Seite:Die Gartenlaube (1890) 419.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Erscheinungen, die seinem Berufskreise am nächsten liegen. Dadurch geht aber der große Vortheil verloren, den uns ein allgemeiner Ueberblick über alle Naturerscheinungen bietet. Naturforscher, welche die Wissenschaft volksthümlich darzustellen suchten, waren darum von jeher bestrebt, das heimische Naturleben im Kreislauf des Jahres in dessen Allgemeinheit der großen Masse der Naturfreunde vorzuführen, und wir verfügen über einige treffliche Werke, welche diesen Zweck erfüllen, wie z. B. die unvergleichlichen „Vier Jahreszeiten“ von Roßmäßler. Bis jetzt fehlte jedoch eine Darstellung dieses anziehenden Stoffes nach den Monaten. Sie ist nicht so leicht zu geben, denn die Natur hält sich nicht immer an die Termine des gedruckten Kalenders: die Jahreszeiten treten bald früher, bald später ein, und die Blüthezeit der Pflanzen, die Wanderzüge der Vögel, die Erscheinungen des Lebens in dem großen Heere der Insekten lassen sich nicht in engen Kalendergrenzen bestimmen. Man muß bei einer solchen Arbeit einen Kompromiß zu schließen suchen zwischen dem freieren Walten der Naturkäfte und den festen Schranken des bürgerlichen Jahres. Daß dies trotz aller Schwierigkeiten möglich ist, beweist uns ein neues Werk von Dr. Karl Ruß „Das heimische Naturleben im Kreislauf des Jahres. Ein Jahrbüch der Natur“ (Berlin, Robert Oppenheim). Es ist sozusagen ein immerwährender Naturkalender, in welchem alles aufgeführt wird, was in unserer Heimath während der einzelnen Monate im Pflanzen- und Thierreich sich ereignet, und in dem auch die menschliche Thätigkeit im Zusammenhang mit der Natur: Jagd, Vogelschutz, Forstwirthschaft, Fischerei, Thierzucht, Gärtnerei etc. berücksichtigt wird. Ein solches Werk ist bis jetzt noch in keiner Litteratur erschienen, und Dr. Karl Ruß ist es gelungen, ein Buch zu schaffen, für das ihm ein jeder Naturfreund dankbar sein muß, und das als echtes Volksbuch in jeder Familie mit Nutzen verwendet werden kann. *     

Vor dem Heirathsvermittlungsbureau. (Zu dem Bilde S. 409.) Soll sie ihn thun, den letzten Schritt über die verhängnißvolle Schwelle? Noch einmal steht das frische, gesunde Bauernmädchen und überlegt – es will ihr doch nicht der richtige Weg scheinen.

Ein hübscher Bursch daheim ist ihr Schatz gewesen, und sie hat ihn gern gehabt, wahr und wahrhaftig. Da aber ist er zu den Soldaten gekommen und sie ist in einen Dienst gegangen – und wie sie ihm aus den Augen war, da hat er sie vergessen und ist heimgekehrt mit einer fremden Braut. Im bitteren Unmuth aber hat die Marie ihm auftrumpfen wollen und ihm zeigen, daß sie sich nichts um ihn und seine Untreue schert und auch wieder einen haben kann, wenn sie einen will. Und so hat sie der leichtsinnigen Person Gehör gegeben, die ihr in einem fort in den Ohren gelegen hat, was sie ihr für einen Schönen und Reichen wüßte: sie solle nur mit ihr kommen zum „Herrn Sekretär“, der werde ihr alles haarfein nachweisen. Die Marie ist ihr gefolgt bis vor die Thür des Bureaus, aber jetzt, im letzten Augenblick, bricht die vernünftige Ueberlegung noch einmal sich Bahn in ihr und – sie schämt sich. Eifrig, mit verführerischem Lächeln lockt die „Agentin“, sie bangt um ihre „Provision“, glaubte sie doch, das vertrauensselige Landkind bereits sicher zu haben! In den wenigen Minuten, bis sie an die Reihe kommt – es ist eben ein Herr drinnen, ein ältlicher Junggeselle, und die heirathslustige Nähterin an der Thür horcht aufmerksam, was er für Angaben zu machen hat über seinen Stand und sein Vermögen – muß es sich entscheiden, wer obsiegt: die glatte Zunge der Verführerin oder der tüchtige Sinn einer unverdorbenen Natur. Hoffen wir, daß es der letztere sei! =     

Eine Eisenbahn unter dem Polarkreise. Hoch im Norden von Schweden, schon jenseit des Polarkreises, findet sich auf unseren Karten der Eisenberg Gellivara verzeichnet. 400 m, nach anderen Angaben 560 bis 580 m hoch und etwa den Raum einer deutschen Geviertmeile einnehmend, harrt hier ein ungeheurer Schatz von reinem Eisenerz der Bergung durch die menschliche Hand. Kein kunstreicher Schacht, kein Stollen ist hierzu erforderlich: das Erz braucht einfach so, wie es zu Tage liegt, abgegraben zu werden. Man hat berechnet, daß die Tonne an Ort und Stelle nur auf etwa 2 Mark zu stehen kommt. Für deutschen Eisenstein zahlt man gegenwärtig etwa 9 bis 14 Mark.

