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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

aber der Kaffeemißbrauch gewinnt immer mehr Ausbreitung und macht sich auch in den Kreisen bemerkbar, deren Frauen keine Zeit haben, von 4 bis 7 oder gar 8 Uhr „nachmittags“ vor Tassen und Kannen zu schwelgen – in Genüssen des Gaumens und des Gehörs. So z. B. sind neuerdings in Essen einem Arzte viele Schwächezustände unter den Frauen der Arbeiterbevölkerung aufgefallen, die lediglich auf den Mißbrauch des Kaffees zurückgeführt werden mußten. Dies erklärt sich leicht dadurch, daß gerade viele billigere Sorten, wie z. B. der Ceylonkaffee, sehr viel Coffeïn enthalten. Für Gesunde ist der Kaffee in angemessener Menge ein gutes Anregungsmittel. Schwache Personen aber sollten in diesem Genuß vorsichtig sein, denn das viele Kaffeetrinken schwächt das Herz und zerrüttet die Nerven. *     


Friedrich Mitterwurzer. (Zu dem Bilde S. 133.) Wohl der eigenartigste unter den jüngeren Darstellern, die sich eines weitreichenden Rufes erfreuen, lenkt Mitterwurzer seit seinem glänzenden Gastspiel am Berliner Hoftheater jetzt mehr als je die Augen auf sich, nachdem auch seine Erfolge jenseit des Oceans in der deutschen Presse ein lebhaftes Echo wachgerufen haben.

Mitterwurzer ist ein echtes Theaterkind; er wurde am 16. Oktober 1844 in Dresden geboren als Sohn des vielgenannten Baritonisten, Opern- und Kammersängers Anton Mitterwurzer; auch seine Mutter gehörte als Schauspielerin der Hofbühne an. Als ganz junger Mensch hatte er schon zur Fahne Thaliens geschworen und führte ein lustiges Wanderleben bei den kleinen Bühnen der Lausitz und Schlesiens. Namentlich bei der trefflichen Direktion Heller, welche ihre Vorstellungen in Liegnitz, Schweidnitz, Bunzlau gab, spielte er große und keine Rollen und wirkte auch im Chor und im Ballet mit – alles für zwölf Thaler Monatsgage. Nach einem kürzeren Aufenthalt im Vogtlande, bei der Direktion Leichsenring, wo er z. B. Laubes Essex spielte, kam er nach Hamburg ans Thaliatheater und wurde bald ein Liebling des vielgewandten Direktors Maurice und seines schneidigen Oberregisseurs Marr. Er spielte dort komische Rollen und hatte mit einer episodischen Genrefigur, dem Schulmeister in „Deborah“, einen durchschlagenden Erfolg.

In Bremen unter der Direktion Ritter und Behr spielte er dann jugendliche Liebhaber, und zwar mit solchem Feuer, daß er einmal einem Mitspieler fast das rechte Auge ausstach. In der Tragödie konnte er keine Fortschritte machen, da er noch keine Beschäftigung an Hoftheatern fand; so wandte er sich dem Berliner Wallnertheater zu, wo er theils in der Posse als Darsteller urwüchsiger Stiefelputzer glänzte, theils in französischen Stücken sein Glück als Liebhaber versuchte im Zusammenspiel mit Agnes Wallner; er wurde zwar bemerkt, doch öfters ausgelacht wegen seiner abenteuerlichen Masken und seines oft nicht minder abenteuerlichen Spiels. Noch schlimmer erging es ihm am Breslauer Stadttheater, wo er als erster Held in Rollen wie Essex und ähnlichen Fiasko machte und die ganze Kritik gnadenlos über ihn herfiel.

Das waren die Lehrjahre des Künstlers, die ihm keine Befriedigung gewähren konnten und in denen er gewiß oft an seinem Talent verzweifelte. Eine günstige Wendung für ihn trat erst ein, als er in Graz angestellt wurde; dort schlug sein Hamlet zündend ein; er spielte alle Liebhaberrollen und wurde bald ein Liebling des Publikums. Von dort berief ihn Laube an das Burgtheater; er gastirte mit einem allerdings nicht unbestrittenen Erfolge als Hamlet, Tellheim, Petrucchio; während seines Gastspiels ging Laube von der Direktion ab und sein Nachfolger Friedrich Halm wollte von einer dauernden Verwendung Mitterwurzers nichts wissen. Der Künstler spielte wieder in Graz, dann im Theater an der Wien, und als Laube 1869 die Direktion des Leipziger Stadttheaters übernahm, folgte er ihm dorthin und wurde wegen seiner glänzenden Vielseitigkeit eine Hauptstütze des Repertoires.

