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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

mein Tisch von einer der anderen Damen mit übernommen wird. Ich bin leider außer stande, auf meinen Platz zurückzukehren.“

„Noch einen Augenblick, Herr Baron!“ fügte Cilly mit raschem Entschluß hinzu. „Auch mir muß eine Vertreterin bestellt werden; denn ich werde meine Cousine selbstverständlich begleiten!“

Sie hatte ihre Worte durch einen herzlich bittenden Blick auf Marie unterstützt, doch diese blieb unerschütterlich.

„Du darfst die Verlegenheit der Herrschaften nicht ohne Noth vermehren,“ sagte sie kühl, „und mein Unwohlsein ist wirklich nicht so bedeutend, daß es eine Begleitung nothwendig machte.“

Die Zurückweisung war so unzweideutig, daß Cilly sich nicht wohl einer noch schärferen Ablehnung in Gegenwart des Dritten aussetzen konnte. Aber sie zeigte sich trotzdem ganz gegen ihre sonstige reizbare Art weder unfreundlich noch gekränkt.

„Wenn Du es wünschest, werde ich bleiben; aber sobald ich eine Gelegenheit finde, fortzukommen, eile ich zu Dir.“

Marie blieb ihr die Erwiderung schuldig. Sie nahm den Arm des Barons und ließ sich zu der Droschke hinunter führen. Die Fahrt bis zur Viktoriastraße schielt ihr fast unendlich, und die verwunderten Mienen der Dienerschaft bei ihrer vorzeitigen Heimkehr bereiteten ihr unerträgliche Pein. Die Thür ihres Zimmers hinter sich verschließend, entledigte sie sich des kostbaren Kostüms und packte die Kleider und Gebrauchsgegenstände, welche sie bei ihrem Einzuge in das Haus des Generals mitgebracht hatte, in ihren Koffer. Die Arbeit nahm nicht allzuviel Zeit in Anspruch; aber bei jedem Geräusch, das draußen vernehmlich wurde, horchte Marie doch ängstlich auf, als fürchtete sie, daß einer ihrer Verwandten ihr gefolgt sein könnte, um sie aufzusuchen und sie an der Ausführung ihres Vorhabens zu hindern.

Doch ihre Besorgniß erwies sich als unbegründet. Niemand kam, sie zum Bleiben zu bewegen, und niemand trat ihr hindernd in den Weg, als sie in einem einfachen Straßenkleide zum letzten Male die Treppen des Hauses hinabstieg, in welchem sie eine zweite Heimath zu finden gehofft hatte.

Um alles unnöthige Aufsehen bei der Dienerschaft zu vermeiden, hatte sie den verschlossenen Koffer in ihrem Stübchen zurückgelassen, und sie schlug nun zu Fuß die Richtung nach dem Brandenburger Thor und nach der Wohnung ihres Bruders ein.

(Fortsetzung folgt.)




Stanley im dunkelsten Afrika.

Jahrelang umgab ein undurchdringliches Dunkel das Schicksal der kühnen Forscher, welche in die Waldeswildnisse des tropischen Afrika ausgezogen waren, um Emin Pascha und der Handvoll Leute, die mit ihm in der Provinz Aequatoria geblieben waren, Hilfe und Rettung zu bringen. Endlich, nach Jahren, waren von ihnen Nachrichten eingetroffen, und die Heimkehrenden wurden mit Jubel an den Grenzen Deutsch-Ostafrikas begrüßt. Aus Briefen und kurzen Mittheilungen der Befreier und des Befreiten sind im Laufe von Wochen und Monaten einzelne Stücke aus jenem Afrikazuge bekannt geworden, welcher, was die Größe der überstandenen Gefahren, die Fülle der erduldeten Leiden, die Bitterniß der Enttäuschungen betrifft, zu den tragischsten, was die Tragweite der gemachten Entdeckungen anbelangt, zu den denkwürdigsten aller Afrikazüge gezählt werden muß. Leider begrüßte die Welt die Heimkehrenden mit getheilten Empfindungen; denn die jüngste Unternehmung Stanleys war keine reine Hilfs- und keine reine Forscherexpedition. Wohl waren die Helden, welche mit der wilden Natur und kriegerischen Stämmen rangen, bestrebt, den Schleier von dem dunkelsten Theile des dunklen Welttheiles zu reißen, wohl waren ihre Herzen von dem edlen Gefühl geleitet, einem Häuflein Hilfloser Rettung zu bringen, – aber die Wissenschaft und die Menschlichkeit waren nicht die einzigen Triebe, welche sie zu Thaten anspornten. Koloniale Pläne, politische Erwägungen bildeten gleichzeitig die Richtschnur des Unternehmens, und wie die Politik die Menschen trennt, so beeinflußt sie auch unser Urtheil. Der Ruf: „Hie Stanley, hie Emin!“ erscholl bereits, bevor man mit bestimmter Klarheit erfuhr, daß die beiden Helden nicht in einem herzlichen Einvernehmen den weiten Weg von den Quellen des Nils, von dem schneebedeckten Mondgebirge bis zur Küste des Indischen Oceans zurücklegten. Was später in die öffentliche Meinung durch weitere abgerissene Mittheilungen sickerte, konnte diesen Gegensatz nicht ausgleichen, obwohl es auch auf das Verhältniß der beiden hervorragenden Männer zu einander kein klares Licht zu werfen vermochte.

Stanley und seine Offiziere.
Dr. Parke. Nelson.     Stanley.     Stairs     Mounteney Jephson.

Mit um so größerer Spannung harrte man, bis Stanley und Emin die Geschichte des Zuges, den Fall von Aequatoria im Zusammenhange erzählen würden. Emin hat keine Zeit gefunden, Bücher zu schreiben, im Dienste Deutschlands wirkt er wieder im Innern Afrikas. Inzwischen ist nun Stanleys neues Werk, das so lang erwartete, erschienen. „Im dunkelsten Afrika. Aufsuchung, Rettung und Rückzug Emin Paschas, Gouverneurs der Aequatorialprovinz“[1] lautet der Titel. Durch die ausführlichen Mittheilungen Stanleys wird der Gegensatz zwischen ihm und Emin nicht gemildert. Im Gegentheil, wir erfahren, daß der Bruch zwischen beiden ein vollständiger ist, daß nicht nur politische Erwägungen ihn veranlaßt haben, sondern daß auch der Gegensatz der Charaktere, grundsätzliche Verschiedenheit


  1. Die autorisirte deutsche Ausgabe erscheint bei F. A. Brockaus in Leipzig. Sie umfaßt zwei Bände mit etwa 140 Abbildungen und 3 großen Karten.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 428. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_428.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)