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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)


„Leider! Der arme Tanner! Er war früher Hauslehrer bei einer Familie in der Umgegend, hat aber wegen einer schweren Erkrankung seine Stellung aufgeben müssen. Auf Verwendung meines Verwandten, des Oberforstmeisters, übertrug ich ihm das Ordnen und Aufstellen der Bibliothek meines verstorbenen Gatten, die nach Ostwalden geschafft wurde, denn man hoffte, daß er sich bei dem leichten Amte und in der kräftigen Waldluft vollends erholen würde. Er war so dankbar dafür und erzählte mir noch gestern, wie glücklich seine Mutter darüber sei, daß er, als noch nicht ganz wiederhergestellt, vom Dienste befreit bleibe und nicht in den Krieg zu ziehen brauche. Da überfällt ihn heut morgen ein Blutsturz, und jetzt sagt mir der Arzt, daß der Arme höchstens noch eine Stunde zu leben habe. Es ist furchtbar, wenn ein junges Leben sich so rettungslos verblutet!“

„Und das wird doch in den nächsten Wochen bei Tausenden geschehen!“ rief Egon. „Sie waren also selbst bei dem Sterbenden?“

„Auf seinen Wunsch. Er wußte, wie es mit ihm stand, und da wollte er mich noch einmal sprechen, um mir eine Bitte für seine alte Mutter ans Herz zu legen, die mit ihm ihre einzige Stütze verliert. Ich habe ihn darüber beruhigt, aber das war auch alles, was ich zu thun vermochte.“

Man sah es der jungen Frau an, wie sie der Vorgang an dem Sterbebett erschüttert hatte, und auch Egon empfand ein tiefes Mitgefühl bei der Erzählung.

„Ich komme, um Abschied zu nehmen,“ sagte er nach einer kurzen Stille. „Wir rücken übermorgen aus, und da konnte ich es mir nicht versagen, Sie noch einmal aufzusuchen. Glücklicherweise fand ich Sie noch, denn wie ich höre, wollen auch Sie fort.“

„Ja, nach Berlin, das einsame Ostwalden ist so abgelegen, und in dieser Zeit der fieberhaften Erwartung will man doch möglichst im Mittelpunkte der Nachrichten und Verbindungen sein. Ich habe mich ja auch um einen Bruder zu sorgen, der unter den Fahnen steht!“

Wieder trat eine kurze Pause ein, und der junge Fürst wollte eben an die letzte Bemerkung anknüpfen, um das zur Sprache zu bringen, was ihm am Herzen lag, als ihm Frau von Wallmoden mit einer Frage zuvorkam, die anscheinend gleichgültig und doch mit leise bebender Stimme gestellt wurde.

„Bei Ihrem letzten Besuche waren Sie ja so in Sorge, Durchlaucht, über das Ausbleiben der Nachrichten von Ihrem Freunde. Hat er Ihnen jetzt ein Lebenszeichen gegeben?“

Egon sah zu Boden und der Schatten, der während des Gespräches gewichen war, legte sich wieder schwer und düster über seine Züge.

„Ja!“ erwiderte er kalt. „Rojanow ist wieder in Deutschland.“

„Seit der Kriegserklärung?“

„Allerdings, er kam –“

„Um mit in den Kampf zu ziehen! O, ich wußte es!“

Der Fürst blickte sie in höchster Betroffenheit an.

„Sie wußten das, Excellenz? Ich glaubte, Sie hätten Hartmut nur als Rumänen und nur durch mich gekannt.“

Ueber die Wangen der jungen Frau floß eine dunkle Gluth, sie fühlte es, wie verrätherisch der Ausruf gewesen war, aber sie faßte sich rasch.

„Ich lernte Herrn Rojanow erst im letzten Herbste kennen, als er Ihr Gast in Rodeck war,“ antwortete sie fest; „aber seinen Vater kenne ich seit langen Jahren, und dieser – ich darf wohl annehmen, Durchlaucht, daß Sie alles wissen, was geschehen ist?“

„Ja, jetzt weiß ich es!“ sagte Egon mit schwerer Betonung.

„Nun wohl, Oberst Falkenried war ein naher Freund meines Vaters und verkehrte oft in unserem Hause. Ich hatte freilich nie von einem Sohne gehört und hielt den Oberst für kinderlos, bis zu jener furchtbaren Stunde in Rodeck, am Todestage meines Gatten. Da erfuhr ich die Wahrheit und wurde Zeuge der Begegnung zwischen Vater und Sohn.“

Der junge Fürst athmete auf bei dieser Erklärung, die eine eben erwachende unheilvolle Ahnung wieder verscheuchte.