Ein anderer berühmter Theaterleiter, Franz Dingelstedt, gewann nach Laubes Abgang von Leipzig Mitterwurzer für das Burgtheater. Doch fühlte dieser sich in dieser gebundenen Stellung auf die Länge nicht behaglich; es fehlte ihm die freie Bewegung; eine große Zahl von Rollen, deren Darstellung seinem Ehrgeize als wünschenswerthes Ziel erschien, wurde ihm vorenthalten, weil ältere Darsteller bereits in ihrem Besitze waren. So ließ er sich von seinem alten Gönner Laube, der seit mehreren Jahren das Wiener Stadttheater leitete, bestimmen, seinen Vertrag mit dem Burgtheater zu lösen, indem er sich vom Kaiser selbst seine Entlassung erbat. Aber gerade als er frei geworden, trat Laube von der Direktion des Stadttheaters zurück. Mitterwurzer blieb demselben dennoch eine Zeit lang treu; eine kurze Episode seiner Künstlerlaufbahn war seine Thätigkeit beim Ringtheater, das bald nach seinem Eintritt in den Verband desselben in Flammen aufging. An diesen Theatern spielte er moderne, meist französische Rollen. Dann trieb es ihn hinaus in die Ferne; ein glänzender Gastrollencyklus in Nordamerika führte ihn bis San Francisko.

Nach seiner Rückkehr machte sein Gastspiel in Berlin viel Aufsehen: er spielte dort in dem erfolgreichsten Stücke Ernst von Wildenbruchs, „Die Quitzows“, den alten Raubritter Dietrich von Quitzow, den märkischen Götz von Berlichingen; unser Bild stellt ihn in dieser Rolle dar. Es war eine durchweg vortreffliche Leistung, welche zum Erfolge des Trauerspiels wesentlich beitrug: die Selbstherrlichkeit des Ritters, seinen herausfordernden Uebermuth, sein joviales und dann wieder schneidiges Wesen wußte er mit energischer Ursprünglichkeit darzustellen.

Friedrich Mitterwurzer besitzt ein eigenartiges Darstellungstalent von großer Frische und Schärfe. Den Eingebungen seines künstlerischen Genius folgend, übt er oft eine hinreißende Wirkung aus; aber er ist bisweilen abhängig von seinen Stimmungen und spielt dieselbe Rolle ungleich an verschiedenen Abenden. Es ist bei ihm nichts Eingelerntes, nichts Schablonenhaftes; von seiner glänzenden Vielseitigkeit legen die Rollen Zeugniß ab, die wir bei der Schilderung seiner bisherigen Laufbahn erwähnten; es finden sich darunter Helden- und Liebhaberrollen, Intrigantenrollen, aber auch Rollen aus dem Bereich der Posse. Wir selbst sahen Mitterwurzer während seines Wirkens in Leipzig an einem Tage einen Wiener Schusterjungen und am nächsten den Marquis Posa mit gleichem Erfolge spielen. Vortrefflich ist er auch als Bonvivant: als Bolz in den „Journalisten“ und als Fox in „Pitt und Fox“. †     


Singen und Sagen. Unter diesem Titel hat Albert Möser neue Gedichte veröffentlicht [Hamburg, Verlagsanstalt und Druckerei Aktiengesellschaft (vorm. J. F. Richter)], welche alle Vorzüge seiner früheren wiederum bewähren. Möser gehört nicht zu den Dichtern, die es mit der Form leicht nehmen und denen es, was Rhythmus und Reim betrifft, gleichsam auf eine Handvoll Noten nicht ankommt. Er bevorzugt künstlerische Strophenformen, insbesondere das Sonett, und bewegt sich in ihnen zwanglos und geschmackvoll. Sein Vorbild ist offenbar Platen und von den Dichtern der Gegenwart erinnert er am meisten an den Grafen Schack. Wie dieser liebt er auch weltweite Fernblicke, was sich besonders in dem Abschnitt „Aus allen Zonen“ zeigt. Ebenso sucht er Entdeckungen der neueren Naturwissenschaft in dichterisches Gewand zu kleiden. Gleich im ersten Buche finden sich derartige Gedichte: „Der Komet“, „Gesang des Weltmeers“, „An Darwin“, „Das Erdbeben“, „Doppelsterne“. In den erzählenden Gedichten greift der Dichter bis in das Alterthum zurück; aber auch die neueste Zeit bietet ihm willkommene Stoffe. Sehr stimmungsvoll ist das Gedicht „Langensalza“ auf den 27. Juni 1866. Die Erinnerung an den blinden König Johann von Böhmen, der sich bei Crecy 1346 aufs Roß binden ließ und so in die Feinde stürmte, ist von schlagkräftigster Wirkung. Der blinde König von Hannooer glaubt nach dem Kampfe bei Langensalza des Sieges sicher zu sein. Da redet ihn der Dichter an:

„O König, fürchte des Schicksals Hohn!
Ein Wahn hat dich betrogen;
Wohl siegst du heute, doch morgen schon
Irrst du als Flüchtling ohne Thron,
Bist rings von Feinden umzogen.

