Seite:Die Gartenlaube (1890) 354.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Bazeilles viele auf Aeckern und in Gärten liegende Verwundete, die wegen Ueberfüllung der wenigen belegbaren Gebäulichkeiten nicht mehr untergebracht werden konnten, untersuchte, mit Verbänden versah, dann deren Verbringung an gesichertere Orte veranstaltete und unter den erschwerendsten Umständen die nöthigen Operationen vornahm. Die gleiche aufopfernde Thätigkeit entwickelte Nußbaum bei und nach den Kämpfen um Orleans. „Den Tapfersten der Tapfern“ nannte einst Napoleon I. seinen obersten Wundarzt Larrey; auch Nußbaum war eines solchen Ehrentitels würdig.

Vom Kriegsschauplatz zurückgekehrt, setzte Nußbaum seine Fürsorge für die in seine Privatheilanstalt aufgenommenen Schwerverwundeten fort; noch vor wenigen Jahren haben einige daselbst unentgeltlich in Pflege und Behandlung gestanden.

Daß Nußbaum unermüdlich an der Vervollkommnung seiner Wissenschaft arbeitete und alle Fortschritte derselben kennen zu lernen trachtete, darf uns bei einem Manne wie er nicht wunder nehmen. Aus seinen vielfachen wissenschaftlichen Forschungen und den Ergebnissen seiner praktischen Thätigkeit, die er in fruchtbarster Weise litterarisch verwerthete, entstanden über hundert Abhandlungen und Monographien, welche die verschiedensten Zweige der medizinischen Wissenschaft betreffen; viele Verbesserungen von Heilverfahren und Operationsmethoden hat darin Nußbaums schöpferischer Geist zu Tage gefördert, Erfindungen, die zum großen Theile für den Stand der ärztlichen Kunst bahnbrechend geworden sind.

Ein großes Verdienst hat sich Nußbaum als einer der ersten festländischen Anhänger und Verfechter der von dem Engländer Lister ersonnenen „antiseptischen Wundbehandlung“ erworben; trotz der vielen dagegen erhobenen Bedenken hat er diese Methode in richtiger Erfassung ihres unschätzbaren Werthes am 1. Januar 1875 auf eigene Kosten in ausgedehntestem Maße in seiner Klinik eingeführt; der Erfolg war geradezu verblüffend. Operationen, deren Ausführung ehedem wegen ihrer Lebensgefährlichkeit für tollkühn oder gar für verbrecherisch gegolten hätte, konnten nunmehr gefahrlos vorgenommen werden, die Wundkrankheiten wurden fast vollständig gebannt, die Sterblichkeitsziffer sank bedeutend, der Heilungsprozeß ward wesentlich beschleunigt, sodaß sich die Aufnahmefähigkeit der Krankenhäuser entsprechend steigerte. Nußbaum war es auch, der sofort den hieraus entspringenden gewaltigen Nutzen für die Behandlung der im Felde Verwundeten erkannte.

Zur rascheren Verbreitung des antiseptischen Verfahrens, welches heute zum Gemeingute aller Aerzte geworden ist, hat Nußbaum wesentlich beigetragen, nicht nur durch seine klinischen Vorträge, sondern auch durch eine ganze Reihe von Schriften, darunter das prächtige Buch „Leitfaden für antiseptische Wundbehandlung“, welches bereits in fünfter Auflage erschienen und in fünf Sprachen übersetzt worden ist.

Als Lister im gleichen Jahre, in dem sein Verfahren zum ersten Male im Krankenhause zu München in Anwendung gekommen war, diese Stadt besuchte, wurde zu Ehren dieses Mannes eine Festversammlung veranstaltet, und Nußbaum war es, der in einer glänzenden Rede den hochverdienten Gast feierte.

Dem Bestreben, gemeinnützig zu wirken, entstammen Nußbaums mit größtem Beifall aufgenommene, echt volksthümliche Vorträge, die er in Volksbildungs- und in anderen Vereinen gehalten hat, sowie seine sonstigen Veröffentlichungen über Gesundheitspflege und verwandte wissenschaftliche Stoffe, Aufsätze, die zum Theil auch in der „Gartenlaube“ erschienen sind.

Die von ihm verfaßte, bereits in mehreren Auflagen erschienene „Kleine Hausapotheke“ ist ein wahres Schatzkästlein goldener Lehren der Gesundheitspflege; vor kurzem ist sogar in Amerika eine Ausgabe davon veranstaltet worden, wodurch das gediegene, auf neuester wissenschaftlicher Grundlage beruhende Werk auch über dem Meere gar vielen zu Nutz und Frommen dienen wird.

