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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)


je näher ein Künstler selbst der Vollendung in seinem Schaffen steht, um so nachsichtiger wird er andere beurtheilen, die noch auf den untersten Stufen der Ruhmesleiter sich befinden.

Einige Herren und Damen aus dem Publikum folgten den Zweien in einer geringen Entfernung beharrlich nach, um die Aussprüche des berühmten Malers zu hören und später zu verbreiten; sie wunderten sich, wie vieles er lobte, und zwar nicht etwa in gnädig herablassender Weise, sondern ganz sachlich, oft mit warmem Eifer oder offenbarer Freude. Annie, obgleich künstlerisch nicht unwissend, besaß doch nicht immer einen genügend geübten Scharfblick, um Delmont jedesmal zu verstehen, und sie sprach das stets offenherzig aus. Wenn der Professor vor einem zwei Hände großen Bildchen, das einen schmalen Streifen Wasser, zwei Kühe, ein halbzerfallenes Hüttchen und ein paar windzerzauste Bäume aufwies, in helles Feuer gerieth und es ein Kleinod nannte, so konnte Annie nicht begreifen, was er daran sah, und er mußte ihr deutlich machen, wie köstlich die Luft gemalt, wie schön die Fernsicht, wie fein bemessen die Abstimmung der Farben sei, das fahle Grün der Bäume, das spiegelnde Blaugrau des stehenden Wassers, die buntgefleckten Körper der beiden Kühe. Sah sie seine Belehrung ein, erwachte das Verständniß für dasjenige, was er ihr zu erklären suchte, in ihr, so hatte sie eine kindliche Freude daran, dies zuzugestehen, womöglich selbst neue Reize eines Bildes zu entdecken, von welchem sie vor kurzem erklärt hatte: „Das sieht unbedeutend aus, daran finde ich nichts!“ Zuweilen hob sie etwas als schön hervor, was er mit seinen scharfen Maleraugen für das gerade Gegentheil ansah, und sagte er ihr das, dann konnte Annie Gerold lachen, so herzlich, ungezwungen und ansteckend, daß er mit einstimmen mußte. Wie sie ihn umwandelte, wie sie ihn jung machte und glücklich! Von seinem eigenen Gemälde sprachen sie nicht. Es wäre dem Mädchen unpassend erschienen, ihm hier von der Wirkung zu sprechen, die es auf sie hervorgebracht, auch hätte sie diese schwerlich in Worte kleiden können; gerade so, wie sie Reginald von Conventius nicht für die Predigt zu danken vermocht hatte, die doch in ihrem Herzen einen so lauten Widerhall erweckte. Delmont war ganz glücklich, daß ihm Annie nicht mit Schmeicheleien kam, es hätte ihm den vollkommen ausgeglichenen und reizvollen Eindruck ihrer Persönlichkeit getrübt; er hatte nur beim Beginn ihrer gemeinsamen „Kunstreise“ zu ihr gesagt: „Ich kam natürlich nicht in jene Nische, um mein Bild zu sehen und zu hören, was man darüber sagte,“ worauf sie ihn hastig unterbrochen hatte: „Das konnte ich mir denken!“ – „Sondern,“ beendigte er seinen Satz, „weil ich Sie mitten in dem Menschengedränge erkannt hatte und gern mit Ihnen sprechen wollte!“

Ach, Annie Gerold war glücklich, so glücklich! Sie ging wie auf Wolken, sie dachte nicht an Zeit und Stunde, nicht an die Menschen und ihr kleinliches Thun. Wie er sie ansah, wenn er zu ihr sprach, es durchschauerte sie! Sein Blick glitt schmeichelnd und liebkosend über ihr junges Antlitz, und seine gedämpfte Stimme klang so weich. „Ich gehöre Dir, Dir ganz allein! Ich bin nur für Dich da!“ schienen Blick und Stimme zu sagen.

