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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Halbheft 8.   1890.
Die Gartenlaube.


Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Jahrgang 1890.      Erscheint in Halbheften à 25 Pf. alle 12–14 Tage, in Heften à 50 Pf. alle 3–4 Wochen vom 1. Januar bis 31. Dezember.


Madonna im Rosenhag.

Roman von Reinhold Ortmann.

(Fortsetzung.)

Als Wolfgang draußen auf dem halbdunklen Gange vor Mariens Zimmer ein paar Schritte gethan hatte, huschte ihm eine kleine, schattenhafte Frauengestalt – dieselbe, die ihm vorhin auf sein Klingeln geöffnet hatte – über den Weg. Es schien fast, als habe sie sich in irgend einem Winkel verborgen gehalten, um die Beendigung seines Besuchs bei Fräulein von Brenckendorf abzuwarten.

„Guten Abend, Madame!“ sagte Wolfgang, vor ihr stehen bleibend, „darf ich fragen, ob Sie die Vermietherin dieser Zimmer sind?“

„Ich habe die Ehre!“ klang es von einer hohen, dünnen Stimme etwas spitz zurück. „Aber nicht Madame, sondern Fräulein, wenn ich bitten darf – Fräulein Engelhardt!“

„Verzeihung!“ erwiderte er mit einem Anflug von treuherzigem Humor. „Es ist hier so finster, daß Sie den Irrthum vielleicht entschuldbar finden werden. Also, mein verehrtes Fräulein Engelhardt, wenn Sie die Vermietherin dieser höchst reizenden Zimmer sind, so ist es für Sie vielleicht von Wichtigkeit, zu erfahren, daß ich nicht etwa ein Freund oder Verehrer, sondern der leibliche Bruder des Fräuleins Marie von Brenckendorf bin. Sie werden, wie ich hoffe, unter diesen Umständen in meinem späten Besuch nicht länger etwas Bedenkliches erblicken.“

Fräulein Engelhardt war ein wenig beschämt. Dieser feine Herr hatte also mit einem einzigen Blick durchschaut, daß es ihre Absicht gewesen war, zu horchen und zu kundschaften. Und sie verbesserte ihre Lage nicht, indem sie sich in merklicher Verwirrung zu entschuldigen versuchte.

„Sie werden begreifen, mein Herr, daß ein allein stehendes Mädchen, welches wie ich darauf angewiesen ist, sein Brot durch Zimmervermiethen zu erwerben, mit besonderer Strenge auf die Bewahrung von Anstand und Sitte halten muß und keine zweifelhaften Elemente unter seinem Dache dulden darf!“

„Gewiß!“ versetzte er mit Nachdruck. „Und eben weil ich dies vollkommen begreife, möchte ich Ihnen rathen, dem Herrn Hudetz so bald als möglich das Quartier zu kündigen. Oder zählt dieser Herr nicht zu Ihren Miethern?“

„Freilich! Seit vierzehn Tagen! – Aber wie Sie mich erschrecken! – Hat es denn etwas mit ihm auf sich?“

„Ich kenne ihn nicht besser, als man jemand in etwa dreißig Sekunden kennen lernen kann; aber er sieht aus, als könnten diejenigen, welche sich mit ihm zu schaffen machen, recht unerfreuliche Ueberraschungen erleben.“

„Ach, Du lieber Himmel – Vielleicht ist er gar ein Mörder! Und ich habe ihn noch nicht einmal bei der Revierpolizei angemeldet!“

„Nun, für einen Mörder halte ich ihn gerade nicht! Aber die vorgeschriebene Meldung sollten Sie trotzdem in Ihrem eigenen Interesse nicht unterlassen!“

„Er wußte mich ja immer daran zu verhindern. Seit vierzehn Tagen erwartet er stündlich das Eintreffen seiner Papiere.“

Reichskanzler Georg Leo von Caprivi.
Nach einer Photographie von W. Höffert, Hofphotograph in Hannover.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 229. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_229.jpg&oldid=- (Version vom 5.5.2021)