Zur Hebung und Verwerthung jener Schätze hatte eine englische Aktiengesellschaft eine Eisenbahn zu bauen unternommen, die sich in einer Länge von 192 km von dem schwedischen Hafenplatze Lulea an der nördlichsten Ausbuchtung des Bosnischen Meerbusens im Thale des Luleaflusses hinauf vorläufig bis zum Gellivara erstreckt und die Beförderung der Erze vom Fundorte unmittelbar auf die Seeschiffe im großen Maßstabe zu vermitteln bestimmt ist. Es ist beabsichtigt, die „Lulea-Ofotenbahn“ an zwei weiteren nicht minder bedeutenden Erzbergen, dem Kurinavara und dem Luosavara, vorbei über das Kjölengebirge durch norwegisches Gebiet bis zum tief eingebuchteten Ofoten-Fjord am Atlantischen Ocean weiterzuführen – von Meer zu Meer.

Neuerdings ist nun aber die englische Gesellschaft in Geldverlegenheit gerathen und hat den Bau vor seiner Vollendung einstellen müssen. Unterhandlungen behufs Uebernahme der Bahn auf den schwedischen Staat sind für den auf schwedischem Gebiet liegenden Theil im Gange, und ohne Zweifel wird Norwegen seinerseits das ihm zugehörige Stück erwerben, so daß die Fertigstellung der ganzen Bahnstrecke im Laufe der Zeit nicht in Frage steht.

Heubäder. Wasser-, Dampf-, Sand-, Luft-, Sonnenbäder etc. – das kennen wir alle, die Heubäder sind aber eine Specialität Tirols, die in der Ebene noch nicht nachgeahmt worden ist und wohl auch nicht nachgeahmt werden wird. Unter den Bädern nehmen sie aber eine so eigenartige Stellung ein, daß sie mindestens erwähnenswerth sind. Wir folgen in dieser Beschreibung den Mittheilungen, die Ludwig v. Hörmann in seinem trefflichen Werke „Die Jahreszeiten in den Alpen“ (Innsbruck, Verlag der Wagnerschen Univ.-Buchhandlung) darüber giebt.

Die Bauern, besonders die Etschländer, halten sehr viel auf die Heubäder. Für besonders heilsam gilt das frische kurze Gebirgsheu, und zwar muß es noch „brennend“ sein. Deshalb trifft man die übrigens höchst einfachen Vorrichtungen zu dieser Kur häufig hoch oben auf luftigen Höhen, so z. B. in der nach Völs gehörigen Alpenhütte auf dem Schlern (2561 m). An einem Balken ihrer niederen Decke klebt ein Anschlagezettel, welcher folgende Badeordnung enthält:

„Bemerkung 1. Das derjenige, der auf das Hei geth sich fleisig den Koth abstreift. 2. Das derjenige, der von Hei hinausgehet sich fleisig das Hei abschittelt. 3. Das jeder nicht von Völs gebirtüge, welcher eine ganze oder halbe Woche im Hei liegt, 30 Kreizer zahlen muß.
Unterz. Heiinhaber.“ 

Um die Kur zu gebrauchen, wird eine Grube im Heu gemacht, in welche sich der Badende nackt hineinlegt. Ein anderer, sei es nun ein Kurgast oder der eigens bestellte „Badreiber“, deckt ihn bis an den Hals zu. Auch während des Heubades muß immer jemand gegenwärtig sein, um dem Leidenden beizustehen, sobald sich bei diesem bedrohliche Störungen der körperlichen Funktionen, namentlich des Herzens, einstellen. Wenn der Betreffende vollständig in Schweiß ist, wird er „ausgegraben“ und vom Badreiber abgetrocknet; er selbst wäre vor Mattigkeit nicht imstande, es zu thun. Ankleiden kann er sich dann selbst. So liegt in den Stadeln oft Kopf an Kopf. Wie schmutzig und zerwühlt davon das Heu gegen Ende der „Saison“ aussieht, läßt sich denken. Die Heubäderkur ist übrigens nicht ganz ungefährlich. So wurden im August 1886 in dem Heubad zu Aldein zwei „Badegäste“ ohnmächtig aus dem glühend heißen Bergheu herausgezogen, was auf eine starke Störung der Lebensfunktionen deutet, da es sich hier nicht um eine jener Salonohnmachten handelt, die bekanntlich nicht gefährlich sind. *     

Ueber Gemüthsbildung. Auch mißgünstige Nachbarn räumen unserem deutschen Volke Tiefe des Gemüthes ein, und wer daran zweifeln möchte, den würden die deutschen Volkslieder aller Zeiten und unsere ganze Litteratur eines besseren belehren müssen. Der rastlose Drang, die Unruhe, das hastige Vorwärtsstreben unserer Gegenwart rückt indeß die Gefahr nahe, daß unser Gemüthsleben verkümmert werden könnte, und es ist begreiflich, daß sich Stimmen erheben, welche ein Hinwirken auf die Bildung des Gemüthes für nöthig halten.

