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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

führte, umschwärmt und gefeiert und dennoch gegen Verflachung und hohles Scheinwesen geschützt – da erwartete und verlangte sie viel, und oft hatte sie in der Stille gesonnen, wie wohl der Mann beschaffen sein müsse, den sie – Thekla – ihres Lieblings für werth halten würde. Ach, ihre sorgende mütterliche Liebe würde ihn ja nicht aussuchen können, aber sie konnte warnen, zu- oder abreden, loben und tadeln … Annie war ja so lieb, so kindlich, unterwarf sich so gern dem Urtheilsspruch ihrer klugen Thea! –

Konnte der schräg in ihr Zimmer fallende Lichtstreifen sie blenden? Was war es, das ihre Augen feucht werden ließ?

Jetzt erlosch das Licht nebenan, tiefe Finsterniß umfing sie. Wer nun schlafen könnte, fest und traumlos! Das junge Geschöpf nebenan würde es können – welches Bild es doch mit hinübernehmen mochte in seinen sanften Schlummer? Die Schwester wußte es nicht, sie war ja ausgeschlossen – heute zum ersten Male! – Vier Uhr! Die tiefe, dröhnende Stimme vom Sankt Lukasthurm war Theklas älteste Freundin, die hatte dem kranken Kinde schon vor langen, langen Jahren den Weg durch die endlosen Nächte gewiesen. Sie hatte sich seitdem üben können im Wachen und Leiden; die gleichmäßigen Athemzüge, die aus dem benachbarten Zimmer kamen, hatten sie zuweilen eingewiegt – wer konnte sagen, wie lange sie dieselben noch hören würde?

Ein leichtes Rascheln nebenan – Theklas scharfes Ohr unterschied einen leisen Fußtritt, der sich näherte – dann eine flüsternde Stimme: „Thea, bist Du noch wach?“

„Ja, Vögelchen! Warum schläfst Du nicht?“

„Ich kann nicht! Es kommt mir so unrecht vor, wie ich heut’ zu Dir gewesen bin! Dir nicht auch?“ Hier tastete eine suchende Hand über Theklas Bett, und zwei weiche Arme legten sich gleich darauf im Dunkel der Nacht um Theklas Nacken. „Ich hab’ Dir ja immer und immer alles gesagt, und ich will es auch heute – wenn ich nur wüßte“ – ein tiefer, beklommener Seufzer hob die junge Brust – „wie ich Dir sagen soll, was ich selbst nicht recht verstehe. Gut, daß es wenigstens dunkel ist – im Geist seh’ ich ohnehin deutlich genug, wie Du mich fragst mit Deinen großen, allwissenden Augen. So wie jetzt ist mir noch nie zumuthe gewesen – traurig und auch wieder glücklich dabei und so, wie mir heute ein einziger gefallen hat … ach Gott, was ich rede! ‚Gefallen‘ ist gar nicht das Wort dafür! Weißt Du, wie Werther sich darüber aufregt, als ihn jemand fragt, ob ihm Lotte ‚gefiele‘! Thekla – Du denkst jetzt gewiß, es ist dieser schöne Prediger, der mich so beschäftigt –“

„Nein, mein Kind, das denke ich nicht!“

„Wie klug bist Du doch, und wie genau kennst Du mich! Sieh, daß ich dem Prediger sehr gefiel, das merkte ich gleich, freute mich auch darüber, denn er hat mir einen bedeutenden Eindruck gemacht. Ob ich dem – dem – andern gefiel, das weiß ich eigentlich gar nicht“ – wieder ein langer Seufzer – „er sah so finster und verschlossen aus, da that er mir leid und ich dachte: ob der wohl lachen kann? Ob du ihn wohl zum Aufthauen bringst? War das unrecht, Thea? Ich wollte ja nichts Schlimmes, dachte noch nichts weiter, nur, ob es mir gelingen könnte, ihn heiter zu machen. Ich denke, das war nicht kokett – nein, Thea?“

„Ich meine nein, Annie!“

„Und es gelang mir so gut! Du hättest es nur sehen sollen! Ein ganz anderer Mensch ist er geworden – und was er mir alles erzählt hat! Aber das will noch nichts sagen … die andern Herren werden uns alle Besuch machen, Thea, in den nächsten Tagen, und er hat kein Wort davon gesagt. Nun bekommen wir ja auch Frühling, und dann geht er gewiß wieder auf Reisen, und es kann sein, daß man sich nicht wiedersieht. Ja – das wollt’ ich Dir gern noch sagen, Thea! Bist Du noch böse?“

„Böse bin ich überhaupt nicht gewesen. Kleine!“

„Aber enttäuscht und betrübt?“

„Das muß ich zugeben!“

Annies Lippen fanden im Finstern der Schwester Gesicht und preßten sich ungestüm dagegen.