Alle seine Schriften zeichnen sich durch Schärfe der Auffassung, Klarheit und Deutlichkeit der Darstellung und einen bei aller Einfachheit reizvoll schönen, fesselnden Stil aus.

An Auszeichnungen und öffentlichen Ehrungen der verschiedensten Art hat es Nußbaum nicht gefehlt. Den höchsten Lohn jedoch sieht er in der Liebe und Verehrung seiner Mitbürger, seiner Amtsgenossen und Schüler und in der Dankbarkeit der vielen Tausende, denen er Helfer und Retter geworden ist.

Und sie alle sind es, die heute mit uns das gütige Schicksal preisen, welches diesen seltenen Mann von schwerem Krankenlager wieder erstehen ließ zum Heile der Wissenschaft und zum Segen seiner Mitmenschen; die mit uns bewundernd aufschauen zu dem Menschenfreunde, der stets sein ganzes Glück in der Beglückung anderer gesucht und gefunden hat. M. N.     




Wieder einmal der Kuckuck.

Mitgetheilt von C. Störmer.

Beobachtungen über vereinzelt vorkommendes Selbstbrüten des Kuckucks sind in früheren Jahren schon verschiedentlich zur Veröffentlichung gebracht worden; aber diese Mittheilungen drangen über einen engeren Kreis von Fachgelehrten nicht hinaus, da ihre Zuverlässigkeit von anerkannten Gewährsmännern auf dem Gebiete der Vogelkunde in Zweifel gezogen wurde. Im Mai 1888 hatte nun der bekannte Naturforscher Oberförster Adolf Müller das seltene Glück, ein brütendes Kuckucksweibchen während der ganzen Dauer des Brutgeschäftes zu beobachten. Müller hat seinerzeit in der „Gartenlaube“ (1888, S. 413) zuerst über seine Entdeckung Bericht erstattet. Beim Lesen seines Aufsatzes drängten sich mir nun unwillkürlich folgende Fragen auf: „Giebt es einzelne Individuen dieser Vogelart, welche, einem mächtigen Bruttriebe nachgebend, jedes Jahr selbst brüten? Oder besorgt der Kuckuck nur unter dem Zwang äußerer Umstände das Geschäft des Brütens selbst und huldigt zu anderen Zeiten wieder der bequemen Weise seiner Artgenossen?“

Obwohl ich mir sagen mußte, daß es schwerlich jemals gelingen dürfte, unanfechtbare Beweise für die eine oder andere Annahme beizubringen, so war ich doch geneigt, die erste Frage zu bejahen, also als Grund des Selbstbrütens einen individuellen Bruttrieb anzunehmen. Man hat bereits in den Nestern von mehr als 70 Vogelarten Kuckuckseier entdeckt. Der Fall, daß der Kuckuck unter Umständen kein fremdes Gelege, auf dem er sein eigenes reifes Ei ablegen könnte, zu finden vermöchte, dürfte also wohl kaum eintreten; ebensowenig habe ich früher beobachtet oder gelesen, daß sich Nistvögel dem Mißbrauch ihres Nestes seitens desselben mit Erfolg widersetzten. Während des letzten Sommers aber hatte ich Gelegenheit, einen Fall zu beobachten, in welchem letzteres thatsächlich stattfand. Da ich der Ansicht bin, daß das Dunkel, in welches das Leben und Weben des Kuckucks noch immer gehüllt ist, in absehbarer Zeit nur dann gelichtet werden kann, wenn sich neben berufenen Forschern auf dem Gebiete der Thierkunde auch Naturfreunde an der Lösung dieser Frage betheiligen, so bringe ich den erwähnten Vorgang hiermit zur öffentlichen Kenntniß.