Friedrich Kirchner hat in einer kleinen Schrift diese Frage angeregt. Er spricht darin von verschiedenen Arten des Gemüthes. Ein flaches Gemüth hat derjenige, welcher für höhere Interessen wenig Sinn hat, sich wohl über dies und jenes freut, aber für nichts begeistert. Ein tiefes Gemüth zeichnet sich durch Sammlung aus; durch jedes Ereigniß wird es daher bis in seine Grundfesten erschüttert. Lust und Leid klingen länger in ihm nach, denn sie werden mit allem sonst Erlebten in Beziehung gebracht. Ein kindlich Gemüth hat der einfache, reine Mensch, der die Verhältnisse, Personen und Sachen wie ein Kind auffaßt. Ein edles Gemüth adelt alles um sich her, auch das Gemeine: ein großes Gemüth zeigt sich groß im Handeln wie im Dulden: beide Male wird es getrieben von dem Drange, sich groß, das heißt bewundernswerth zu zeigen. Ueber die Bedeutung des Wortes „gemüthlich“ gehen die Ansichten wieder aus einander. Wir kannten einen namhaften Dichter und Denker, welcher Gemüthlichkeit für die Gabe erklärte, sich durch jede Lumperei befriedigt zu fühlen. Kirchner meint, man nenne eine Person oder Sache gemüthlich, welche durch eine gewisse Anmuth einen Hauch von Behaglichkeit um sich verbreitet, also unser Gemüth anspricht. Ein gemüthlicher Mensch wird durch Scherz und Ernst angeregt; weil er auf alles eingeht, läßt sich’s angenehm mit ihm verkehren. Ungemüthlich sind die Leute, bei denen Verstand, Wille oder Geschäftigkeit das Gefühlsleben ertödtet haben, pedantische Gelehrte, zudringliche Fanatiker und rastlose Geschäftsleute.

Die erste Aufgabe der Gemüthsbildung soll nach Kirchner darin bestehen, dem Gemüth eine vorwiegend heitere Grundstimmung zu geben, das heißt, Mischung von Frohsinn und Gleichmuth. Daraufhin soll die leibliche und geistige Erziehung wirken. Allerdings läßt sich der Einwand nicht widerlegen, daß Stimmungen vom Temperament und von der Konstitution abhängig sind und daß dagegen weder gymnastische Uebungen, noch veredelnde Seelenbildung durchgreifend zu wirken vermögen. Die Wirkung der Künste, der Musik, der Dichtkunst sind auch der schönen Natur auf das Gemüth ist eine unbestreitbare, aber das Hauptgewicht wird mit Recht auf das Familienleben gelegt. Die Familienfeste, die Liebe zu den Eltern und Kindern, die Anhänglichkeit an die Verwandten, die Pietät gegen Personen und Sachen, Sitten und Bräuche, das Vorbild der Eltern, die sich dem Wohle aller widmen, das nährt den Famillensinn und kräftigt das Gemüthsleben.

Vieles kann den Menschen anerzogen werden, aber für vieles ist ihm auch die Anlage angeboren. Das gilt besonders für unsere Theilnahme an dem Geschick anderer. „Neben dem selbstischen Triebe entsteht zugleich das Mitgefühl. Aber Vorbild, Belehrung, Lektüre und Entfesselung der Phantasie sind hier wichtige Hilfsmittel. Mitleid mit Armen und Kranken, unterdrückten und Geknechteten, mit Bekümmerten aller Art, Mitleid auch mit den Thieren: wer diese himmlische Tugend ins Herz der Kinder pflanzt, der bereitet ihnen für die Zukunft ein Kapital, welches reiche Zinsen selbstloser Liebe trägt.“

Gewiß ist der Kampf gegen Verflachung des Gemüthes in engen und weiten Kreisen durchzukämpfen. Wer dem deutschen Volke seine Gemüthstiefe raubt, der verpflanzt es aus den Zaubergärten, in denen die schönsten Früchte unserer großen Geister reifen, in eine Wüstenei, in welcher nur der Wirbelwind der Gewinnsucht, der egoistischen Bestrebungen, des rohen und raffinirten Kampfes ums Dasein den Staub aufjagt, der die schönsten Denkmäler der Vergangenheit begräbt. †     


Kleiner Briefkasten.

(Anfragen ohne volle Namensangabe werden nicht berücksichtigt.)

G. T. in Morristown (Nordamerika). Besten Dank für Ihre freundliche Zuschrift und die beiden Gedichte. Wenn wir auch die letzteren nicht abdrucken können, sind sie uns doch ein erfreulicher Beweis, daß Ihre Liebe zum alten deutschen Vaterlande auch in der neuen Heimath lebendig geblieben ist.

Irene Wilhelm. Leider nicht geeignet.

A. O. in München. Wir verweisen Sie auf unseren Artikel „Die Wahl des Berufes“ Seite 274 des Jahrgangs 1889 der „Gartenlaube“.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 419. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_419.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)