Von König Johann, dem Kaisersproß,
Dem blinden, wohl hörtest du Kunde;
Er ließ sich binden aufs hohe Roß,
Stob muthig in rasender Feinde Troß
Und suchte die Todeswunde.

Die tausendjährige Herrlichkeit
Der Welfen, wie bricht sie in Scherben!
Verbanne die Hoffnung fern und weit,
Wirf gleich Johann dich in den Streit
Und stirb wie Helden sterben!

Sehr schwunghaft sind auch die drei ersten Strophen des Gedichts „Die Rosse von Mars la Tour“:

„Der Kampf ist geendet, es nahet die Nacht,
0Es flammen die Dörfer im Kreise,
Da schmettert das Horn mit gellender Macht
Und ruft aus der wilden, der grausigen Schlacht
0Die Streiter mit mahnender Weise.

Erst Stille ringsum, dann dumpf und schwer
0Hört man den Boden erdröhnen,
Und wild über Leichen und blutige Wehr
Braust her von Rossen ein wieherndes Heer,
0Gelockt von des Hornrufs Tönen.

Es lodert ihr Auge in feurigem Brand,
0Noch sprühen die Nüstern vom Kampfe,
Sie stehen gereiht und stampfen den Sand,
Doch, die sie am Morgen noch lenkte, die Hand,
0Starr ward sie im Todeskampfe.

     


Kaiser Neros Tod. (Zu dem Bilde S. 152 u. 153.) An den Namen Neros knüpft sich die Erinnerung an die entsetzlichsten Ausbrüche des Cäsarenwahnsinns. Gemahlin, Mutter, alle die, welche ihm einst näher gestanden hatten, Verwandte, Lehrer und Freunde hat der grausame Tyrann ermorden lassen, und man traute ihm zu, er habe, um sich das Schauspiel des brennenden Trojas zu verschaffen, die Stadt Rom anzünden lassen. Aber Nero machte die Christen für den furchtbaren Brand verantwortlich, um die Wuth des Volkes von sich ab auf diese zu lenken, und die angeblichen Verbrecher verfielen dem schauerlichen Lose, als lebendige Fackeln ein Spiel im Cirkus zu beleuchten. Und was die Grausamkeit ihm noch von Menschenwürde ließ, das zerstörte die läppische Eitelkeit des kaiserlichen Sängers und Schauspielers. Endlich wurde das römische Volk der Gewaltthaten müde, es empörte sich wider den Imperator, die Legionen riefen Galba zum Kaiser aus und der Senat erklärte Nero für einen Feind des Vaterlandes. Von allen, auch von seinen vertrauten Spießgesellen verlassen, mußte Nero fliehen und eilte nach dem Landhaus eines seiner Freigelassenen. Kaum war er in dem schmutzigen Vorflur angekommen, als er Huftritte vernahm – seine Verfolger nahten. Nero erhob den Dolch, um sich den Tod zu geben; doch der Anblick des Mordstahles machte den Feigling erzittern, der Freigelassene mußte ihm die traurige Aufgabe abnehmen, und mit dem Rufe: „Welch ein Künstler stirbt in mir!“ stürzte der einstige Kaiser auf die kalten Steinfliesen. Die Häscher fanden einen Sterbenden.

Dieser Augenblick ist es, den der Maler dargestellt hat. Der Freigelassene ist neben dem Kaiser niedergesunken und forscht in den verzerrten Zügen nach dem entfliehenden Leben. Der Mann, der wie zusammengebrochen unter der Wucht des Schrecknisses abseits kauert, ist der Vater des Freigelassenen. Nur mühsam kann der römische Krieger, der zuerst eingedrungen ist, das nachdrängende Volk zurückhalten, welches das Entsetzliche schauen will, Staunen und grimmige Freude in seinen Mienen verrathend. In der Ferne werden Pferdeköpfe sichtbar: es sind die Reiter des Senats, die den Flüchtling aufjagen sollten aus seinem Schlupfwinkel. Der noch jugendliche Düsseldorfer Maler, E. Kaempffer, hat für das Bild „Kaiser Neros Tod“ den Preis der Wetterstiftung für die beste Handzeichnung, ein Stipendium für eine Reise nach Italien, erhalten.




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