„Mein Närrchen, mein liebes! Nun ist alles, alles wieder gut, ich weiß in Dir Bescheid, das ist die Hauptsache! Warten wir alles weitere ab! Mit dem Nimmerwiedersehen wird es ja wohl so schlimm nicht sein, wenn jemand in derselben Stadt an der Akademie eine Professur hat und man einander zehnmal im Monat in denselben Kreisen begegnen kann.“

„O nein, er sagt, er besucht gar keine Gesellschaften!“

„Nun, er hat doch die heutige besucht.“

„Ja – das war eine Ausnahme.“

„Solche Ausnahmen werden des öfteren vorkommen – vielleicht bekomme ich diesen Vogel Phönix dann auch noch einmal zu sehen!“

„Siehst Du, Thea, das ist schlecht von Dir! Jetzt machst Du Dich lustig über mich!“

„Wahrhaftig nicht, Liebchen!“

„Und ein Vogel Phönix ist er durchaus nicht! Ich hab’ es so im Gefühl, Dir würde er gar nicht gefallen!“

„So? Das sollte mir leid thun!“

„Viel eher Conventius! Der ist ganz ein Mann für Dich!“

„Vielen Dank! Wir werden ja sehen! Aber jetzt rasch ins Bett, Kind, oder ich mache Dir eine Scene!“

„Und Du hast mich wieder lieb?“

„Am liebsten von allen Menschen – ist Dir das genug, Du anspruchsvolle, verzogene Prinzessin?“

„Ja, gerade genug, Thea! Gute Nacht! Ach, wenn Du doch schlafen könntest!“

„Ich glaube, ich kann Dir, zum ersten Male in Deinem Leben, diesen Wunsch zurückgeben!“

„Ach, wenn ich auch nicht schlafen kann! Ich habe soviel zu denken!“

Damit huschte es wieder auf lautlosen Füßchen davon, und Thekla wandte zufrieden ihr Haupt nach der andern Seite. Gottlob, „ihr Kind“ gehörte ihr noch!! –

(Fortsetzung folgt.)




Die 75jährige Jubiläumsfeier der deutschen Burschenschaft in Jena.

„Und in Jene lebt sich’s bene,
Und in Jene lebt sich’s gut,
Bin ja selber dort gewesen,
Sechs Semester wohlgemuth!“

So lange zwar nicht, aber doch manchen herrlichen Tag meiner zu schnell verrauschten Studentenzeit! Unsere alles ausgleichende Zeit hat auch dem Studentenleben auf den meisten Hochschulen seinen Nimbus genommen, es hat seine goldene Freiheit und Ungebundenheit aufopfern müssen, und Heldenthaten, wie sie im Kommersbuch, dieser versifizierten Geschichte des deutschen Studententhums, fortleben, gehören heutzutage zu den Seltenheiten des akademischen Lebens. Nur an den kleineren Universitäten, in Jena vor allem, lebt die „alte Burschenherrlichkeit“ in unverfälschter Weise fort, von der auch ein goldener Strahl auf uns „Finken“ fiel, die weder zu Corps noch Burschenschaft Farbe bekannten.

Das freundliche Jena, das „liebe närrische Nest“, wie Goethe – das „kleine Florenz“, wie Karl V. es nannte, ist noch heute mit seinen Studenten eng verwachsen. Während diese in anderen Universitätsstädten im Strom des täglichen Lebens verschwinden, sind sie in Jena am Fuße des Hausberges, von dem der alte Fuchsthurm, der König des Saalethales, herablächelt, noch in Wahrheit die Beherrscher der Stadt. Der Jenenser „Philister“ betrachtet die Spritzfahrten, Biersuiten, Fackelzüge, Mensuren und Kommerse seiner Studenten als ein Stück Weltgeschichte, seine Gattin, die „Phileuse“, betrachtet es als schönste Lebensaufgabe, einen Herrn „Doktor“ zu bemuttern, und die „Philine“, ihr blondes, braunes oder schwarzes Töchterlein, spielt ihre schönste Rolle als Ehrenjungfrau bei den Festlichkeiten des Bruder Studio. Unter solchen Verhältnissen ist es kein Wunder, wenn das alte Jena tief in die Herzen eingeschrieben ist und in der Erinnerung der „Alten Häuser“, wie beim Herrn Pastur in „Hanne Nüte“, noch fortlebt, wenn ihre Scheitel längst kahl geworden sind wie der Jenzig, das Wahrzeichen Jenas.

Wir haben das wieder recht deutlich gesehen, als wir den 4. August gen Jena pilgerten, um dem 75jährigen Burschenschaftsjubiläum, das vom 4. bis 6. August festlich in Jena begangen wurde, beizuwohnen. In der besonders errichteten „Festhalle“, die mit grünem Tannenreisig, Fahnen, studentischen Abzeichen, Blumenampeln u. s. w. reichlich geschmückt war, fand am Abend des 4. August die erste Begrüßung der Festtheilnehmer statt. Da fanden sie sich wieder, die alten Burschen, die seitdem der Beruf des Lebens in alle Welt zerstreut hatte. Ihr Haar war ergraut, Band und Mütze verblichen, aber das Herz noch frisch und das Auge noch so klar wie einst, da die neue Mütze beim ersten feierlichen „Landesvater“ vom Schläger durchbohrt ward.

Aber auch ganz Jena hatte ein Festgewand angethan. Von allen Häusern wehten die Fahnen, glänzten die Wappen der Burschenschaften Und glühten grüne Guirlanden. In erster Linie ist der Stätten zu gedenken, an denen sonst die Burschenschaften hausen. Festlich prangte der alte „Burgkeller“ mit dem urgemüthlichen bilderreichen Arminenzimmer,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 592. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_592.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)