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verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

bißchen langsam, als die kleinen Kinderfüßchen eine der schönen breiten Granitstufen um die andere erklettern sollten, und es waren der Stufen so viele! „Heinrich, trag sie!“ lautet darum die kurze Entscheidung der stattlichen Gattin, die sich natürlich in ihrem schönen Sonntagsgewand mit derlei „staatsgefährlichen“ Unternehmungen nicht befassen kann.

Und der getreue Heinrich, der an seinem eigenen Gewicht gerade genug zu tragen hätte, fügt sich vielleicht mit innerem, jedenfalls aber ohne äußeres Widerstreben in das Unabänderliche und nimmt den kleinen Familienstolz kurzweg unter den Arm, ohne aus dessen Erziehung zu körperlicher Anmuth in Haltung und Bewegung allzuviel Rücksicht zu nehmen. Im Augenblick hat unter seiner tropfenden Stirn nur ein Gedanke Raum; „Ach, wenn wir nur erst oben wären!“ Und doch ist sein Martersteig noch nicht so bald zu Ende – denn von der Ebene des großen Saales geht’s erst noch einmal recht steil hinauf zu den bescheideneren Höhen der Galerie, Armer Heinrich!

Heinrich Kruses „Seegeschichten“ haben seinerzeit durch Frische, Lebenswahrheit und eine Marinemalerei, welche sich von allen grell aufgetragenen Farben fernhielt, vielen Beifall gefunden. Auch die „Gartenlaube“ brachte zwei dieser Seegeschichten, „Das große Schiff“ und „Die Springstange“ im Jahrgang 1872. Neuerdings ist eine zweite Sammlung dieser kleinen Dichtungen (Stuttgart, Cottasche Buchhandlung Nachfolger) erschienen, welche alle Vorzüge der ersten zeigt. Der Dichter hat sich für seine naiv anschauliche Darstellung den alten Homer zum Muster genommen; nirgends wird seine Muse überschwänglich, wenn sie auch Sturm und Meer noch so unheimlich toben läßt; überall genügt ihr der einfachste, aber bezeichnende Ausdruck. Nur setzt sie oft kräftige Lichter auf, wie sie dem Theerjackenhumor zu Gebote stehen, der sich in unserem neuen Seewesen und in den Seegeschichten eines Marryat und seiner Nachahmer entwickelt hat. Ueberall zeigt sich die genaueste Kenntniß der Schiffahrt und aller ihrer Kunstausdrücke, welche indeß nie gewaltsam herbeigezerrt werden, sondern nur gelegentlich dazu dienen, der Darstellung lebhaftere Farbe zu geben.

Die umfangreichste dieser Seegeschichten ist „Der Kalifornier“; sie umfaßt ein abenteuerlich buntes Leben diesseit und jenseit des Oceans; sie beginnt mit der Schilderung eines Schiffbruchs, den ein prächtiges amerikanisches Schiff, die „Cornelia“, erlebte; ein reicher Kaufmann in Boston hatte es gebaut und zu Ehren seiner bräutlichen Tochter „Cornelia“ genannt:

„Alles vom Besten! so hieß für den Schiffsbaumeister die Weisung.
Zwei Jahr’ wurde geklopft und gehämmert am mächtigen Schiffe,
Welches, ein Wunder der Werft, dastand auf dem Stapel, bis daß es
Endlich die Taufe bekam von der bräutlichen Tochter des Reeders,
Die ‚Cornelia!‘ rief, am Buge die Flasche zerschlagend,
Und so lief majestätisch der Rumpf in die schäumenden Wogen,
Bald auch waren die Masten gesetzt, und man schmückte das Schiff aus
So sorgfältig, als ob die ‚Cornelia‘ selber die Braut sei.
Hättet Ihr doch es gesehn, noch eh’ es die Wogen zerschellten!
Eine Kajüte, so groß, wie bei Wilms im Dorfe der Tanzsaal,
Strahlend von Marmor und Spiegeln und Gold.“

