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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Ueber den Ocean.
Bilder von einem deutschen Schnelldampfer von Gustav Kopal. Mit Zeichnungen von Alex. Kircher.

Haben Sie gehört? Die ,Columbia‘ hat den besten Record! In 6 Tagen 7 Stunden 48 Minuten über den Oecan, noch dazu auf der ersten Reise; beste Fahrt und beste maiden-trip, die je gemacht worden sind, und die Engländer glänzend geschlagen – Hurrah für die ,Columbia‘!“

So ungefähr verbreitete sich, in jenem seltsamen Gemisch von Deutsch und Englisch, wie es der seemännischen Sprache eigen ist, am 27. Juli 1889 in Hamburg von Mund zu Mund lauffeuerartig eine frohe Kunde, welche die gewöhnlich so schwerbeweglichen Hansestädter ganz aus dem Häuschen brachte. Alles jubelte, nicht nur die „Lüüd vun de Waterkant“, die Leute von der Wasserseite, d. h. die unmittelbar am Schiffahrtsverkehr betheiligte Bevölkerung, und die Inhaber von Packetfahrtaktien, sondern auch ein jeder, der nur irgendwie vaterländischer Regungen fähig war.

In der That dürfen die Leistungen der beiden neuen Hamburgischen Doppelschraubenschnelldampfer, der Schwesterschiffe „Augusta Viktoria“ und „Columbia“, als ein sehr bemerkenswerther Fortschritt im neuzeitlichen Verkehrswesen betrachtet werden. Schon die erstere schlug den bisherigen besten Leistungsaufweis (sportsmännisch „Record“) der britischen Marine; nun hatte gar der andere Zwilling das unerhörte Glück, auf der Erstlingsfahrt, der „maiden-trip“, von welcher wegen der noch nicht eingearbeiteten Maschinerie gar nichts Besonderes erwartet wird, ganz Ungeahntes zu leisten: in der obenerwähnten Zeit von den Scilly-Inseln nach Amerika, in 6 Tagen 20 Stunden 18 Minuten von Southampton nach New-York – das war überhaupt noch nicht dagewesen.

Es handelt sich hier nicht etwa, wie es ängstlichen „Binnenländern“ vielleicht schaudererregend vorschweben dürfte, um ein tolles Wettfahren im Geiste der von Gerstäcker und anderen so lebhaft geschilderten Dampferrennen auf dem Mississippi. Schon seit zwölf Jahren hatten die Engländer ihre Fahrten mit sog. Schnelldampfern gemacht, und erst, als die Erfahrung lehrte, daß die raschen Reisen ihrer kürzeren Dauer halber die Gefahrensumme nicht vermehrten, sondern verminderten, entschloß sich die „Hamburg-Amerikanische Packetfahrt Akiengesellschaft“ zu dem wohlüberlegten Wagniß, auch ihrerseits fast neun Millionen Mark auf den Bau zweier Dampfer zu verwenden, die an Schnelligkeit und zugleich Sicherheit, sowie an Bequemlichkeit alles Vorhandene in Schatten stellen sollten. Ebenso nur nach reiflichem Erwägen entschied man sich für das erst auf wenigen ausländischen Fahrzeugen erprobte Doppelschraubensystem.

Schiffe mit zwei Schrauben hat es schon früher gegeben, indessen wurden diese von einer einzigen Maschine getrieben. Der große Fortschritt des neuen Systems aber liegt darin, daß bei ihm beide Schrauben je von ihrer eigenen Maschine bewegt werden. Nun liegt aber eine der Gefahren, denen Seedampfer ausgesetzt sind, in dem Unbrauchbarwerden der Maschine, welche den Koloß fast hilflos dem Spiel der Wellen preisgiebt. Das Doppelschraubensystem, wie es nebenbei bemerkt am 1. August 1888 von der englischen „Inman-Linie“ zuerst an einem New-York-Dampfer erprobt worden ist, beseitigt jene Gefahr fast völlig. Auch kann das Schiff dadurch, daß man beide Schrauben in entgegengesetzter Richtung arbeiten läßt, viel geschwinder als mit dem gewöhnlichen Mittel des Steuers, fast um seine eigene Achse, gedreht werden, und das ist unter Umständen sehr schätzbar.

Rettungsboot klar zum Aussetzen.

Was die Schnelligkeit betrifft, so ist Außerordentliches erreicht worden. Guter alter Fulton, der Du nach unsäglichen Mühen, allem Hohn trotzend, endlich im August 1807 den ersten Dampfer „Clermont“ der staunenden Mitwelt auf den Stromwellen des Hudson vorführen konntest, was würdest Du für Augen gemacht haben, wenn ein Prophet Dir geweissagt hätte, daß die Strecke, welche zu durchfahren der „Clermont“ damals 30 Stunden brauchte, jetzt in 3 Stunden zurückgelegt werden würde! Und selbst noch in neuerer Zeit, bis zur eigentlichen Einführung des Schnelldampferbetriebes 1880, galten 13 bis 14 „Knoten“, d. i. Seemeilen[1] in der Stunde, als eine Glanzleistung der Technik. Die „Columbia“ dagegen erzielte bei der Probefahrt 19, 19½ bis fast 21 Knoten; die „Augusta Viktoria“ durchlief am sechsten Tage der Erstlingsreise trotz wenig günstigen Seeganges 464 Seemeilen, das sind 19½ Knoten.

Hier möge bemerkt werden, daß in den Schnelldampfern die der Mehrzahl der Besucher riesenhaft erscheinenden Maschinen, deren 8 große Kessel 10160 Centner wiegen und während der Reise hin und zurück je 240 Eisenbahnwagenladungen Kohlen verzehren, demjenigen

  1. 1 Seemeile = 1855 Meter.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 237. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_237.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)