Und als sie dann, leider, leider! doch endlich bemerken mußte, wie der große Saal immer leerer wurde, und mit heimlichem Schreck die späte Stunde feststellte, da hatte er ihre Hand genommen und gefragt, wann er sie besuchen dürfe; es klang sehr bedeutsam, ganz und gar nicht wie eine gewöhnliche Höflichkeitsfrage. Und sie erinnerte sich, daß er ihr erzählt hatte, wie er des Vormittags am besten malen könne, und wie zumal jetzt, in den lichten Frühlingstagen, diese Stunden ihm die liebsten seien; und sie hatte die Zeit zwischen fünf und sechs Uhr des Nachmittags genannt, er hatte zugesagt und seinem Ego gepfiffen, dem klugen, treuen Thier, und dann hatten sie Abschied von einander genommen im hellen, funkelnden Sonnenschein, unter dem klarblauen Lenzhimmel, der sich über ihnen wölbte, weit, weit, unermeßlich wie ein großes, wunderbares, unergründliches Glück.

An all das dachte Annie – traumhaft – herzbefangen – wie sie, leise vor sich hinlächelnd, den Heimweg antrat.

(Fortsetzung folgt.)




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Herbstfarben.

Es ist müßig, zu streiten, welche der Jahreszeiten am schönsten sei. Sie sind alle schön, jede hat ihre besonderen Reize. Wenn wir aber vom ästhetischen Standpunkt die Landschaftsbilder in den jahraus jahrein wechselnden Kleidern betrachten, so dürfte in vieler Hinsicht der Herbst den Preis davontragen.

Im Herbst scheidet die Pflanzenwelt von uns und ihr Abschied gestaltet sich zu einem förmlichen Feste. Die Blumen sind verblüht, dafür aber erglüht jedes Blatt in wechselvollen Tinten, und namentlich unser Laubwald erscheint in einer Farbenpracht, mit der sich selbst die der tropischen Waldungen nicht messen kann.

Ich will dem Leser ein Bild, das ihm ohne Zweifel aus eigener Anschauung bekannt ist, in Erinnerung zurückrufen.

Vor meinem Fenster erheben sich bewaldete Höhenzüge. Der mittlere ist mit gemischtem Walde bestanden. Im Sommer ist er sozusagen ein langweiliger Berg, eine eintönige grüne Masse, in der selbst ein geübtes Auge einzelne Bäume nicht zu erkennen vermag. Anders im Herbst.

Der Grundton des Bergwaldes ist jetzt braunroth geworden. Er wird durch die vollen Kronen der Rothbuche gebildet, die eigentlich erst jetzt ihren Namen verdient. Auf diesen Teppich hat der Herbst wunderbare Muster gestickt. Aus den braunrothen, wolkenartig sich übereinander aufthürmenden Massen leuchten hellere Farben hervor.

Dort ragen spitze Kuppeln, die Weißbuchen, die noch im großen und ganzen grün, aber an der Spitze der Zweige bereits gelb gefärbt sind. Hoch oben am Berge züngeln ein paar Wipfel wie gelbe Flammen empor, es sind die schlanken, bereits ganz entfärbten Birken; an anderen Stellen wieder erheben sich einige abgerundete, schwefelgelbe Kuppen, die Kronen der Ahorne und neben ihnen sticht fast brennend wie Feuergluth der purpurrothe Gipfel einer Vogelkirsche hervor. Die Eichen sind noch grün, aber erst jetzt kommt ihre zerrissene vielzackige Krone zur kraftvollen Geltung.

Dieses bunte und doch harmonische Bild wird von den dunkelgrünen Tannenwäldern zur Rechten und zur Linken und oben von dem klaren blauen Himmel eingerahmt, während unten der Wiesengrund noch in frischem Grün prangt und die Erlen am Bache nicht die geringste Verfärbung zeigen.

Der Wald liegt im Sterben, aber für uns hat er erst in diesem Augenblick Leben gewonnen, denn wir sehen jetzt nicht mehr eine eintönige grüne Laubmasse, sondern Gruppen ausgeprägter Baumgestalten.