Das Schiff, vom Ganges glücklich zurückgekehrt, scheiterte, als der Lotse sich schon ganz geborgen wähnte und schlummerte, auf der Reede von Spiekerooge:

„Tiefer und tiefer schon grub in den Sand sich der mächtige Kiel ein,
Auf ihn drückte nicht nur die gewaltige Last der Fregatte,
Sondern die Ladung zugleich, und das Wasser begann schon zu sinken.
‚Schiff und Ladung verloren!‘ so dachte der Lotse mit Seufzen,
Und schon stürmt der Kap’tän ans Deck: ‚Auswerfen die Ladung!’
Kreischt er verzweifelt. Man wirft auch Ballen auf Ballen geschäftig
Ueber den Bord, doch ohne das riesige Schiff zu erleichtern;
Denn schon kracht es und neigt sich und schwankt mit den ragenden Masten
Und schlägt hin und her auf dem wohlgekupferten Kiele.
‚Masten gekappt!’ kommandirt der Kap’tän. Drei mächtige Föhren
Waren zusammengefügt zum Bau der gigantischen Masten.
Unter den Hieben der Axt kracht endlich zusammen der Großmast
Und ihm folgen dann bald mit geringerer Mühe die andern.
Alles versucht der Kap’tän, was nur ein erfahrener Seemann
Thun kann, um sich zu retten, doch alles ist völlig vergebens.
Siehe, da rennt der Kap’tän, Mitreeder des Schiffes, schon lange
Sprachlos fast vor Wuth und Verzweiflung, in seine Kajüte
Und kommt wieder heraus wahnsinnigen Blickes. Er hatte
Einen Revolver in jeglicher Hand. So sucht er den Lotsen.
‚Wo, wo steckt er, der Hund? Ich schieß’ ihn nieder!‘ so rief er.
Und wild lief er umher, und zitternd verkroch sich der Lotse
Hinter den Ballen von Reis, die grade geholt aus dem Raume;
Aber man fiel zum Glück dem Kap’tän in die Arme von hinten,
Und mein Lotse, von Furcht vor dem Tod und von Angst des Gewissens
Leblos fast, ließ nun nicht länger sich halten im Schiffe,
Sprang vom Heck und kam mit Schwimmen und Waten ans Ufer.“

Gleiche Anschaulichkeit, wie die Schilderung dieses Schiffbruchs, welche wir als Probe mittheilen, zeigt die Erzählung der Abenteuer des Kaliforniers zu See und Land, besonders in dem Goldland am fernen Ocean. In den Paradiesgefilden des gesegneten Strandes von „Adelaide“ spielt die Erzählung, welche diesen Namen trägt; sie giebt uns ein Bild von der grausamen Menschenjagd britischer Kolonisten und der furchtbaren Rache der Wilden. „Das Milchlamm“ erzählt uns von der Heldenthat eines jungen Seekadetten, welcher wegen seiner Zartheit und anscheinenden Schüchternheit diesen Namen führt; „Axel und Frieda“ ist eine Liebesidylle auf einer Kahnfahrt, die mit warmen Farben geschildert ist. Unter den übrigen Seegeschichten findet sich manches Anekdotenhafte; auch begegnen wir ein paar kleinen Erzählungen, die mit der See nichts zu thun haben, einer drolligen Legende und ein paar schnurrigen Schulgeschichten; doch alles ist wahr, natürlich, dem Leben entnommen und mit gesundem Humor dargestellt.

