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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)


Schönfelds Zügen, als der Geistliche auf den Wunsch zurückkam; er that, als wäre ihm die Angelegenheit schon gleichgültig geworden.

„O – es ist – Sie werden sich unendlich verwundern, daß ich gerade einen solchen Wunsch hege – auch fragt es sich sehr, ob Sie, Herr Pfarrer oder der Direktor ihn mir erfüllen wollen. Ich habe nämlich … ich war nämlich … schon als Kind war ich ein leidenschaftlicher Blumenfreund, und in allen Lebenslagen habe ich daran festgehalten; es ist zum Erstaunen, nicht wahr? Wie gut Sie Ihre Gesichtszüge in der Gewalt haben – Sie lachen nicht einmal und sehen auch nicht erzürnt aus. Und es ist doch das Widersinnigste, was man sich denken kann; ein Dieb und Todtschläger, ein Verbreiter gefährlicher Ansichten, ein Verbrecher, dessen sich die civilisirte menschliche Gesellschaft auf gewaltsame Weise entledigen will … und das zarteste, Lieblichste, Unschuldsvollste, was die Natur hervorzubringen imstande ist: die Blume. – Aber ich war ja nicht immer ein Raubmörder; es gab Zeiten in meinem Leben, wo ich geachtet und geehrt dastand und kein Mensch mir meine Blumenliebhaberei beanstandete; wie soll sie nun durch meinen weitern Lebensgang in mir ausgelöscht sein? – Man findet solche wunderliche Neigungen übrigens des öftern: rohe Kriegsmenschen lieben häufig kleine Kinder, schwere Verbrecher schwärmen für Musik – ich bilde keine Ausnahme!“

„Ihr Wunsch soll erfüllt werden!“ sagte Reginald ruhig. „Es fragt sich nur, ob hier“ – er warf einen Blick auf das Zimmer – „Blumen überhaupt gedeihen können!“

„Mein Fenster hat ziemlich lange Morgensonne, und wenn ich einen Stuhl heranschiebe, reiche ich gerade mit ausgestreckter Hand hinauf!“ Schönfeld sagte es eifrig, mit einem überredenden Blick.

„Gut also! Wünschten Sie sonst noch etwas? Vielleicht Bücher?“

Das schneidend sarkastische Lächeln erschien wieder auf dem Gesicht des Gefangenen.

„Sehr verbunden. Die Lektüre, die mich ausschließlich während der letzten Jahre beschäftigt hat, dürften Sie mir schwerlich verschaffen können und wollen: revolutionäre Schriften, lauter Umsturzideen und gefährliche Neuerungen enthaltend, – helles Jakobinerthum! Solche geistige Nahrung kann ich hier nicht gut verlangen, – und den Walter Scott, den ich als junger Mensch sehr liebte, hat der Direktor nicht!“

„Ich besitze ihn und werde Ihnen zunächst ein paar Bände zuschicken. Adieu für heute!“

Reginald machte eine verabschiedende Bewegung und wandte sich zum Gehen. Der Gefangene verneigte sich stumm und gab ihm bis zur Thür das Geleit; während der paar Schritte war es, als ob er noch etwas sagen wollte – ein Entschluß schien in ihm aufzusteigen, aber auch wieder zu erlöschen; er preßte die Lippen übereinander und blieb still. –

Draußen im Flur nahm Remmler den Geistlichen in Empfang und führte ihn über den Hof; der Direktor ließ sich nicht blicken, und Reginald wußte ihm in seiner Seele Dank dafür, daß er sich nicht sofort ausführlich bei ihm erkundigte, wie die Unterredung im Gefängniß verlaufen sei.

(Fortsetzung folgt.)




Die Frauen und der ärztliche Beruf.
Von Professor Dr. Hermann v. Meyer.

Soll man die Frauen zum Studium der gelehrten Berufsarten zulassen und ihnen die Berechtigung zur Ausübung derselben ertheilen?

Trotzdem diese Frage in manchen Staaten thatsächlich schon gelöst ist, wird doch noch in den verschiedensten Kreisen darüber hin und her gestritten, wobei neben ruhigen Ueberlegungsgründen eine Fülle von unklaren Vorstellungen, vorgefaßten Meinungen und Gefühlsauffassungen sich, verwirrt und verwirrend, durcheinander drängt, sodaß es demjenigen, welcher nicht zunächst bei der Frage betheiligt ist und doch über dieselbe unterrichtet zu sein wünscht, fast unmöglich gemacht ist, eine klare Einsicht in das zu gewinnen, um was es sich dabei eigentlich handelt.