Das Schauspiel der herbstlichen Verfärbung des Laubes tritt nicht überall in derselben Schönheit auf: es wird durch die Mischung der Arten und Formen in einem Waldbestande bedingt. In Europa sind die Rhein- und Donauufer wegen ihrer herbstlichen Pracht berühmt.

Leider ist diese Herrlichkeit nur von kurzem Bestande; bald kommen die ersten Fröste und die kalten Nordwinde; das bunte Gewand der Bäume wird von den Zweigen gerissen und die dürren Blätter tanzen im Winde und werden zu unscheinbaren braunen Haufen zusammengeweht.

Etwas länger dauert die Verfärbung des Laubes in Nordamerika am Lorenzstrome und an den kanadischen Seen. Hier ist der Reichthum der gemischten Wälder an Arten und Formen bedeutend größer und die Farben sind glühender und mannigfaltiger. Eine Stromfahrt im Herbst gleicht in jenen Gebieten einer Fahrt durch ein Feenland, und keine andere Waldlandschaft der Welt kann in dieser Hinsicht mit der nordamerikanischen sich messen.

Bei uns in der Ebene und in den Hügellandern kommt der Wald in herbstlichen Farben zur Geltung, die niederen Sträuche und Stauden verschwinden gegen die Pracht der hohen Bäume, und die Wiesen bieten nur ein mattes Bild.

Dort aber, wo es keine Bäume mehr giebt, in den arktischen Gebieten und im Hochgebirge, welches über die Baumgrenze emporragt, ist der Herbst nicht minder schön und entfaltet Reize, von denen die sommerlichen Besucher der Berge kaum eine Ahnung haben.

„Unten in den Thalgründen,“ schildert Anton Kerner von Marilaun den Herbst im Hochgebirge, „welche wegen des tieferen Standes der Sonne auf weite Strecken schon im Schatten liegen, bleibt der Boden ununterbrochen weiß bereift, während oben auf den südlich sich abdachenden Bergeshöhen mit dem ersten Sonnenblick auch die nächtlichen Reife schwinden und tagüber milde Lüfte über die Gehänge wehen. Schneehühner sowie Schwärme der über Alpenpässe ziehenden, hier zu kurzer Rast weilenden Wandervögel sind geschäftig, die Beeren von dem in großer Zahl die Halden überziehenden niedern Strauchwerke abzupicken; die Falter aber, welche im Sommer um die großen Alpenblumen so geschäftig waren, sind verschwunden; hier und da erheben sich noch einzelne bleiche Skabiosen und die dunklen Aehren des spät blühenden norwegischen Ruhrkrautes, alles übrige ist schon in Frucht übergegangen und der Blüthenreigen ist abgeschlossen. Und dennoch machen die Gehänge jetzt den Eindruck sommerlicher Fluren, die mit ungezählten Blüthen geschmückt sind. Das sommergrüne Laub der niederen Stauden und Kräuter und insbesondere der verzweigten buschigen und teppichbildenden Sträucher gewinnt eben während dieser kurzen Zeit rothe, violette, gelbe Farbentöne, welche den lebhaftesten Blüthenfarben an Schmelz und Leuchtkraft nicht nachstehen. Am auffallendsten treten die sommergrünen Heidelbeergewächse und eine Art von Bärentrauben hervor. Während die Blätter der Moosbeere einen violetten Farbenton annehmen, kleiden sich die Heidelbeeren in tiefes Roth und die Alpenbärentraube in weithin sichtbaren Scharlach. Die herbstlich gefärbten Blätter dieser letzteren Pflanze zeigen überhaupt das schönste Roth, das an irgend einem Laubwerke im Herbst beobachtet wird, noch viel feuriger als jenes der nordamerikanischen Reben und des Essigbaumes, und wenn das Laub dieser Bärentraube auf einem Berggrate von den schief einfallenden Sonnenstrahlen durchleuchtet wird, so glaubt der tiefer unten stehende Beobachter Strontianflammen aus dem Boden hervorzüngeln zu sehen. Auch die Blätter zahlreicher nicht holziger Gewächse, so namentlich der alpinen Geranien und des Alpenhabichtskrautes, färben sich vor dem

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