß unsere preußische Kronprinzessin sich lebhaft für meine Sachen interessirt.

Meine Geldangelegenheiten stehen imgleichen so trefflich, wie ich nie im Traume geahnt habe. – – Deine Marie wird sich freuen zu vernehmen, daß der erste Band der illustrirten Stromtid in sehr hübscher Ausstattung mit den Bildern von Pietsch mir vorliegt, die andern beiden werden im Laufe dieses Monats fertig und werdet Ihr dieselben zu seiner Zeit ansehen können. –

Zu Weihnachten wird’s nun wohl nichts mit dem Wiedersehen werden; vielleicht aber später. – Viele Grüße an alle von

Deinem Fritz Reuter.“


Von den Schußwunden in künftigen Kriegen.

Der künftige Krieg! Wie ein Gespenst schwebt sein düsteres Bild über den Friedenswerken der Völker, und alle Menschenfreunde wünschen, daß sein Ausbruch in unabsehbare Fernen hinausgeschoben werden möchte! Gottlob, er steht nicht drohend vor unserer Thür; es ist den Völkern noch eine Frist gewährt, im aufbauenden friedlichen Wettstreit ihre Kräfte einzusetzen. Unermüdlich regen sich aber unzählige Hände, um die Rüstung der Nation zu schmieden, damit wir in der Stunde der Gefahr wohl gewappnet auf dem Kampfplatze erscheinen; unermüdlich sinnt der menschliche Geist nach neuen Mitteln, mit welchen er die Schlagfertigkeit der Truppen erhöhen könnte, und wie in den Werken der Kunst, Wissenschaft und des Gewerbes, so feiert auch auf dem Gebiete des Kriegshandwerks der Scharfsinn der Erfinder seine Triumphe.

Neue, bessere Waffen tauchen von Jahr zu Jahr auf; ein Staat überbietet den anderen, und wir sind endlich soweit gelangt, daß der künftige Krieg eine andere Taktik erfordern wird, daß die künftigen Schlachten ein neues, von den alten verschiedenes Bild bieten werden. Man hat vielfach versucht, diese schreckensvollen Zukunftsbilder auszumalen. Ueber den Schlachtfeldern werden die dichten Rauchwolken nicht mehr lagern, der Donner der Geschütze und das laute Knattern des Gewehrfeuers werden nicht mehr die Luft erzittern lassen; denn das neue „rauchfreie“ Pulver erzeugt nur wenig Rauch und macht wenig Lärm; aber in dieser reineren, stilleren Luft wird nach wie vor das Verderben hausen, der Tod seine Ernte halten, und wir fragen ernst, in welchem Maße?

Die Fußtruppen entscheiden in den Schlachten der Neuzeit, und sie werden mit neuen Waffen auf dem nächsten Kampfplatze erscheinen. Die verheerenden Wirkungen der bisherigen Hinterladergewehre werden durch das rasche Feuer der Magazingewehre erhöht werden, doch das ist nur eine der Neuerungen an den Handfeuerwaffen. Durch Verkleinerung des Kalibers und durch Umkeidung des Geschoßbleikerns mit einem widerstandsfähigen Metallmantel sind dieselben an und für sich wirksamer geworden, und vielfache zuverlässige Versuche ergaben erstaunliche Proben dieser Wirksamkeit.

Das Kleinkalibergewehr ist in jeder Beziehung dem alten Gewehre überlegen. Es trägt weiter, trifft sicherer und das von ihm geschleuderte Geschoß hat eine weit größere Durchschlagskraft. Auf dem Schlachtfelde äußert sich seine Wirkung wie folgt: ein und dasselbe Geschoß dringt auf 100 m Entfernung abgefeuert durch 4. bis 5 Glieder einer Kompagnie in Gefechtsformation, selbst wenn hierbei die stärksten Knochen des Körpers durchschossen werden, durchbohrt also 4 bis 5 hinter einander stehende Soldaten. Desgleichen werden auf die Entfernungen von 400 m 3 bis 4 Glieder, auf die Entfernungen von 800 bis 1200 m noch 2 bis 3 Glieder durchschossen. Und selbst bei diesen Widerständen bleibt das Geschoß fast niemals in der Wunde stecken, ja bei den mit dem französischen Lebelgewehr angestellten Versuchen wurden Leichen sogar auf die Entfernung von 2000 m durchschossen; niemals blieb die Kugel im Körper stecken. Hölzerne Brustwehren, die bis jetzt noch gegen das Gewehrfeuer schützten, verlieren an ihrer Bedeutung; denn die Kleinkalibergeschosse haben bei allen Holzarten eine fünf- bis sechsmal größere Durchschlagskraft; sie durchschlagen bei Nahschüssen Tannenholz in der Dicke von 110 cm, und selbst

  1. Kränken.
  2. Pathenkind. Reuter hatte bei Peters’ jüngstem Kinde zu Gevatter gestanden.
  3. Die Romanfigur in der Stromtid.
  4. Verdrehung des Wortes „Influenza“.
  5. Wasserheilanstalt bei Koblenz, in der Reuter sich längere Zeit aufhielt.
  6. Reuters Geburtstag war um 7. November.
  7. Docent in Bonn, Sohn von Reuters Freund Justizrath Schröder in Treptow.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 159. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_159.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)