Namentlich ist es das ärztliche Fach, welches in diesem Streite der Geister vor allen andern in den Vordergrund tritt, weil diesem studierende Frauen sich am meisten zuwenden, und weil gerade bei diesem Fache viele Gründe für und gegen seine Wahl durch Frauen geltend gemacht werden können. Man findet das Studium und die Ausübung der Medizin durch Frauen vorzugsweise besprochen und dabei von manchen Seiten begeistert befürwortet, von anderen Seiten aber aufs schroffste angefeindet, daneben wohl auch mit mehr oder minder guten Witzen lächerlich gemacht. Die ganze Angelegenheit ist aber eine zu ernste und wichtige, als daß sie durch Schwärmerei, Schroffheit oder Hohn könnte entschieden werden; sie verlangt eine ruhige Würdigung unter gebührender Berücksichtigung der verschiedenen Unterfragen, welche in ihr enthalten sind.

Der deutsche Reichstag wird in seiner nächsten Sitzungszeit Gelegenheit haben, sich ebenfalls mit der Erwägung dieser Frage zu beschäftigen, denn der „Deutsche Frauenverein Reform“, dessen Sitz in Weimar ist, hat an denselben eine Petition gerichtet, worin die „Zulassung des weiblichen Geschlechtes zur Ausübung des ärztlichen Berufes, wie solche heute in den meisten Kulturstaaten bereits Thatsache geworden“, verlangt und im Anschlusse daran die Forderung gestellt wird, „das medizinische Studium auf deutschen Universitäten dem weiblichen Geschlechte zugänglich zu machen.“

Auch der Vorstand des „Allgemeinen deutschen Frauenverbandes“ in Leipzig hat an die Landtage aller deutschen Staaten ein ähnliches Gesuch gerichtet.

Wenn ich es nun unternehme, in diesen Zeilen mich über diese Frage zu äußern, so kann ich für meine Befugniß hiezu den Umstand geltend machen, daß meine langjährige Thätigkeit als Professor der Anatomie an der Universität Zürich, an welcher bekanntlich Frauen zum Studium zugelassen sind und zahlreich von dieser Vergünstigung Gebrauch machen, mir reichliche Gelegenheit geboten hat, Beobachtungen und Erfahrungen zu sammeln.

Ehe auf einzelnes eingegangen werden kann, wird es indessen nöthig sein, zu untersuchen, ob denn der Wunsch und das Bestreben der Frauen, die gelehrten Berufsarten und insbesondere die ärztliche Praxis in ihren Thätigkeitskreis hereinzuziehen, eine Berechtigung besitzt.

Die Antwort lautet: Ja! Es muß wohl kaum daran erinnert werden, in welch unglücklicher Lage sich alleinstehende Töchter befinden, welche darauf angewiesen sind, sich durch eigene Thätigkeit ihren Unterhalt zu erwerben. Das ihnen zunächstliegende Auskunftsmittel einer Stellung als Haushälterin, Gesellschafterin oder Erzieherin ist sehr schwierig zu erlangen, weil der Andrang zu solchen Stellungen ein außerordentlich großer ist. Ebenso bietet sich solchen, welche sich in Seminarien ausbilden und dem Lehrfache zuwenden, im ganzen nur wenig Aussicht darauf, eine gesicherte Zukunft zu gewinnen; denn auch auf diesem Felde ist der Wettbewerb bereits ein sehr scharfer. Selbständigen und lohnenden Wirkungskreis im Gebiete der Musik, der Malerei oder anderer Künste zu finden, ist aber nur ganz wenigen vergönnt, welche besondere Veranlagung in einer dieser Richtungen zeigen.

Unter diesen Verhältnissen kann es gewiß nicht Wunder nehmen, wenn solche, die in sich die nöthigen geistigen Kräfte fühlen, daran denken, eine Laufbahn in einem der höheren Gelehrtenberufe zu suchen. Daß hierbei vorzugsweise und fast ausschließlich der ärztliche Beruf ins Auge gefaßt werden muß, ist selbstverständlich, weil einerseits die theologische und die juristische Laufbahn für Frauen sogut wie gar keine Aussicht bieten, und weil andererseits schon viele Frauen in den allerdings bescheidenen ärztlichen Thätigkeiten von Pflegeschwestern, Zahnärzten oder Hebammen sich mit Erfolg bewegen. Ja, wenn man nur einen Blick auf die ungeheuer schwierige und verantwortungsvolle Aufgabe der Krankenpflege im Kriege wirft, so wird man der deutschen Frau das Zeugniß nicht versagen können, daß sie wenigstens in dieser Rolle als ärztliche Hilfskraft sich geradezu mit Ruhm bedeckt hat.

Wenn demnach das Geschlecht der Frauen nach einem vollberechtigten Eintritt in den Berufskreis der Aerzte Verlangen trägt, so ist dieses Verlangen nicht nur durch den Wunsch nach einer auf eigenen Kräften beruhenden Lebensstellung hinlänglich begründet, es ist auch in Wirklichkeit nur eine leicht verständliche Folgerung aus der bereits bestehenden Thätigkeit von Frauen innerhalb des Gebietes des ärztlichen Wirkens.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 654. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_654.jpg&oldid=- (Version vom 28.6.2020)