Am Nachmittage des 4. Juni vergangenen Jahres machte ich mit meiner Frau einen Spaziergang nach einem in der Gemarkung von Hagen (Westfalen) gelegenen Walde. Wir durchschritten zunächst einen jungen Eichenbestand, der wie im vorangegangenen so auch in diesem Sommer durch die Raupe des Eichenwicklers stark geschädigt wurde. Hier hielten sich seit Wochen einige Kuckucke auf, und ich hatte dieselben durch Nachahmen ihres Rufes und des sog. Kuckucksgelächters zu verschiedenen Malen in meine Nähe gelockt. Ich machte auch an diesem Tage einen Versuch, der aber erfolglos blieb. Wir kamen bald auf eine abschüssige Lichtung. Vor uns lag niedriges Buchen- und Erlengestrüpp, im Rücken hatten wir den erwähnten Eichenbestand; rechts grenzte die Lichtung an einen Wiesengrund, während die letzterem gegenüberliegende Seite mit jungen Buchen und Birken bewachsen war. Plötzlich wurde durch lautes Vogelgeschrei meine Aufmerksamkeit erregt, und ich gewahrte an der höchsten Stelle der Lichtung, am Rande des Buchen- und Birkenbestandes, in einer Entfernung von etwa 60 Metern einen größeren und zwei kleinere Vögel. Da ich glaubte, dieselben würden alsbald im nahen Eichenwalde verschwinden, so beeilte ich mich, meinen Feldstecher, den ich bei meinen Ausflügen in den Wald fast immer bei mir trage, nach der betreffenden Stelle zu richten. Doch meine Besorgniß war grundlos; die Vögel hielten sich hin- und herkreisend längere Zeit auf der Lichtung. Hatte ich im ersten Augenblick den größeren derselben für einen die kleineren verfolgenden Sperber gehalten, so erkannte ich in demselben jetzt deutlich einen Kuckuck und ebenso, daß er nicht der Verfolger, sondern der Verfolgte war. Obwohl sich die Farbe seines Gefieders vor meinem Glase sehr matt darstellte, so war ich doch noch nicht überzeugt, daß ich in demselben ein weibliches Individuum vor mir hatte. Nach einer Weile fußte der Kuckuck auf einer jungen Eiche, hart am Rande der Lichtung, und das Geschrei der kleinen Vögel verstummte während dieser Ruhepause. Auch auf die Gefahr hin, die Gruppe zu verscheuchen, näherte ich mich eiligen Schrittes. Doch das Gefürchtete trat nicht ein. Der Kuckuck, den ich jetzt mit bloßem Auge ganz deutlich als ein Weibchen erkannte, erhob sich zwar, von den kleinen Vögeln, einem Paar Rothkehlchen, mit zornigem Geschrei eifrig verfolgt, strich aber nicht ins Dickicht ab. Es fiel mir auf, daß sich der Kampfesmuth der Verfolger immer steigerte und ihr Geschrei jedesmal heftiger gellte, wenn der Kuckuck an einer bestimmten Stelle dicht an der Erde hinstrich, und ich konnte deutlich bemerken, wie sie bei dieser Gelegenheit einige Male in sein Gefieder bissen. An dem betreffenden Platze glaubte ich das Rothkehlchennest, in welchem der Kuckuck wahrscheinlich sein reifes Ei abzulegen beabsichtigte, mit einiger Gewißheit vermuthen zu dürfen. Des Kuckucks weit aufgesperrter Schnabel, sowie die Dreistigkeit, mit welcher er, seine sonstige Scheu vergessend, fortwährend so dicht an mir vorbeistrich, daß ich das Rauschen seiner Flügelschläge deutlich hören konnte, schien mir mit Bestimmtheit auf ein solches Vorhaben hinzudeuten. Der Leser kann dasselbe Gebaren bei unsern weiblichen Hausvögeln beobachten, wenn dieselben einen geeigneten Platz zum Ablegen eines nahen Eies suchen. Thatsächlich fand ich denn auch an der erwähnten Stelle unter dem Schutze eines morschen Buchenstumpfes in einer Erdvertiefung das Nest, welches ein Gelege von vier Eiern barg. Letztere erkannte ich an der zart gelblichweihen Färbung, den rothen Spritzen und Punkten und dem Kranze von bräunlichen Flecken am stumpfen Ende als sämmtlich vom Rotkehlchen herstammend. Ich zog mich wieder auf einige Entfernung ins Gebüsch zurück und sah, wie das Kuckucksweibchen noch zwölfmal am Neste vorbeistrich. Doch alle Bemühung, auf dasselbe zu gelangen, scheiterte an der Tapferkeit der Eigenthümer, welche ihren Feind immer wieder in das nahe Dickicht trieben. Die Sonne stand bereits tief am Himmel, als der Kuckuck verschwand. Während der folgenden Zeit besuchte ich fast täglich das Nest. Die Zahl der Eier stieg auf sechs, es befand sich aber unter denselben kein Kuckucksei.

Wenn ich den Vorgang richtig aufgefaßt habe, was ich nicht im mindesten bezweifle, so dürfte das Kuckucksweibchen, dank der Wachsamkeit der kleinen Nistvögel, in vereinzelten Fällen die Nöthigung erfahren, sein reifes Ei in irgend einer Vertiefung des Bodens – auch die Brutstätte

des von Müller beobachteten selbstbrütenden Kuckucks war eine Bodenmulde – ablegen zu müssen. Sollte es in einem solchen Falle nicht unter Umständen sich entschließen, die übrigen Eier beizulegen und das Gelege selbst zu bebrüten? Ferner halte ich auf Grund des geschilderten

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 354. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_354.jpg&oldid=- (Version vom 27.10.2023)