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verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Poststempel ‚Malchin‘, da wußte ich freilich gleich, was der Brief enthielte, leider bestätigte sich meine bange Befürchtung. Also, sie ist zur Ruhe gegangen, diese alte, liebe, brave, rastlos thätige Frau! Es ist traurig für die, die ihr näher angehört haben, auch für die, die sie näher gekannt haben; aber es ist ein Trost, überzeugt zu sein, daß sie mit dem Gefühl gestorben sein muß, daß ihr Leben kein unnützes gewesen ist, daß sie auf ihrem zum Theil sehr schweren Lebenswege manchen Schweißtropfen auf der Stirn, manche Thräne in dem Auge ihrer Mitmenschen getrocknet hat. Sie ruhe in Frieden! Und das wird sie; sie ist jetzt wieder mit ihrer kleinen Helene[1] vereint, und wie die Seligen dort oben miteinander in Friede und Freude verkehren, davon haben wir hier unten keinen Begriff, können nur zu Gott wünschen und hoffen, daß uns einmal eine ähnliche Statt bereitet werden möge.

Luise würde gewiß einige Worte den meinigen hinzugefügt haben; aber die gestern Abend erhaltene Trauernachricht hat sie so sehr erregt, daß sie die Nacht schlaflos hingebracht hat und mit ihren alten Kopfschmerzen erwacht ist. So ist denn allenthalben Kummer und Elend in dieser trauervollen Welt, und wenn auch der liebe Herrgott heute seine Sonne wieder hell und warm nach dreitägigem gelinden Frost über unserer Erde scheinen läßt, so läßt mich doch die Erinnerung an die zeitigen Frühjahre von 46 und 48 ein böses Jahr befürchten. Bei uns ist der Winter ungemein milde, in meinem Garten blühen die Blumen, und noch 6 bis 7 solche Tage, dann blüht schon ein Birnbaum bei mir.

Nun lebt wohl, Fritz und Marie! Gott tröste Euch!

 Euer Fritz Reuter.“




Im Garten der Villa Reuter standen die Blumen im köstlichsten Schmucke und sandten ihren Duft empor zu dem von Clematis umrankten Balkon des Hauses. Drinnen aber lag ein Schwerkranker, der im Nahen des Todes die Worte „Friede, Friede, Friede!“ flüsterte, als fühlte er, wie der Friede sich auf ihn herabsenkte, und der dann sich an die treue Gefährtin in Glück und Leid wandte mit den letzten bittenden Worten: „Luising, lulle mich in Schlaf!“ – Es war am 12. Juli 1874, als der Dichter entschlief[2], der „mit jedem Pulsschlage seines braven Herzens fest in seinem Volke wurzelte“, dessen Herz für alles Edle und Gute so warm schlug und der mit Gaben so reich begnadet war wie der Besten Einer. „Die Stille des Todes war eingekehrt in das Haus, welches der Geschiedene sich vor noch nicht zehn Jahren so schön erbaut, in welchem sein Mund so manches heitere Wort gesprochen, in dem er so manchem Freunde die Hand gedrückt.“




Mariettas Ideal.

Ein Geschichtchen aus dem neapolitanischen Volksleben von H. Rosenthal-Bonin.

Marietta Polli stand an der Ecke einer Seitenstraße, die vom Toledo, der belebtesten Verkehrsader der Stadt Neapel, zum Largo Mercatello führt, an ihrem rohgezimmerten hölzernen Tischlein und sang zur Guitarre, denn sie war Straßensängerin von Beruf. Ihre Besitzthümer waren der unangestrichene Tisch, eine irdene blaugeblümte Salatschale darauf, in welche die Vorübergehenden das Geld hineinlegten, und ihre Guitarre.

Jeden Morgen um sieben Uhr kam Marietta mit ihrem Tisch an, stellte ihn an ihrem „Stand“ auf, setzte die leere Schale neben sich, ergriff die Guitarre und sang bis acht Uhr fromme Lieder, von acht bis Mittag ernste Opernarien, von Mittag bis zur Dämmerung nationale Liebescanzonen und dann bis elf Uhr nachts „gemischtes Repertoire“.

Ward es dunkel, so stand ein Oelnachtlämpchcn mit rothem Glase neben ihrer Schale.

Pünktlich um elf Uhr nachts hängte Marietta die Guitarre über die Schulter, löschte das Licht aus, schüttete ihr Geld in die Tasche, barg das Lämpchen auf einer Steinverzierung des Hauses über ihrem „Stand“, erhob den Tisch über den Kopf und wanderte so davon. Ihr Nachtlager hatte sie in einem abends geschlossenen Hausflur, neben einer Flickschusterwerkstatt, die hier in einem kleinen Holzverschlage eingerichtet war.

Marietta hatte auch Familie, ihre Mutter ernährte sich von dem Verkaufe von Taschentüchern, Operngläsern, Cigarrentaschen, Brillen und ähnlichen Dingen, welche ihre beiden Knaben aus den Taschen Fremder und Einheimischer stahlen. Frau Polli verstand ihr Geschäft und die Buben waren fleißig und geschickt.

Es ging ihnen leidlich, wenn auch hier und da Hungertage vorkamen. Jede Woche einmal traf die Familie an der Villa reale, dem berühmten neapolitanischen Promenadengarten am Meere, zusammen, zur Zeit, wenn die Musik spielte. Dann spendete Marietta jedem der Ihrigen eine Orange und einige geröstete Kastanien und gab ihrer Mutter ein paar Soldi – darauf ging man wieder auseinander. Die Buben schliefen in Kisten oder Körben ausladender Schiffe am Hafen. Mittags trafen sie ihre Mutter an einer Maccaroniküche an der Molostraße, lieferten ihre „Waare“ ab und nun wurde geschmaust: Maccaroni in Oel mit Goldäpfelmus, gebratene Fische für – fünfzig Centesimi – und ging es ihnen gut, so durften auch sechzig, siebzig draufgehen für alle, danach ging man wieder ans Geschäft. So lebte die Familie Polli in neapolitanischer Art – recht und schlecht von dem Gebrauch ihrer Talente.

Marietta galt als die vornehmste der Familie, denn sie kleidete sich nett, hatte es zu einer sicheren Schlafstelle gebracht und verdiente viel – die Brüder hatten nachgerechnet, daß sie oft drei Lire den Tag einnahm. Wo sie „den Haufen“ Geld hinbrachte, diese Frage beschäftigte Mutter und Söhne viel; jedoch nur in bitteren Nothlagen wandte man sich an Marietta, und dann gab diese zwar nicht reichlich, aber doch ganz anständig.

Marietta war sehr hübsch, ihr Vater war ein Römer gewesen und von diesem hatte sie die stattliche Figur, die breite

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verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1890, Seite 208. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_208.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)
  1. Ihre Enkelin Helene Rust, von der sie lange gepflegt worden und die vor kurzem gestorben war.
  2. Ueber die letzten Stunden Reuters berichtet Friedrich Friedrich im Jahrgang 1874 der „Gartenlaube“ (S. 498) in dem Artikel „Der Heimgang eines Dichters“.