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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Halbheft 11.   1890.
Die Gartenlaube.


Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Jahrgang 1890.      Erscheint in Halbheften à 25 Pf. alle 12–14 Tage, in Heften à 50 Pf. alle 3–4 Wochen vom 1. Januar bis 31. Dezember.


Madonna im Rosenhag.
Roman von Reinhold Ortmann.
(Fortsetzung.)


Der Zufall war Hudetz günstiger, als er es bei einer unbefangenen und nüchternen Abwägung aller Umstände hätte erwarten können. Wie er nach einem längeren Streifzug durch die Räume des Museums in den Oberlichtsaal zurückkehrte und einen vorsichtigen Späherblick zu dem Kabinett der Madonna im Rosenhag hinüberfliegen ließ, sah er mit einer Empfindung namenloser Freude, daß es ganz leer war. Das junge Pärchen, welches vorhin dort gestanden hatte, mochte seine geheimnißvolle Zwiesprache in irgend einem anderen Winkel fortsetzen – der Museumsdiener bemühte sich an der entgegengesetzten Seite des Saales, einem heftig gestikulirenden Herrn, der beständig auf seinen aufgeschlagenen Bädeker deutete, irgend etwas begreiflich zu machen, und die Malerin wischte mit hoch gerötheten Wangen in dem Antlitz ihres verunglückten Andreas herum.

Es war seltsam, daß Hudetz vor dieser harmlos aussehenden Dame bei weitem die größte Furcht empfand. Er konnte sich nicht viel Zeit lassen zu ihrer Beobachtung, aber nichtsdestoweniger prägte sich jede Einzelheit ihrer Erscheinung, von dem schlicht gescheitelten, stumpf braunen Haar bis herab zu den Falbeln an ihrem einfachen, schwarzen Wollkleide, unauslöschlich in sein Gedächtniß ein. Er hatte noch nie einem Menschen etwas Schlimmes gewünscht, jetzt aber durchzuckte es ihn wie ein inbrünstiges Verlangen: wenn sie doch vom Schlage getroffen würde und todt hinunter stürzte von ihrem Tische! Jetzt begriff er mit einem Mal, wie es möglich war, daß ein Mensch zum Mörder werden konnte.

Doch er hatte noch Besinnung genug, um zu erkennen, daß er auf den Eintritt eines so unwahrscheinlichen Ereignisses unmöglich warten durfte. Noch einmal warf er einen raschen, alles erfassenden Blick rings umher; dann ging er schnurstracks quer durch den Saal auf das Ziel seiner Wünsche los. Es war sicher, daß niemand auf ihn achtete. Er hätte einfach nach dem Bilde greifen und es herunter nehmen können; aber in einer jener sonderbaren Anwandlungen, die vielleicht schon die Ausführung manches Verbrechens noch im letzten Augenblick verhindert haben, fiel es ihm als eine vermeintliche Nothwendigkeit ein, sich zu überzeugen, ob die Gemälde denn auch wirklich nur lose an den Wänden hingen. Und er faßte nicht nach der winzigen „Madonna im Rosenhag“, sondern nach dem Christuskopf desselben Meisters, an dessen Entwendung er schon um seiner Größe willen unmöglich hätte denken können. Er rückte, er hob und rüttelte – aber der Rahmen bewegte sich nicht um eines Haares Breite von seinem Platze – es war kein Zweifel, daß das Gemälde durch Schrauben an

Abenteuer auf dem Lande.
Nach einem Gemälde von H. v. Stegmann-Stein.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 325. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_325.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)