Leipziger Sommergartenleben zu Großvaters Zeiten. (Zu dem Bilde S. 537.) Leipzig vor siebzig Jahren mit etwa 40 000 Einwohnern und das heutige Leipzig mit einer Bevölkerung von mehr als dreimalhunderttausend Menschen – welche Gegensätze! Und doch war das damalige Leipzig nicht minder berühmt als das heutige. Seine Lage und seine geschichtliche Bedeutung, sein Handel und seine Universität, seine feingebildeten, aber thatkräftigen Bürger und seine schönen Frauen hatten ihm einen Ruf verliehen, der weit über Deutschlands Grenzen hinausging. Als eine besondere Zierde dieses alten Leipzigs aber galten die vielen schönen Gärten, die ihm mit Recht den Namen einer Gartenstadt eintrugen und auf welche die reichen Handelsherren mit hoher Befriedigung blickten. Einer derselben, der Bosesche (später Reimersche) Garten – die jetzige Königsstraße ist darauf erwachsen – begeisterte sogar einen Dichter zu den Versen:

„Mein Liebchen ist wie Bosens Garten,
Ein auserles’nes Blumenfeld,
Das hier und da viel tausend Arten
Vollkommner Schönheit in sich hält,
Ein Auszug vieler Seltenheiten,
Ein Meisterstück von Artigkeiten –“

Das Kriegsjahr 1813 hatte nur vorübergehend die Pracht dieser Gärten schädigen können. Reichenbachs (später Gerhards) Garten, Löhrs (später Keils) Garten, Breiters Wintergarten etc. gewannen wieder europäische Berühmtheit. Manche dieser Privatgärten waren im Laufe der Zeit in öffentliche Gärten umgewandelt worden, in deren Wirthschaften sich die Leipziger nach Herzenslust vergnügten.

Wie es in einem solchen Garten vor etwa siebzig Jahren aussah, das zeigt uns deutlich unser Bild. Schattige Lauben, in denen kleine Gesellschaften, ungestört von den übrigen, traulich beieinander sitzen konnten, waren in Menge vorhanden, so im „Großen Kuchengarten“, den einst Goethe besungen hatte, auf der „Funkenburg“, wo früher das Fischerstechen abgehalten wurde und auf deren vorderer Wiese sich 1823 der berühmte Seiltänzer Kolter zuerst sehen ließ.

Dort trank man auch die berühmte Gose. Sonst begnügte man sich mit Weißbier und dunkelm einfachen Bier, dem sogenannten „Raster“; aber Ende der zwanziger Jahre wurden bereits die ersten Lagerbiere, namentlich Lützschenaer, verschenkt, und bald nachher gab es sogar „Bayerisches Bier“, das aus Nürnberg eingeführt wurde. Kinder und Frauen liebten das einfache Bier mit „Musik“, d. h. mit geriebenem Brot und Zucker. Der Handwerkerstand erlustigte sich im „Posthörnchen“ und in der „Alten Burg“, die gewöhnlich die „Blaue Mütze“ genannt wurde, weil der Wirth stets eine blaue Mütze trug und eine solche auch am Eingange seines Anwesens aufhing, zum Zeichen, daß an dem betreffenden Tage Konzert stattfinde.

Nicht selten verkehrten auch Studenten dort und dann gab es öfters eine regelrechte Prügelei. In Schiegnitzens (später Kupfers) Kaffeegarten, sowie in Rudolphs Garten verkehrte gewählteres Publikum. Hier ließen auch öfters Prager Musikanten ihre heiteren Weisen erklingen. Vornehmere Konzerte fanden im „Kuchengarten“ und Donnerstags im „Hotel de Prusse“ statt.