„Dann begreife ich allerdings Ihre Theilnahme,“ entgegnete er. „Oberst Falkenried ist in der That zu beklagen.“

„Nur er?“ fragte Adelheid, befremdet durch den herben Ton der letzten Worte. „Und Ihr Freund selbst?“

„Ich habe keinen Freund mehr, ich habe ihn verloren!“ rief Egon in leidenschaftlichem Schmerze aus. „Schon was er mir vor zwei Tagen gestand, riß eine tiefe Kluft auf zwischen uns, und was ich jetzt weiß, das trennt uns für immer.“

„Sie urtheilen sehr hart über das Vergehen eines Siebzehnjährigen – er muß ja damals fast noch ein Knabe gewesen sein.“

Es lag ein tiefer Vorwurf in den Worten der jungen Frau, aber der Fürst schüttelte heftig den Kopf.

„Ich spreche nicht von seiner Flucht und seinem Wortbruch, obgleich sie schwer genug wiegen bei dem Sohne eines Offiziers, aber was ich gestern erfuhr – ich sehe, Sie wissen das Schlimmste noch nicht, gnädige Frau, und wie sollten Sie es auch wissen! Erlassen Sie mir diesen Bericht.“

Adelheid war bleich geworden und ihre Augen hafteten starr und angstvoll auf dem Sprechenden.

(Fortsetzung folgt.)




„Rembrandt als Erzieher.“
Ideen eines niederdeutschen Idealisten.
Von Johannes Proelß.


„Rembrandt als Erzieher“ lautet der Titel eines Buchs, das, vor kurzem erst erschienen, schon viel von sich reden gemacht und – obgleich nach Gedankengang und Vortrag keine leichte Lektüre – bereits die neunte Auflage erlebt hat.[1] Ein Buch über Rembrandt, gelehrte Untersuchungen uber einen allbekannten Maler – und eine solche Wirkung, da muß ein allgemeines zeitgenössisches Interesse im Spiele sein. Wohl ist der Titel geeignet, Neugierde bei litterarischen Feinschmeckern zu erwecken, er klingt räthselhaft, Ueberraschung verheißend; aber das genügt nicht zur Erklärung der überraschenden Theilnahme, die das Buch findet. „Rembrandt als Erzieher“ und – „von einem Deutschen“? Was soll diese Betonung einer Selbstverständlichkeit, und wieso ist Rembrandt ein Erzieher? Ein Maler ist kein Pädagog. Von Dichtern läßt sich das eher sagen. RousseauGoetheDefoe – sie haben pädagogische Romane geschrieben; Herder, Schiller, Lessing stellten Ziele auf für die Erziehung des Menschengeschlechts. Und in übertragenem Sinne wirkt jeder Dichter erzieherisch. Aber ein Maler? Haben wir nicht gelernt, ein guter Maler werde nicht Gedanken und Ideen darstellen, sondern Bilder schaffen, die unmittelbar ein Stück Leben wiedergeben, das er mit besonderer Empfindung seines malerischen Werthes erkannt und erschaut hat? Und ist nicht Rembrandt gerade solch ein Maler? Gewiß – sein Beispiel, die Art, wie er aufgefaßt und gemalt hat, sie können auf neue Künstlergenerationen belehrend und befeuernd wirken, wie dies allbereits in verschiedenster Weise, namentlich während des letzten Jahrhunderts, geschehen ist. Solch vorbildliches Wirken eines alten Meisters ist aber wohl kaum gemeint. Die Erziehung hat nicht die Kunst, sondern das Leben zum Zweck.

Ueberblicken wir Rembrandts Schaffen: die „Anatomie“, die „Nachtwache“, seine lebensvollen Bildnisse, seine realistischen Darstellungen aus der Erdenwallfahrt des Erlösers; erfassen wir diese genialen Gemälde und Radirungen in ihrem innersten Kern, der uns stets etwas eigenthümlich Schönes offenbart als Blüthe eines tiefernsten, ins Wesen der Dinge sich bohrenden Wahrheitsdranges, vielleicht daß hier uns die Lösung des räthselvollen Titelworts wird! Wie er selber uns aus seinem bekanntesten Selbstporträt

  1. „Rembrandt als Erzieher.“ Von einem Deutschen. Leipzig, Verlag von C. L. Hirschfeld. 1890.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 382. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_382.jpg&oldid=- (Version vom 6.5.2021)