Das Rosenthal, das früher vom feineren Publikum weniger besucht wurde, kam auch mehr und mehr in Aufnahme. Gleich am Eingange, wo sich jetzt das Restaurant Bonorand befindet, war eine Bude, in der man im Sommer schon früh um 4 Uhr Thee, Kaffee, Chokolade, Gefrorenes etc. bekommen konnte. Die Wirthin der „Eisbude“ hieß im Volksmunde die „Kalte Madam“, bei ihr versammelte sich die feine Welt. Im Frühjahre 1824 erhielt sie einen Nebenbuhler in dem Schweizerbäcker Kintschy, dem der Rath erlaubte, eine zweite Eisbude, das „Schweizerhüttchen“ während des Sommers einzurichten. Ein Jahrzehnt später begann man das Rosenthal allmählich zu dem schönen Parke umzugestalten, der heute der Stolz aller Leipziger ist. –

Die großen Leipziger Gärten haben der Neuzeit zum Opfer fallen müssen. Prachtvolle Spazierwege zieren aber jetzt die Stadt, und außer dem Rosenthale hat man die schönen Laubwälder von Leipzigs Umgegend in reizende Parkanlagen verwandelt, dem gegenwärtigen Geschlecht zu Nutz und Frommen. Mag immerhin das Alte stürzen, wenn Besseres an seine Stelle tritt! Sttz.


Kleiner Briefkasten.

{Anfragen ohne vollständige Angabe von Namen und Wohnung werden nicht berücksichtigt.)

A. S. am kleinen Flüßchen in Schlesien. Die "Gartenlaube" warnt doch oft genug vor all diesen Gegenmitteln. Auch das von Ihnen genannte ist Schwindel.

Gr. T. H. Die eingesandten Skataufgaben sind nicht verwendbar. Die erste läßt eine Reihe von Nebenlösungen zu, welche das Ansagen des Solo noch begründeter erscheinen lassen, als die beabsichtigte Lösung. Die zweite Aufgabe beruht auf einem Spielgebrauch, (Null mit Hereinnahme des Skat, also Nullfrage), welcher nur in ganz vereinzelten Spielkreisen vorkommt. Für die Aufgaben der „Gartenlaube“ sind die Bestimmungen der Allgem. Deutschen Skatordnung maßgebend.

A. H. in Detmold. Thatsächlich ist die Form „Sprütze“, wenn man auf die ältesten Formen des Wortes zurückgeht, die richtigere. Indessen hat sich die Schreibung „Spritze“ so sehr eingebürgert, daß es eine aussichtslose Auflehnung gegen den Gebrauch ist, wenn man heute noch „Sprütze“ schreiben will.

Fr. D. in Magdeburg. Ohne Zweifel. Nur werden sie in diesem Falle darauf gefaßt sein müssen, daß man Sie erst einer gewissen Probezeit unterwirft, ehe man Sie fest anstellt.

A. C., stud. jur. in St. G. Der „Allgemeine deutsche Sprachverein“ hat am 15. Oktober 1887 eine Preisaufgabe gestellt, deren Wortlaut folgender war: „Wie können Reinheit und Reichthum der deutschen Schriftsprache durch die Mundarten gefördert werden?“ Ohne Zweifel ist dies die Preisaufgabe, welche Sie meinen. Wir bemerken übrigens, daß die Entscheidung über die eingereichten Bearbeitungen längst (seit 6. Oktober 1889) getroffen ist.

Abonnent, Sebnitz. Ihre Anfrage ist schwer zu beantworten. Sie fragen uns, ob sich die Worte des sterbenden Goethe: „Mehr Licht!“ auf die Religion oder auf die sonstige Weltanschauung oder vielleicht nur auf das Tageslicht in seinem Sterbezimmer bezögen. Aber woher sollen wir das wissen? Goethe selbst hat keinen „Kommentar“ zu seinen Worten mehr gegeben, und noch schlimmer wird die Sache dadurch, daß ein Zeuge sogar behauptet, Goethe habe unmittelbar vor seinem Ende überhaupt nichts gesagt. Sollen wir Ihnen Worte deuten, die vielleicht gar nicht gesprochen worden sind?

G. R. in T. Provinz Hannover. Geehrte Freund und Leser! Wir bitten Sie inständig in Ihrem und unserem Interesse, schicken Sie uns keine Gedichte mehr! Sie sind ein vortrefflicher Patriot, aber kein entsprechend guter Dichter.


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